# taz.de -- Kunstfestival „Steirischer Herbst“ Graz: Kultur, Polizei und al… | |
> Der „Steirische Herbst“ beginnt kurz vor den österreichischen | |
> Parlamentswahlen. Sein Motto „Horror Patriae“ wendet sich gegen | |
> Volkstümelei. | |
Bild: Horror Patriae: Blick in die Neue Galerie mit Bruegel'scher „Weinleise�… | |
Dass das deutsche Popduo Modern Talking den inoffiziellen Soundtrack zur | |
Perestroika lieferte, weiß man vielleicht. Aber auch, dass ihr donnernder | |
Synthieschlager die Lieblingsmusik von Kim Jung Un ist, dem Diktator | |
Nordkoreas? Teilnahmslos stimmt der Sänger und Künstler Augustin Maurs auf | |
der Bühne im Grazer Orpheum den Hit [1][„Brother Louie“] an, nicht zu | |
gefühlig darf er sein, kein Pathos, während er musikalisch in die Seele des | |
despotischen Diktators vordringt. | |
Der Pianist haut derweil rabiat in die Tasten, um dem Trash von Modern | |
Talking noch ein bisschen mehr Stumpfheit abzuringen. Jörg Haider, der | |
sportliche, Tracht-tragende Faschist und daher auch als „Feschist“ | |
bezeichnete FPÖ-Politiker, sang noch kurz vor seinem Tod 2008 „Pfiat Gott, | |
liabe Alm“. | |
Auch das ist an diesem seltsamen Chansonabend zu hören. Haiders einstiger | |
Vertrauter Herbert Kickl tritt nun bei den Nationalratswahlen als | |
FPÖ-Kanzlerkandidat an. Maurs lässt jedoch den Refrain des Volkslieds ganz | |
schnell wieder abklingen, als sei es nur ein Phantom. | |
## Wie eine Oase mitten in der Wüste | |
Der brüchige Liederabend ist wie ein Sinnbild für das kürzlich eröffnete | |
Grazer Kunstfestival Steirischer Herbst. Der Widerspruch zwischen seinem | |
oft gesellschaftskritischen Programm und dem konservativen bis rechten | |
Umfeld ist seit seiner Debütausgabe 1968 charakteristisch. Und die jetzige | |
Intendantin Ekaterina Degot, Kunsthistorikerin aus Russland und | |
Putinkritikerin, [2][zündelt immer wieder an seinen Grenzen]. | |
Am Vorabend der Eröffnung musste sogar die Polizei einschreiten, weil der | |
in Wien lebende Künstler Yoshinori Niwa (geboren 1982) in Degots Auftrag | |
ein großes Fake-Wahlplakat direkt am Ausgang der Stadtbrücke installiert | |
hatte. | |
Fratzenartige, KI-generierte Wohlstandsmenschen schwingen darauf vor | |
Alpenpanorama eine Käsekrainer-Wurst und werben mit der verdrehten | |
Nazi-Sentenz „Jedem das Unsere“ für die „Ehrlichste Partei Österreichs�… | |
kurz EPÖ. Die verballhornte FPÖ forderte sogleich eine Kürzung der | |
Fördermittel für das Festival. Auch Graz ist im Wahlkampfmodus. | |
## Täuschend echte Slogans | |
An jedem barocken Platz werben die Parteien mit ihren Giveways. Die Poster | |
des Steirischen Herbsts in den Geschäftsvitrinen scheinen in den Chor von | |
Logos und Slogans aller Wahlkampfparteien einzustimmen, würde ihre Message | |
nicht so arg mit ihnen disharmonieren: „Horror Patriae“ ist das Motto der | |
diesjährigen Ausgabe. | |
Erschreckendes Vaterland bedeutet der Titel in etwa. Erschreckend ist das | |
vielleicht auch für die politisch Rechtsextremen, für deren Verständnis | |
Kultur stets heimatbejahend sein sollte. Doch noch bleiben etwaige | |
Drohungen der FPÖ leer, dem Festival die finanzielle Förderung zu | |
entziehen, speist sich doch der Steirische Herbst aus Mitteln der Stadt | |
Graz [3][mit seiner kommunistischen Oberbürgermeisterin], dem konservativ | |
geführten Kulturressort der Steiermark und dem Bundeskulturministerium. | |
Ihm steht zumindest bis zur anstehenden Nationalratswahl am Sonntag mit | |
Werner Kogler ein Grüner vor. Ein politisch recht gemischtes | |
Förderkonglomerat, das macht dieses Festival wenigstens ein bißchen immun | |
gegen einen drohenden Rechtsruck in Österreich. Anders als in der | |
benachbarten Slowakei, wo sich Ministerin Martina Šimkovičová mehr | |
Volkstümlichkeit in der Kultur wünscht [4][und dafür rabiat gegen eine | |
progressive Kunstszene vorgeht]. | |
## Lokalpatriot Johann | |
In Graz rückt Intendantin Ekaterina Degot derweil tief in die museale | |
Geschichte der Stadt vor, macht sie zu einem Fallbeispiel dafür, wie sich | |
