# taz.de -- Sparpläne bei Volkswagen: Elektrisierender Kampfgeist | |
> Was macht es mit der Belegschaft des Zwickauer VW-Werks, dass die | |
> Konzernspitze über Standortschließungen und Stellenabbau spricht? Ein | |
> Ortsbesuch. | |
Bild: Alles ist elektrisch: Frisch produzierte E-Autos warten in Zwickau auf de… | |
Zwickau/Berlin taz | Wenn Udo Strewe darüber spricht, wie es gerade bei | |
Volkswagen in Zwickau läuft, klingt neben vielen Sorgen auch ein wenig | |
Hoffnung durch. Seit der VW-Vorstand Anfang September angekündigt hat, er | |
wolle Stellen abbauen und möglicherweise Fahrzeugwerke schließen, um Geld | |
zu sparen, hat Strewe ein flaues Gefühl im Magen. Er arbeitet in der | |
Logistik. „Ich bin 54. Auf dem Arbeitsmarkt ist es jetzt schon schwierig. | |
Wenn VW dicht macht, braucht es hier in der ganzen Region keine Fachkräfte | |
mehr. Dann ist es duster.“ | |
Aufgegeben hat Udo Strewe aber noch nicht. Am Mittwoch ist er mit | |
VW-Kolleg:innen von Zwickau nach Hannover gefahren, um Präsenz zu zeigen, | |
während ihr Betriebsrat mit dem Vorstand verhandelt. [1][Die erste | |
Tarifrunde hat am Vormittag im Schloss Herrenhausen begonnen.] Mehr als | |
3.000 Beschäftigte begleiten den Verhandlungsbeginn lautstark. Rote Fahnen, | |
rote Mützen, rote Rauchtöpfe und dazwischen Banner und Plakate – auch mit | |
dem VW-Logo. Gerichtet an den Vorstand steht auf einem: „Selber Fehler | |
machen, aber dann auf andere zeigen“. | |
„Die Stimmung ist absolut kämpferisch“, berichtet Strewe am Telefon aus | |
Hannover. Im Hintergrund sind skandierende und pfeifende Kolleg:innen zu | |
hören. Soziale Politik für Arbeitnehmer:innen, das sei ihm wichtig, sagt | |
Strewe. In seiner Heimatstadt Zwickau ist er auch Co-Vorsitzender des | |
SPD-Stadtverbands. In Hannover ist er einer von vielen, die ihren Unmut | |
über die neue Unternehmenspolitik bei VW herauslassen. | |
Dass Volkswagen in einer Krise steckt, daran zweifelt niemand. Der Konzern | |
will Milliarden sparen. Aber die Lösungsidee vom VW-Vorstand ist | |
umstritten. Das VW-Management hat die Transformation hin zum Elektroauto | |
verpennt und trägt das auf dem Rücken der Arbeiter:innen aus. Nach 30 | |
Jahren kündigte der Vorstand vor zwei Wochen die Tarifverträge, welche | |
unter anderem eine Beschäftigungssicherung regelten. Dadurch kann VW bei | |
seiner Kernmarke mit deutschlandweit 120.000 Arbeiter:innen ab Juli | |
2025 aus betriebswirtschaftlichen Gründen Kündigungen aussprechen. | |
Und, ein Novum in der Firmengeschichte: Der Vorstand überlegt zum ersten | |
Mal überhaupt, ein Werk in Deutschland zu schließen. So will die Chefetage | |
die Zielrendite von 6,5 Prozent mit VW erreichen. Laut VW-Betriebsrat und | |
Industriegewerkschaft Metall ein Tabubruch. Daniela Cavallo, die | |
Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, sprach von einem „historischen Angriff | |
auf unsere Arbeitsplätze“, gegen den sich die Belegschaft „mit allem, was | |
wir haben“ wehre. | |
Die Tarifverhandlungen mit dem Vorstand, die eigentlich erst in der zweiten | |
Oktoberhälfte starten sollten, wurden deshalb schon auf diesen Mittwoch | |
vorgezogen. Statt nur einer Lohnerhöhung von sieben Prozent fordert die | |
Belegschaft auch die Beschäftigungssicherung zurück – und dass | |
Werkschließungen vom Tisch sind. Die Verhandlungen werden dauern. Bis Ende | |
November gilt eine Friedenspflicht, danach sind Streiks möglich. | |
