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# taz.de -- Libertäre zeichnen Javier Milei aus: Preisabsprache
> Der argentinische Präsident Milei erhält eine Medaille zu Ehren des
> Ökonomen Hayek. Die preisverleihende Hayek-Gesellschaft steht der AfD
> nahe.
Bild: Der argentinische Präsident Milei vor Anhänger:innen in Buenos Aires im…
Am 22. Juni bekommt [1][Hamburg hohen Besuch]. Dann verleiht die
Hayek-Gesellschaft Javier Milei die Hayek-Medaille. Laut der Gesellschaft
wird der Staatschef Argentiniens den Preis persönlich entgegennehmen. Man
verleihe Milei die Medaille, weil er Argentinien die Chance biete, einen
Weg einzuschlagen, „[2][der dieses Land wieder auf einen Wohlstandskurs
bringt]“, sagt der Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft, Stefan Kooths. „Es
geschafft zu haben, für ein ausdrücklich marktwirtschaftliches Programm
eine Mehrheit in den Wahlen zu erreichen“, sei alles andere als eine
Selbstverständlichkeit. „Das würdigen wir insbesondere auch mit dieser
Medaille.“
Milei und Hayek – das sind Namen mit Symbolkraft. Der eine verpasst seinem
Land ein [3][ökonomisches Schockprogramm], privatisiert Staatsunternehmen,
[4][kürzt Ausgaben] und dereguliert die Wirtschaft.
Der andere gilt seit jeher als Inbegriff liberalen Denkens. Friedrich
August von Hayek (1899–1992) war Jahrhundertökonom,
Wirtschaftsnobelpreisträger und Gegenspieler von John Maynard Keynes. Er
war einer der wichtigsten Vordenker des Neoliberalismus. In seinem Werk
„Der Weg zur Knechtschaft“ warnte er vor dem Sozialismus. Ein starker
Staat, der aktiv ins Wirtschaftsgeschehen eingreift, ist demnach eine
Gefahr für die individuelle Freiheit.
Diese Gedanken waren wirkmächtig. Es gibt die Anekdote, dass Margaret
Thatcher, die im Großbritannien der 1980er Jahren Unternehmen privatisierte
und Gewerkschaften bekämpfte, einst in einer hitzigen Diskussion eine
Ausgabe seines Buches „Die Verfassung der Freiheit“ aus ihrer Handtasche
geholt haben soll. Mit den Worten: „Wir glauben, dass das hier richtig
ist.“
Aber es gibt auch reichlich Kritik an Milei und Hayek. Auch die
Hayek-Gesellschaft ist nicht unumstritten, weil sie sich nicht gegenüber
der AfD abgrenzen will. „Wir haben es gar nicht nötig, uns von
irgendjemandem abzugrenzen, weil wir überparteilich organisiert sind“, sagt
dazu ihr Vorsitzender Kooths. „Wir sind eine wissenschaftliche
Gesellschaft. Und dazu gehört, Parteipolitik draußen zu lassen. So, wie es
alle anderen wissenschaftlichen Vereinigungen auch halten.“
## Mitglied der Hayek-Gesellschaft nahm an Treffen in Potsdam teil
Vor einigen Monaten gingen Hunderttausende Menschen überall in der
Bundesrepublik gegen die AfD auf die Straße. Ausgelöst hatte die Proteste
die Berichterstattung über ein Treffen von Rechtsextremisten vergangenen
November in Potsdam, auf dem unter anderem der bekannte österreichische
Neonazi Martin Sellner seinen Plan zur „Remigration“ von
Ausländer:innen vorstellte, zu denen er auch „nicht assimilierte“
deutsche Staatsbürger:innen mit Migrationsgeschichte zählte.
Und bei diesem Treffen unter anderem anwesend: Ulrich Vosgerau. Der Jurist
ist nicht nur eigenen Angaben zufolge Mitglied der Hayek-Gesellschaft, er
vertritt unter anderem auch den AfD-Politiker Björn Höcke. Und er soll im
August auf der Akademie der Freiheit, einer Konferenz der
Hayek-Gesellschaft, die sich an ein eher jüngeres Publikum richtet, reden.
Thema: Anatomie eines Skandals.
Für Kooths ist dies offenbar kein Problem. Auf Vosgerau angesprochen fallen
Sätze wie: Die Teilnahme an dem Treffen in Potsdam sei kein Grund,
„irgendjemand von etwas auszuschließen“.
Es komme immer noch darauf an, was gesagt worden sei und ob Mitglieder der
Gesellschaft Dinge sagen würden, „die mit der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung unvereinbar sind“. Vosgerau solcher Aussagen zu verdächtigen,
hält Kooths für „absurd“.
