Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Reform des Bundesverfassungsgerichts: Resilienz für die Roten Roben
> SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU wollen das Bundesverfassungsgericht vor der
> AfD schützen. Grund sind Erfahrungen aus Polen und Ungarn.
Bild: Hier sollen keine AfD-Roben hängen: SPD, Grüne, FDP und CDU wollen das …
[1][Das Bundesverfassungsgericht] soll besser vor der Einflussnahme von
Verfassungsfeinden geschützt werden. Darauf haben sich die Fraktionen von
SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU geeinigt. Bis Ende des Jahres soll das
Grundgesetz entsprechend geändert werden.
Ausgangspunkt der Diskussionen war die Erfahrung in Ungarn und Polen, wo
die autoritären Regierungen möglichst kurz nach ihrer Wahl das jeweilige
Verfassungsgericht auf Linie brachten, um dessen unabhängige Kontrolle
auszuschalten. Möglich war das, weil in Polen und Ungarn die
Verfassungsrichter:innen mit einfacher Mehrheit gewählt werden. Das
heißt, die Regierungsmehrheit konnte ihr genehme Verfassungsrichter wählen.
Um die Mehrheit im Verfassungsgericht möglichst schnell zu erringen, senkte
Ungarn das Pensionsalter, sodass schnell viele Richter:innen neu
gewählt werden mussten. [2][In Polen ging die PiS-Regierung anders vor:]
Sie blockierte das Gericht, indem sie ihm vorschrieb, die Fälle in der
Reihenfolge ihres Eingangs bei Gericht abzuarbeiten statt nach Relevanz.
Um zumindest manche dieser Strategien zu verhindern, [3][soll nun das
Grundgesetz geändert werden]. Manche der geltenden Strukturmerkmale des
Bundesverfassungsgerichts sollen ausdrücklich in der Verfassung geregelt
werden: die zwölfjährige Amtszeit der Richter, die Altersgrenze von 68
Jahren, dass es zwei Senate mit insgesamt 16 Richtern gibt, dass diese
nicht wiedergewählt werden können, dass ein Verfassungsrichter sein Amt
behält, bis die Nachfolgerin gewählt ist, dass Urteile des
Verfassungsgerichts bindend sind und dass das Gericht seine
Geschäftsordnung selbst regelt.
## Ein entscheidender Punkt fehlt
Die AfD – oder eine andere extreme Partei – könnte dann also selbst mit
einer Mehrheit im Bundestag nicht (wie in Ungarn) das Pensionierungsalter
der Richter absenken oder dem Gericht (wie in Polen) eine bestimmte
Reihenfolge seiner Arbeit auferlegen.
Allerdings fehlt ein entscheidender Punkt: Dass die Verfassungsrichter mit
Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden müssen, soll nicht im Grundgesetz
stehen. Die AfD könnte mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag also
weiterhin das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht so ändern, dass
künftig eine einfache Mehrheit für die Verfassungsrichterwahl genügt.
Sodann könnte die AfD mit ihrer einfachen Mehrheit die Hälfte der
Verfassungsrichter ohne Absprache mit anderen Fraktionen allein wählen. Die
andere Hälfte wählt der Bundesrat.
Der Grund für diese Inkonsequenz: Dass die AfD demnächst über eine absolute
Mehrheit im Bundestag verfügt, ist unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher
ist, dass sie – möglicherweise zusammen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht �…
mehr als ein Drittel der Mandate bekommt. Dann hätte sie eine
Sperrminorität und könnte verlangen, dass auch sie einen oder zwei
Verfassungsrichter:innen vorschlagen darf. Derzeit sind die
Vorschlagsrechte für die 16 Richterposten auf CDU/CSU (6), SPD (6), Grüne
(2) und FDP (2) aufgeteilt.
## Gefährliche Hintertür
Um ihre Forderung durchzusetzen, könnte sich die AfD weigern, Vorschläge
von anderen Fraktionen zu wählen. Auf lange Sicht wäre so die
Arbeitsfähigkeit des Verfassungsgerichts gefährdet. Es wäre deshalb
verlockend, in dieser Konstellation doch die Wahl der Verfassungsrichter
mit einfacher Mehrheit zuzulassen, obwohl man dies eigentlich vermeiden
wollte.
Eigentlich muss sich das Bündnis der vier Fraktionen diese gefährliche
Hintertür aber gar nicht offenlassen. Denn sein Vorschlag sieht bereits
eine effektive Möglichkeit vor, eine Blockade der Richterwahl im Bundestag
aufzulösen. Wenn binnen sechs Monaten nach Ende der Amtszeit die Wahl eines
Nachfolgers nicht gelingt, soll statt dem Bundestag der Bundesrat wählen.