Wie aufgebracht die Belegschaft jetzt schon ist, das hat der Vorstand aus | |
nächster Nähe erfahren. Bei der Betriebsversammlung Anfang September in | |
Wolfsburg machten 25.000 Beschäftigte ihrem Ärger mit Trillerpfeifen Luft. | |
Und auch in Zwickau begrüßten mehrere Tausend Kolleg:innen den | |
VW-Markenchef Thomas Schäfer mit Plakaten und viel Wut. | |
Udo Strewe war einer von ihnen. Mit roter Gewerkschaftsmütze und rotem | |
T-Shirt protestierte er gegen die Konzernentscheidung. „Das war wirklich | |
erhebend, wie die Menschen da zusammengehalten haben“, erzählt er und | |
lächelt kurz. Da ist sie wieder, die Hoffnung. Danach ging Strewe an seinen | |
Arbeitsplatz in der Logistik, „ich hatte Mittagsschicht“. Die Mütze zog er | |
ab, das rote T-Shirt trug er weiter. Das flaue Gefühl im Magen blieb. | |
In Sachsen ist VW mit etwa 12.000 Beschäftigten der größte private | |
Arbeitgeber, mehr als 10.000 davon sind in Zwickau angestellt. Seit der | |
Wende produzieren sie VW-Autos und seit mehr als vier Jahren nur noch | |
elektrische VW-Autos, darum gilt Zwickau als „Zukunftswerk“. Eigentlich ist | |
die Volkswagen Sachsen GmbH auch noch kein Teil der Volkswagen AG. Es | |
gelten gesonderte Bestimmungen. Doch am Dienstag kündigte die sächsische | |
Geschäftsführung auch die Beschäftigungssicherung in Sachsen. | |
Die Krisenstimmung ist auch in Zwickau zu spüren, denn gerade bei den | |
Elektroautos schwächelt VW. Manche Arbeiter überlegen laut, ob die | |
Umstellung auf E-Autos nicht doch ein falscher Schritt war. Die | |
Werksleitung wollte sich auf Anfrage der taz nicht äußern. VW-Chef Thomas | |
Schäfer betonte bei der außerordentlichen Betriebsversammlung vor den | |
sächsischen Arbeiter:innen einmal mehr: „Die Zukunft von Volkswagen ist | |
elektrisch!“ | |
Klingt gut. Aber das Vertrauen sei weg, sagt Logistiker Strewe. Denn trotz | |
Elektroautos: Das Werk ist nicht ausgelastet und produziert nur in zwei | |
Schichten. Der Vorstand hatte ursprünglich drei zugesichert. Derzeit | |
herrsche bei der Belegschaft eine „gespannte, abwartende Stimmung, wie die | |
Entwicklung weitergeht“, erzählt Strewe. Dem Betriebsrat und der IG Metall | |
vertraue er persönlich voll. „Aber man weiß ja nicht, was in den Köpfen der | |
Vorstände in Wolfsburg vorgeht.“ | |
## Verbrenner in China nicht mehr gefragt | |
Die Härte der Maßnahmen, die die Konzernspitze ergreifen will, kam | |
überraschend. Doch die Krise hatte sich angebahnt. Schon der Dieselskandal | |
im Jahr 2015 kostete das Unternehmen Milliarden. Mithilfe einer | |
unzulässigen Software manipulierte VW weltweit mehr als zehn Millionen | |
Dieselfahrzeuge. So wurden bei Tests deutlich weniger klima- und | |
gesundheitsschädliche Abgase gemessen, als tatsächlich beim Fahrbetrieb | |
entstanden. Die US-Umweltbehörde EPA deckte den Betrug auf, und neben dem | |
Image geriet vor allem auch die Konzernkasse durch Entschädigungszahlungen | |
in Milliardenhöhe unter Druck. | |
In einer aktuellen Studie des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft | |
(IW) heißt es zudem: Der Erfolg der Automobilbranche in Deutschland habe | |
lange darauf basiert, ins Ausland zu exportieren, besonders nach China. | |
Auch 2023 waren drei von vier aller in Deutschland gebauten Autos | |
Exportware. [2][Volkswagen war in China, dem größten Automarkt der Welt, | |
lange Marktführer.] Noch 2020 verbuchte der Volkswagenkonzern mit seinen | |
