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# taz.de -- Schutz des Verfassungsgerichts: Im Namen des Berliner Volkes
> Berlins Verfassungsgericht ist nicht voll gegen Angriffe von
> Demokratiefeinden geschützt. Politik und Wissenschaft streiten noch über
> nötige Maßnahmen.
Bild: Stoppen, aber wie? Für den Verfassungsgerichtshof gibt es verschiedene S…
Berlin taz | Maximilian Steinbeis wirkt frustriert. Der Verfassungsexperte
sitzt am Montagvormittag auf einem Podium im Berliner Abgeordnetenhaus und
hat gerade eindringlich vor der AfD gewarnt: Die Partei nutze „gezielt,
strategisch und mit hoher Raffinesse“ rechtliche Mechanismen, um staatliche
Institutionen zu lähmen und zu diskreditieren. Einen derartigen Angriff auf
die demokratische Verfassung und ihre Organe habe es bislang noch nicht
gegeben, mahnt er.
Doch seine Worte scheinen zu verhallen – ausgerechnet hier, ausgerechnet
heute. Denn neben Steinbeis auf dem Podium sowie im Publikum sitzen
Schwergewichte der Berliner Landespolitik und des Justizapparates: darunter
Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU), die Präsidentin des
Abgeordnetenhauses Cornelia Seibeld (ebenfalls CDU) und die Präsidentin des
Verfassungsgerichtshofs, Ludgera Selting.
Er dramatisiere, wirft etwa die AGH-Präsidentin Seibeld dem
Verfassungsblog-Gründer vor. Berlin sei nicht schlecht abgesichert, was
etwa die Widerstandsfähigkeit des Landesverfassungsgerichtshofs angehe. Von
Richterin Selting heißt es, Instrumente dürften nun einmal nicht
instrumentalisiert werden – was für Mehrheiten wie für Minderheiten gelte.
Trotz der beschwichtigenden Reaktionen wird klar: Die Debatte um einen
stärkeren Schutz der demokratischen Institutionen vor populistischer,
autoritärer und rechtsextremer Einflussnahme hat auch Berlin erreicht. Auf
Bundesebene [1][läuft sie schon länger]; angesichts der Erfahrungen aus
[2][Polen] und [3][Ungarn] und den Wahlerfolgen der AfD arbeiten die
Ampelfraktionen gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion an einer Reform des
Bundesverfassungsgerichts.
## Sorge vor Thüringer Verhältnissen
Doch das dürfte nicht reichen, denn auch auf Länderebene kann eine starke
AfD viel Schaden anrichten. In Thüringen und in Brandenburg stellen die
jeweiligen AfD-Landtagsfraktionen [4][seit den Wahlen] mehr als ein Drittel
der Abgeordneten und verfügen so über eine Sperrminorität, mit der sie
Verfassungsänderungen oder die Wahl von Verfassungsrichter*innen
blockieren können. In Thüringen nutzte die AfD zudem die Position des
Alterspräsidenten, um [5][die konstituierende Sitzung des Landtags
lahmzulegen].
„Der Wille zur Macht trifft auf unzureichende Abwehrkräfte der Demokratie“,
analysiert Berlins Justizsenatorin am Montag die Ereignisse in Thüringen.
Wie sich diese Abwehrkräfte stärken ließen? Auf Ebene der Länder gehe es
vor allem darum, die Landesverfassungsgerichte zu schützen. Diese spielten
eine „wesentliche Rolle“ in der demokratischen Ordnung. In Berlin sieht sie
durchaus Handlungsbedarf. Die Stellung des Verfassungsgerichtshofs sei
„nicht ausreichend geregelt“, sagt die CDU-Politikerin.
## Schutz funktioniert in zwei Richtungen
Im Kern geht es dabei um zwei Probleme: Zum einen besteht die Gefahr, dass
eine Partei [6][die Besetzung von Richterposten blockiert] – etwa, wenn die
AfD über eine Sperrminorität im Parlament verfügt. Zum anderen sind viele
Regeln zum Verfassungsgerichtshof nicht in der Verfassung selbst
festgeschrieben, die nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden kann,
sondern im – einfachen – Gesetz über den Verfassungsgerichtshof: etwa die
Amtszeit der Richter*innen von sieben Jahren. Diese und weitere
Bestimmungen können deshalb mit einer einfachen Mehrheit im
Abgeordnetenhaus kassiert werden.
Schutz funktioniert also, und das scheint paradox, in zwei Richtungen: An
einigen Stellen müssten Hürden gesenkt werden – wie bei der Richterwahl –,
um Blockaden zu verhindern; bei anderen Punkten müssten Hindernisse erhöht
werden, um Eingriffen nach dem Gusto der jeweiligen Regierung vorzubeugen.
## Ein Vorschlag liegt schon auf dem Tisch
Erste Ideen, wie das in Berlin funktionieren könnte, hat die SPD-Fraktion
am Freitag vorgestellt. Der Vorschlag konzentriert sich dabei auf das
erstgenannte Problem: die Möglichkeit von Blockaden. SPD-Rechtsexperte Jan
Lehmann empfiehlt, weitere Wege zur Richterwahl zu öffnen, falls eine
Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament nicht zustande kommt. Dann soll der
Verfassungsgerichtshof selbst Kandidaten vorschlagen dürfen.
Klappt deren Wahl dann auch nicht, bringt Lehmann eine „Verfassungssynode“
ins Spiel, die mit einfacher Mehrheit neue Richter*innen ans
Verfassungsgericht wählen könnte. Dem Gremium könnten demnach der
Regierende Bürgermeister, Justizsenator, Präsidenten verschiedener Gerichte
und Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes angehören.
Für eine solche Verfassungsänderung bräuchte die SPD nicht nur die
Zustimmung auch des Koalitionspartners CDU, sondern auch von Linken und
Grünen. Mit der CDU war Lehmanns Vorstoß nicht abgesprochen,
CDU-Fraktionschef Dirk Stettner zeigte sich am Wochenende jedoch offen für
„Vorschläge, die dazu beitragen, unsere Demokratie resilient gegen
Extremisten zu machen“.
Die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, Ludgera Selting, will am
Montag den SPD-Vorstoß nicht kommentieren. Doch zwischen den Zeilen räumt
auch sie ein, dass es Bedarf geben könnte für einen
„Ersatzwahlmechanismus“. Auch Verfassungsexperte Steinbeis plädiert für
solche „Workarounds“. Dabei dürften sich aber nicht die demokratischen,
etablierten Parteien einfach das Zugriffsrecht auf Mandate und Ämter
sichern. „Es geht vielmehr um die grundsätzliche Frage, welche Regeln und
Institutionen man vor einer wie auch immer gearteten politischen
Einflussnahme schützen will“, betont Steinbeis.
4 Nov 2024
## LINKS
[1] /Reform-des-Bundesverfassungsgerichts/!6022610
[2] /Verfassungsexpertin-ueber-Polen/!5988569
[3] /Orbans-Souveraenitaetsgesetz/!6040676
[4] /Wahlen-in-Ostdeutschland-2024/!t5993946
[5] /AfD-blockiert-Landtag-in-Thueringen/!6036651
[6] /Berliner-Landesverfassungsgericht/!6018027
## AUTOREN
Hanno Fleckenstein
## TAGS
Schwerpunkt AfD
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