Die Gefahr, dass die AfD dort auch eine Sperrminorität von einem Drittel
erreicht, ist deutlich geringer: Es würde nicht einmal genügen, dass die
AfD in allen ostdeutschen Bundesländern inklusive Berlin an der Regierung
beteiligt ist. Die etablierten Parteien sichern so, dass sie die AfD nicht
an der Verfassungsrichterwahl beteiligen müssen, ohne das Erfordernis einer
Zwei-Drittel-Mehrheit abzusenken.
## Der Kompromiss als heikles Projekt
Der gleiche Ersatzwahlmechanismus soll umgekehrt auch gelten, wenn die
Verfassungsrichterwahl im Bundesrat blockiert ist und im Bundestag nicht.
Das ist allerdings recht unwahrscheinlich.
Vertreter:innen der vier Fraktionen stellten die Einigung am Dienstag
bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Justizminister Marco Buschmann
(FDP) vor. „Es ist ein guter Tag für die Verfassungskultur im Land“, freute
sich Buschmann. „Jetzt ist der Rechtsstaat noch besser gegen
Verfassungsfeinde abgesichert“, bilanzierte SPD-Rechtspolitiker Johannes
Fechner.
Tatsächlich war es über Monate hinweg gelungen, die Arbeit an dem
Kompromiss vertraulich zu halten. Das Projekt war heikel, weil die CDU/CSU
im Februar schon einmal ausgestiegen war. Fraktionschef Friedrich Merz
bekam daraufhin aber soviel Gegenwind, auch aus der eigenen Fraktion, dass
er schnell zurückruderte.
Der gemeinsame Gesetzentwurf soll nun den Fraktionen vorgestellt und dann
von diesen in den Bundestag eingebracht werden. Bis Ende des Jahres sollen
die Grundgesetzänderungen in Bundestag und Bundesrat beschlossen sein. Die
nötige Zwei-Drittel-Mehrheit haben SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU. Noch.
23 Jul 2024
## LINKS
[1] /70-Jahre-Bundesverfassungsgericht/!5799804
[2] /Verfassungsexpertin-ueber-Polen/!5988569
[3] /Schutz-des-Bundesverfassungsgerichts/!5985747
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Bundesverfassungsgericht
Ampel-Koalition
Rechtsstaatlichkeit
Rechtsstaat
Demokratie
Verfassung
Schwerpunkt Grundgesetz
Schwerpunkt AfD
Social-Auswahl
Schwerpunkt Grundgesetz
Ampel-Koalition
Schwerpunkt AfD
Demokratie
Polen
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Grundgesetzänderung im Bundestag: BSW und AfD sollen draußen bleiben
Die Resilienz des Bundesverfassungsgerichts soll gegen Demokratiefeinde
gestärkt werden. Der Bundestag hat mit großer Mehrheit zugestimmt.
Folgen des Koalitionsbruchs: Demokraten sind nicht doof – hoffentlich
SPD, CDU, Grüne, Linke und FDP waren sich einig, das Verfassungsgericht vor
politischen Angriffen zu schützen. Gilt das auch nach dem Koalitionsbruch?
Schutz des Verfassungsgerichts: Im Namen des Berliner Volkes
Berlins Verfassungsgericht ist nicht voll gegen Angriffe von
Demokratiefeinden geschützt. Politik und Wissenschaft streiten noch über
nötige Maßnahmen.
Resilienz des Bundesverfassungsgerichts: Schutzwall für Karlsruhe
Der Bundesrat will, dass gesetzliche Änderungen zum
Bundesverfassungsgericht nur noch mit seiner Zustimmung möglich sind. Die
CDU/CSU ist dagegen.
Verfassungsexpertin über Polen: „Reparaturarbeiten sind schwierig“
Zurück zum Rechtsstaat, das ist das Ziel von Polens neuer Regierung. Die
Verfassungsrechtlerin Ewa Łętowska erklärt, warum das so kompliziert ist.
Die AfD und der Rechtsstaat: Von wegen Law and Order
Als deutsche Partei für Recht und Ordnung, so inszeniert sich die AfD gern.
Ein Blick in die Praxis zeigt: Das Gegenteil stimmt.
70 Jahre Bundesverfassungsgericht: Bisweilen radikal
Im September 1951 wurde das Bundesverfassungsgericht gegründet. Welchen
Einfluss hat es heute? Die jüngsten Entscheidungen zeigen ein buntes Bild.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.