Tochtermarken 19,3 Prozent der Neuwagenverkäufe in der Volksrepublik. | |
Doch Ende 2022 setzte sich die chinesische Marke BYD an die Spitze, die | |
VW-Verkäufe in China gingen zurück. Letztes Jahr waren es nur noch 14,5 | |
Prozent. Die chinesische Regierung steckt kräftig Staatsgeld in nationale | |
Autohersteller und wälzt den Markt dort auf elektrische Fahrzeuge um – und | |
bei denen ist Volkswagen, wie die anderen deutschen Autobauer, nicht gut | |
aufgestellt. BYD zum Beispiel produziert seit 2023 nur noch E-Autos. Dabei | |
sind Batterietechnik und Software zentral – und in beiden Bereichen habe | |
der Hersteller Vorsprung vor der deutschen Konkurrenz, weil er aus der | |
Elektroindustrie stammt, bilanziert das IW Köln. Autos mit | |
Verbrennungsmotor, die Volkswagen lange einträgliche Geschäfte versprachen, | |
werden in China kaum mehr verkauft. | |
In Deutschland hingegen brachen die E-Auto-Absätze ein, nachdem die | |
Bundesregierung Ende 2023 Prämien für den Kauf elektrischer Pkw abgeschafft | |
hatte. Als Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausweitete, | |
stiegen die Energie- und Verbraucherpreise, viele Menschen in Deutschland | |
konnten oder wollten keine großen Summen mehr für Neuwagen ausgeben. Im | |
August 2024 wurden laut dem ADAC hierzulande knapp 69 Prozent weniger | |
E-Autos neu zugelassen als im August 2023. | |
Auch der Absatz von Verbrennern ging deutlich zurück, im August 2024 gab es | |
fast 28 Prozent weniger Neuzulassungen als im gleichen Monat des letzten | |
Jahres. Volkswagen sei ein riesengroßer Konzern, sagt Beatrix Keim, | |
Autoexpertin am Center for Automotive Research (CAR). Zehn verschiedene | |
Marken, Verbindungen ins Ausland und zu Zulieferbetrieben sowie komplexe | |
Verhältnisse innerhalb des Konzerns machten den Wandel hin zur | |
Elektromobilität zum Kraftakt. Bis zu einem gewissen Grad ist es also | |
durchaus verständlich, dass die Transformation lange dauert. | |
CAR-Gründer Ferdinand Dudenhöffer formuliert es härter: VW sei wie | |
„einbetoniert“ in seinen Strukturen. Unter anderem weil das Land | |
Niedersachsen 20,2 Prozent der Unternehmensaktien hält und damit eine | |
Sperrminorität hat, habe sich der Betrieb kaum verändern können. In einem | |
sind sich Beatrix Keim und er einig: Die führenden Köpfe bei Volkswagen | |
haben schlicht zu lange auf Verbrenner gesetzt. | |
Im VW-Werk in Zwickau schüttelt Uwe Kunstmann, der sächsische | |
Gesamtbetriebsratsvorsitzende, den Kopf und widerspricht: „Die haben | |
frühzeitig umgeschwenkt.“ Er sagt, aktuell seien die Batteriekosten zu | |
hoch. „Wenn die Batterie 10.000 Euro kostet, kann man mit einem Auto für | |
20.000 Euro kein Geld verdienen.“ Das werde sich aber relativieren, wenn | |
sich Batterietechnologien weiterentwickeln. An der Elektromobilität, das | |
steht auch für ihn außer Frage, führe kein Weg vorbei. In zehn Jahren | |
diskutiere da keiner mehr drüber. „Bei dem hier war es dasselbe“, sagt er | |
und hebt sein Smartphone hoch, „da hat jeder gesagt: 'Ich brauche ein | |
Telefon zum Telefonieren, was will ich mit so einem Schneidebrett?’ Und | |
heute?“ | |
Würde VW in Zwickau noch Verbrenner produzieren, wäre die Krise größer, | |
glaubt er. Als das Werk in Zwickau umgestellt wurde, „sind alle Politiker | |
hergekommen und haben sich feiern lassen, wie gut die Entscheidung doch | |
war“, berichtet Kunstmann. Damals waren die Auftragsbücher voll. Doch mit | |
