Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Leipziger Buchmesse: Die Metapher ist ein Arschloch
> Die Philosoph:innen Tim Henning, Nikola Kompa und Christian Nimtz
> leuchten Abgründe der Alltagskommunikation aus. Ja, Sprache kann
> ausgrenzen.
Bild: Alles ist Kommunikation, du musst es nur bildlich genug sagen
Schwarze haben so ein tolles Rhythmusgefühl. Die nächste Flüchtlingswelle
droht. They’re eating the dogs. Sprache kann eine Zumutung sein. Oder ein
mächtiges Werkzeug. Sie kann aufklären oder verschleiern, ermächtigen oder
ausgrenzen, diffamieren, aufhetzen.
Der „Doppelgesichtigkeit“ von Sprache widmen sich die Philosoph:innen
Tim Henning, Nikola Kompa und Christian Nimtz. Mit dem feinen Besteck der
analytischen Philosophie untersuchen sie einzelne sprachliche Phänomene.
Mit dem aufklärerischen Ziel, moralisch und politisch wirksame
[1][Manipulationen der Alltagskommunikation] zu entlarven.
Der Metapher etwa, die es braucht, um Abstraktes oder Unvertrautes greifbar
zu machen, unterstellen sie politische Manipulationskraft; sie erzeuge
durch Gefühle Komplizenschaft: Eine Infektions- oder Flüchtlingswelle etwa
beschwört ein Ausgeliefertsein, das zur affektiven Abwehr einlädt.
Es geht aber auch weniger offensichtlich: Bezeichnet jemand seine Nachbarin
als „Kröte in Stöckelschuhen“, so kann der Sprecher die Absicht der
Beleidigung leicht bestreiten („Nur ein Scherz“) – wohingegen an der
Nachbarin das ungewollte Bild haften bleibt.
## Manipulative Kommunikationsstrategien
Henning, Kompa und Nimtz bleiben nicht bei der Beschreibung
[2][manipulativer Kommunikationsstrategien] stehen. Sie schlagen auch
Lösungen vor: alternative Metaphern suchen (Familien statt Volkskörper)
oder bestehende positiv umdeuten (von einer Welle kann man sich auch
emporheben lassen).
Analog behandeln die Autor:innen auch weitere Sprachphänomene.
Generische Aussagen wie das eingangs erwähnte „tolle Rhythmusgefühl von
Schwarzen“ zerlegen sie linguistisch, um moralische Untiefen offenzulegen.
Etwa, dass dramatische Aussagen über bestimmte Gruppen („Tiger greifen
Menschen an“) ein veritabler „Freifahrtschein“ sind, da bereits die
Formulierung die Bereitschaft von Menschen erhöht, den zugrunde liegenden
Unterstellungen („Tiger sind gefährlich für Menschen“) zu glauben und zur
Essenzialisierung einlädt. Also zur Annahme, dass Tiger gefährlich sind,
eben weil sie Tiger sind.
Henning, Kompa und Nimtz sensibilisieren für Begriffe, die wahre
Essenzialisierungsschleudern sind, wie Blondine oder Karottenesser, und
plädieren dafür, Nominalisierungen zu vermeiden.
## „Tintenpisser“ und „Drecksbulle“
Mitunter kommt ihre Sprachanalyse etwas spröde daher. Gut verständlich ist
das Kapitel über Herabsetzungsausdrücke, in denen aus Beleidigungen wie
„Tintenpisser“, „Drecksbulle“ oder „Polacke“ die beleidigenden
Zusatzkomponenten herausgeschält und unausgesprochen mitschwingende
Zusatzbedeutungen kenntlich gemacht werden.
Dafür, warum das Englische eine größere Varianz genuiner Herabsetzungsworte
bietet als das Deutsche, liefern sie eine erfrischend einfache Erklärung:
„Immerhin kann man im Deutschen bei Bedarf stets ein ‚Scheiß‘-Kompositum
verwenden.“
Anhand der seit den 1960ern populären Sprechakttheorie illustrieren die
Autor:innen schließlich, warum Sprechen Handeln ist und inwiefern
„soziokulturelle Drehbücher“ Menschen davon abhalten, im Diskurs
mitzuspielen. „Wer sprachlich marginalisiert wird, ist auch sozial
marginalisiert“, stellen die Autor:innen fest.
## „Hermeneutische Hilflosigkeit“
Dieser „hermeneutischen Hilflosigkeit“ lässt sich freilich begegnen,
ebenfalls durch Sprache, die uns hilft, die Welt zu sortieren; etwa wenn
eine von Traurigkeit geplagte junge Mutter für sich die Diagnose
„Kindbettdepression“ entdeckt; gleichzeitig kann ihr die Diagnose
sprachlich durch das Etikett „Sie ist schlecht drauf“ aberkannt werden.
„Die dunkle Seite der Sprache“ lädt so nicht nur zur Tiefenanalyse des uns
umgebenden sprachlichen Irrsinns ein, sondern liefert auch Strategien zu
dessen Bewältigung.
28 Mar 2025
## LINKS
[1] /Interne-Sprechanleitung-der-ARD/!5574475
[2] /Expertin-ueber-sprachliche-Manipulation/!5359993
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025
Politisches Buch
Kommunikation
Ausgrenzung
Aufklärung
Sprache
Manipulation
Schwerpunkt Rassismus
Philosophie
Wahl Österreich
Postmoderne
## ARTIKEL ZUM THEMA
Akzente und Rassismus: Sexy, kompetent oder ungebildet
Welches Vorurteil Menschen über einen haben, hängt oft davon ab, ob man
akzentfrei spricht. Und davon, woher der Akzent stammt.
Gilles Deleuzes Kontrollgesellschaft: Wer kontrolliert die Kontrolle?
Wäre Gilles Deleuze heute gegen Meta und X? Lange vor den sozialen Medien
beschrieb der vor 100 Jahren geborene Philosoph die Kontrollgesellschaften.
Rechte Sprache in Österreich: Die Eroberung der Mitte von rechts
Historiker Thomas Köck protokolliert in seiner „Chronik der laufenden
Entgleisungen“, wie sich die rechtspopulistische Sprache ausbreitet.
Buch über Narrative: Eine ziemlich gute Geschichte
Lost im Storytelling? Peter Brooks analysiert in „Seduced by Story“ die
politischen Folgen des „narrative turn“, der auf sämtliche Disziplinen
übergreift.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.