die fixe Idee einer „Heimat“ über Jahrhunderte in ihr einschreiben konnte. | |
Die Kunstausstellung findet in der Neuen Galerie statt, einem Teil des von | |
Erzherzog Johann einst gegründetem Universalmuseums Joanneum. Johann | |
(1782–1859), der Habsburger, der eine Bürgerliche ehelichte und noch heute | |
als steirischer Lokalpatriot gefeiert wird. | |
In den nur dunkel ausgeleuchteten Ausstellungskabinetten des neobarocken | |
Museumsbaus begegnen einem die alten Geister der Sammlung, etwa eine | |
Kassette mit Napoleonporträt, die noch um 1900 einen Personenkult um den | |
europäischen Herrscher bezeugt, ein heute recht kurioses, [5][um 1910 wohl | |
eher typisches Freizeitfoto von Sigmund Freuds Söhnen in steirischer | |
Tracht]. | |
Ein Druck vom Avantgardisten Fernand Léger mit römischer Frauenbüste und | |
Kaktustopf – Léger sollte wohl nach 1945 damit beauftragt werden, den | |
Grazer Hauptbahnhof mit einer Wandmalerei auszustatten und damit die | |
NS-Vergangenheit der Stadt mit einer fröhlichen Moderne zu übertönen, doch | |
daraus wurde nichts. | |
## Verdrängte Ideologien | |
Die Ideologien der Geschichte und ihre Verdrängung wiegen schwer auf diesen | |
Objekten. So schwer, dass die Kurator:innen zwei riesige Gemäldeschinken | |
derart schräg von der Wand hängen lassen, sie drohen einen glatt zu | |
erschlagen. Eines davon zeigt eine Weinlese in Bruegel’scher | |
Orgienhaftigkeit. Sein Urheber, der Maler Reinhold Ludwig Krassnig, war | |
während des Zweiten Weltkriegs aus Mallorca in die Steiermark | |
zurückgekehrt, um sie nach 1946 sofort wieder zu verlassen. | |
Das macht seine groteske Landidylle noch etwas rätselhafter. Die | |
historischen Artefakte sind in der Ausstellung wie Triggerpunkte in die | |
Gegenwart. Hinter Krassnigs Orgie flimmern Jakub Jansas (geboren 1989) | |
comichafte Kürbiskreaturen auf Bildschirmen. In einer Art Fernsehtalkshow | |
behaupten sie je von sich, doch ein traditionelles Gemüse zu sein. Aber | |
wessen Tradition beanspruchen sie? | |
Eine Landkarte von 1681 zeigt die Steiermark in der Form des Kriegsgottes | |
Mars – die Steiermark als Bollwerk gegen den islamischen Osten. Das | |
Narrativ nahmen die Nazis wieder auf und auch jetzt schimmert es | |
erschreckend durch die Asyldebatte im Wahlkampf durch. Nur wenige Meter | |
entfernt läuft der Film „Noreia“ von Jan Peter Hammer (geboren 1970). | |
## Umstrittene Geschichte | |
In dokumentarischen Bildern erzählt er, wie der Landesarchäologe der | |
Steiermark zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine vorgefundene keltische | |
Siedlung mit einer germanischen Schlacht aus vorchristlicher Zeit | |
ideologisch verwoben hat. Bis heute hadern Dorfbewohner:innen damit, | |
dass ihre vermeintlich stolze Lokalgeschichte wissenschaftlich längst | |
umstritten ist. | |
Woanders lässt sich die ukrainische Künstlerin Alina Kleytman (geboren | |
1991) auf einem Bildschirm eine riesige Zunge aus dem Schlund wachsen. Der | |
russische Angriffskrieg in der Ukraine, er ist auch Kampf gegen Kultur und | |
Sprache, man droht an seiner eigenen Sprache zu ersticken. | |
Die Ausstellung des Steirischen Herbsts ist eine sehr kuratierte Schau, | |
jedes Objekt hat hier seinen Platz. Man wird umschlungen von den Ideologien | |
der Vergangenheit, um sie sogleich durch den Blick der Gegenwartskunst | |
wieder dekonstruiert zu sehen. Mit welcher Erkenntnis kommt man da wieder | |
raus? Dass „Heimat“ nur Erzeugnis von den manchmal selbst widersprüchlichen | |
Protagonisten der Geschichte ist, so vage wie wandelbar – und deswegen so | |
gefährlich. Stimmt: Horror Partriae. | |
Recherchen zu diesem Artikel wurden vom steirischen herbst ’ 24 | |
unterstützt. | |
26 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=Lp2qcCrdBLA | |
[2] /Ueberraschung-beim-steirischen-herbst/!5804746 | |
[3] /Erfolgsrezept-fuer-linke-Parteien/!6033226 | |
[4] /Kulturkampf-in-der-Slowakei/!6035074 | |
[5] /Kunst-und-Freud/!6025132 | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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