den steigenden Energiekosten und spätestens seit die Bundesregierung den | |
Umweltbonus für Elektroautos einstellte, änderte sich das. „Da hat man | |
richtig gesehen, wie die Bestellungen runtergeknackst sind“, erzählt der | |
Betriebsratsvorsitzende. Was der Vorstand mit den angedrohten | |
Werkschließungen und Stellenkürzungen bezwecken wolle, verstehe er nicht. | |
Nach dem ersten Schock sei er mittlerweile gefasst, sagt Kunstmann. „Mir | |
kommt es ja alles ein bisschen planlos und hilflos vor.“ Er zuckt mit den | |
Schultern. Neben ihm hat im Büro der erste Bevollmächtigte von der | |
örtlichen IG Metall Thomas Knabel Platz genommen. Zusätzlich zu den 10.000 | |
Beschäftigten bei VW wären weitere 50.000 Beschäftigte in der Region | |
betroffen, wovon einzelne Betriebe ausschließlich Volkswagen zuliefern. | |
„Wenn hier Schluss ist, wäre bei denen auch Schluss“, wirft Knabel ein. | |
Über die IG Metall organisiert, würden sie deshalb zusammen für den | |
VW-Standort vor dem Werkstor kämpfen. Um die hohen Kosten zu senken, habe | |
VW noch andere Möglichkeiten. Knabel sagt, dass es dabei auch um den | |
Konzern Volkswagen gehe, nicht nur um die Marke VW. Dass der Konzern etwa | |
bei den insgesamt zehn Marken, von Audi über Porsche bis Seat die | |
Synergieeffekte nicht richtig nutze, habe Knabel noch nie verstanden. | |
„Jeder braucht eine Extrawurst. Dabei glaube ich nicht, dass den Kunden | |
auffällt, wie viele verschiedene Lenkräder es im Konzern gibt.“ | |
In einem Zimmer auf der anderen Seite des Flurs sitzt an diesem Montag Lisa | |
Neubert. Die 25-Jährige arbeitet seit 2015 bei VW in Zwickau und ist die | |
Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Durch die gekündigten | |
Tarifverträge ende nicht nur die Beschäftigungssicherung, auch mit der | |
Übernahmegarantie für Auszubildende und dual Studierende sei Schluss, | |
erzählt sie. In Zwickau betrifft das aktuell etwa 400 Azubis und | |
Studierende. Als Volkswagen diese Entscheidung am 2. September ankündigte, | |
sei das für die mehr als 100 neuen Azubis und dual Studierenden ein | |
besonderer Schock gewesen. Die hatten da nämlich ihren allerersten Tag. | |
Morgens hätten sie von den tollen Perspektiven bei Volkswagen gehört, um | |
dann am Abend in den Nachrichten zu lesen, dass VW diese Perspektiven | |
gerade infrage stellt. „Das hat vor allem zu Verunsicherung und Angst | |
geführt“, sagt Neubert, „bei uns allen.“ Doch der erste Schreck sei rela… | |
schnell in Kampfgeist umgeschlagen. Am 5. September ging der neue Jahrgang | |
gemeinsam mit Lisa Neubert zu der Betriebsversammlung, um den | |
Markenvorstand Thomas Schäfer auszupfeifen. Die Azubis standen an ihrem | |
vierten Tag neben Beschäftigten, die seit Jahrzehnten für das Unternehmen | |
arbeiten. „Da waren selbst Leute, die eigentlich schon ausgesteuert sind | |
und gar nicht mehr aktiv arbeiten“, berichtet Neubert. Nichts zeige den | |
Zusammenhalt der Belegschaft in Zwickau deutlicher. | |
Doch welche Auswirkungen hat die Krise im Werk darüber hinaus? Als die taz | |
Zwickaus Oberbürgermeisterin Constance Arndt von der Wählervereinigung | |
Bürger für Zwickau am Telefon erreicht, sitzt sie gerade in ihrem | |
Dienstwagen. Es ist ein vollelektrischer VW ID.4, gebaut im Werk in | |
Zwickau. „Ich fahre das Auto sehr gerne und kann die Vorurteile, die es zum | |
Thema Elektromobilität gibt, nicht bestätigen“, sagt sie. Welche Kritik sie | |
hört? Die Reichweite sei zu gering, die Ladezeiten zu lang und die | |
Infrastruktur fehle. Aber laut Arndt ist unstrittig, „dass E-Mobilität eine | |
Zukunft hat“. Unter anderem deswegen ist die Oberbürgermeisterin auch | |
sicher: „Das Werk in Zwickau wird nicht schließen.“ | |
## Wenig Rückenwind aus der Politik | |
Sie bestätigt aber auch, sollte VW das Werk schließen, träfe das die Stadt | |
hart. Aktuell arbeitet rund jede:r Zehnte direkt für VW und fast jede:r | |
Dritte indirekt. In Zwickau spielt der Autobau schon seit 120 Jahren eine | |
große Rolle, drumherum haben sich Zulieferer und Reinigungsfirmen | |
etabliert. 1904 eröffnete dort August Horch, der Audi-Gründer, das erste | |
Automobilwerk. Ab 1958 produzierten die Werke in Zwickau den | |
massentauglichen Trabi und hörten bis 1991 nicht mehr damit auf. | |
Der Konzern aus Wolfsburg übernahm nach der Wende die Produktion und wurde | |
zu einem der größten Arbeitgeber in Sachsen. Im vergangenen Jahr liefen | |
dann 247.000 E-Autos vom Band. Um damit richtig Geld zu verdienen, müsse | |
der Autohersteller wettbewerbsfähig sein, sagt Arndt. Gleichzeitig sei aber | |
auch Verlässlichkeit wichtig, „das ist eine Botschaft, die ich an die | |
Politik richte“. Dass das Verbrenneraus immer wieder infrage gestellt | |
werde, sei unsäglich, sagt die Oberbürgermeisterin. Sie selbst verbreite | |
Optimismus, indem sie ihre positiven Erfahrungen mit dem ID.4 teile. Aber | |
die Situation bei VW, die könne sie nicht beeinflussen. „Das überschreitet | |
meine Kompetenzen“, sagt Arndt. | |
Gewerkschafter Knabel ist da anderer Meinung: Politiker:innen sollten | |
sich einmischen, argumentiert er. Wenn sie keine Verantwortung übernähmen, | |
„muss man sich nicht wundern, wenn Menschen den Glauben an | |
Wirkungsmächtigkeit von Politik verlieren“. Das sei Wasser auf die Mühlen | |
von Populisten. | |
Ähnlich verärgert klingt Knabel auch, wenn er über das Thema | |
„Technologieoffenheit“ spricht. Synthetische Kraftstoffe oder | |
Wasserstoffautos seien nun mal keine realistischen Mobilitätskonzepte. | |
„Technologieoffenheit ist nur eine Ausrede dafür, nichts zu tun“, | |
kritisiert er. Damit meine er auch die FDP in der Bundesregierung. | |
Elektromobilität brauche einen politischen Rahmen. | |
Eigentlich hat sich die Bundesregierung vorgenommen, E-Autos zu fördern, | |
als Teil einer klimafreundlichen Verkehrswende. Im Verkehrssektor in | |
Deutschland wurden im Jahr 2023 rund 146 Millionen Tonnen klima- und | |
gesundheitsschädliche Treibhausgase ausgestoßen. Das sind etwa 22 Prozent | |
aller Emissionen, die es in dem Jahr bundesweit gab. Der Großteil entsteht | |
im Straßenverkehr vor allem durch Pkw, Lastwagen, Busse und Motorräder mit | |
Verbrennungsmotor. In ihren Koalitionsvertrag hat die Ampel geschrieben, | |
mehr Geld in die Schieneninfrastruktur als in die Straße stecken zu wollen. | |
Und weil sie trotzdem mit mehr Verkehrsaufkommen insgesamt rechnet, sollen | |
bis 2030 insgesamt 15 Millionen vollelektrische Autos in Deutschland | |
unterwegs sein. Expert:innen glauben aber längst nicht mehr, dass dieses | |
Ziel zu schaffen sein könnte. Die Boston Consulting Group und die | |
Organisation Agora Verkehrswende halten 9 Millionen E-Autos für eine | |
realistischere Zahl. | |
Um die Verkäufe wieder anzukurbeln, will die Bundesregierung auf die | |
sogenannte Wachstumsinitiative und neue steuerliche Regelungen für | |
Firmenwagen setzen: Arbeitgeber sollen bald auch bei teureren E-Dienstwagen | |
mit einem Bruttolistenpreis von bis zu 95.000 Euro von Steuerermäßigungen | |
profitieren. | |
Robert Habeck, grüner Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, lud am | |
Montag zu einem digitalen Autogipfel ein. Per Videokonferenz tauschte er | |
sich mit Branchenverbänden, Autobauern und Gewerkschaftern aus, mit dem | |
Ziel, Wege aus der Automobilkrise auszuloten. Habecks Fazit nach dem | |
Autogipfel: lieber keine Maßnahmen als Schnellschüsse. Einer Idee der | |
SPD-Fraktion erteilte er eine Absage. Die hatte eine Neuaflage der | |
Abwrackprämie vorgeschlagen: Wer einen alten Verbrenner abgibt und dafür | |
ein E-Auto kauft, solle einen Bonus von bis zu 6.000 Euro bekommen. | |
Habeck will lieber in Brüssel dafür werben, die CO2-Flottengrenzwerte schon | |
2025, ein Jahr früher als geplant, zu überprüfen. Die EU-Verordnung regelt, | |
wie viel CO2 pro Kilometer alle Fahrzeuge eines Herstellers im Durchschnitt | |
ausstoßen dürfen. Die Grenzwerte sollen zunächst 2025, dann 2030 verschärft | |
werden. Den deutschen Autobauern drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe, | |
weil sie diese Klimavorgaben mit der Produktionsmenge an E-Autos nicht | |
einhalten. | |
Die Autohersteller hätten in den letzten Jahren über 130 Milliarden Euro | |
Gewinn gemacht, sagt die Umweltorganisation Transport & Environment. Sie | |
hätten genug Zeit gehabt, sich auf die CO2-Ziele vorzubereiten. | |
„Die aktuellen Vorschläge der Bundesregierung fördern vor allem | |
Spitzenverdiener“, sagt Christiane Averbeck, Geschäftsführende Vorständin | |
der Klima-Allianz Deutschland. Wenn weder Arbeitsplätze in der Branche, | |
noch die Klimaziele ins Wanken geraten sollen, brauche es eine sozial | |
gerechte Förderung. | |
Im europäischen Ausland liefen die Verkäufe elektrischer Pkw zuletzt | |
besser, der Absatz in der EU stieg im ersten Halbjahr 2024 um 9,4 Prozent, | |
Deutschland ausgenommen. Die Klima-Allianz lobbyiert deshalb für preiswerte | |
E-Auto-Leasingangebote, vor allem für Menschen mit niedrigem oder mittlerem | |
Einkommen und für eine Förderung kleiner E-Firmenwagen. | |
Der Umweltverbund Nabu plädiert wiederum für eine E-Auto-Quote bei | |
Dienstwagenflotten. Und der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland | |
bringt kreative Fahrzeugkonzepte für den ÖPNV ins Spiel: Mit der Produktion | |
von E-Fahrzeugen als Zubringer für Bus und Bahnlinien könnten die Autowerke | |
dauerhaft ausgelastet werden. | |
Udo Strewe aus Zwickau fand eigentlich den Vorschlag seiner SPD-Genossen, | |
die Neuauflage der Abwrackprämie, gut: „Zumindest ist das eine Idee.“ | |
Strewe selbst fährt zwar einen VW – aber noch keinen elektrischen. „Mein | |
nächster VW wird natürlich ein Stromer sein.“ Aktuell verstehe er, dass | |
vielen ein Elektroauto zu teuer ist. Auf lange Sicht seien eben günstigere | |
Autos nötig – und das sei Sache des Managements. „Die Konzernleitung ist | |
verantwortlich für die Fabrik, für die Mitarbeiter, für die Region und für | |
eine stabile Politik“, findet Strewe. Der Konzern, fordert die IG Metall, | |
solle endlich eine Zukunftsstrategie entwerfen. Und dann könne man mit den | |
Arbeiter:innen besprechen, wie das klappt. | |
25 Sep 2024 | |
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[2] /VW-Werk-in-Xinjiang/!6037849 | |
## AUTOREN | |
Nanja Boenisch | |
David Muschenich | |
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