Der nordrhein-westfälische Landtag sieht das anders. Dessen
Enquete-Kommission „Krisen- und Notfallmanagement“ berief Vosgerau als
Sachverständigen der AfD ab. „Sachverständige eines parlamentarischen
Gremiums haben eine besondere Verantwortung für die Einhaltung der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung bzw. der Prinzipien unseres
Grundgesetzes und unserer Landesverfassung“, teilten CDU, SPD, Grüne und
FDP in einer gemeinsamen Erklärung mit. Vosgeraus Verhalten zeige, „dass er
als Sachverständiger in keiner Weise geeignet ist und seine Abberufung
zweifelsfrei notwendig war“.
## Umgang mit der AfD umstritten
Hört man sich in der Ökonomenszene um, besitzt Kooths durchaus einen guten
Ruf. Als Direktor der Konjunkturabteilung des Kieler Instituts für
Weltwirtschaft arbeitet er regelmäßig zusammen mit anderen Ökonomen
führender Institute an einer Gemeinschaftsprognose. Er soll ein gefragter
Gesprächspartner sein, der hart aber fair diskutiert. Öffentlich zu ihm
äußern will sich keiner der angefragten Ökonomen. Doch gleichzeitig ist er
eben auch der Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft, die wegen ihres Umgangs
mit der AfD bereits etliche Mitglieder verloren hat.
„Es ist unglücklich, dass Hayeks Name mit der Gesellschaft in eine Richtung
geschoben wird, in die er nicht gehört“, sagt der ehemalige Chefvolkswirt
der Deutschen Bank, Thomas Mayer, über die Gesellschaft, die 1998 gegründet
wurde mit dem Zweck der „Förderung der wirtschafts-, rechts- und
gesellschaftswissenschaftlichen Forschung und Erkenntnis im Geiste
Friedrich August von Hayeks“, wie es in ihrer Satzung heißt. Mayer verließ
den Verein 2021.
Damals kam es auch zum Bruch zwischen der Friedrich August von Hayek
Stiftung für eine freie Gesellschaft und der Hayek-Gesellschaft.
Streitpunkt war der Umgang mit der AfD, nachdem diese vom Verfassungsschutz
als Verdachtsfall eingestuft wurde.
Dies war nicht die erste Spaltung wegen der AfD. Bereits 2015 verließen
viele renommierte Mitglieder nach einem internen Streit über den Umgang mit
der rechtsextremen Partei die Gesellschaft. Darunter zum Beispiel der
ehemalige Wirtschaftsweise Lars Feld oder der Chef des Instituts der
deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther.
## Merz feiert Hayek
Dabei erlebt der Name Hayeks derzeit eine Renaissance, die weit ins
bürgerliche Lage reicht. Das mag zum einen an diversen Jubiläen liegen –
vor 80 Jahren erschien sein Buch „Der Weg zur Knechtschaft“, am 8. Mai
jährte sich sein 125. Geburtstag. Zum anderen mag die Renaissance am Wunsch
liberaler und konservativer Ökonomen liegen, wieder in die Offensive zu
kommen.
Schließlich diskutiert die Wirtschaftswissenschaft derzeit lieber, wie die
Schuldenbremse reformiert werden oder der Staat aktiv Industriepolitik
betreiben kann, statt dass sie sich an neoliberale Dogmen hält, denen
zufolge sich die Politik aus dem Wirtschaftsgeschehen heraushalten sollte.
„Mehr Vertrauen in die Kraft und Anpassungsfähigkeit marktwirtschaftlicher
Instrumente, gepaart mit mehr Skepsis gegenüber immer detaillierteren
staatlichen Interventionen zur Planung und Steuerung der Wirtschaft,
entscheiden über die Zukunftsfähigkeit auch unserer heutigen Demokratien“,
schrieben etwa Wirtschaftsweise Veronika Grimm, Ex-Bundesbankchef Jens
Weidmann und Ökonom Stefan Kolev in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der
FAZ zu Hayeks geistigem Vermächtnis.
Und CDU-Chef Friedrich Merz twitterte: „Hayek schreibt: Setzt der Staat
eine überbordende Bürokratie in Gang, verliert er seinen Wohlstand und auch
seine Freiheit. Was wir in Berlin mit #SPD und #Grünen erleben, ist das
Gegenteil dessen, was Freiheit und Innovation ermöglicht. Es ist der Weg in
die Knechtschaft.“
Am extremen Rand dieses liberalen bis libertären Spektrums steht
Argentiniens Präsident Javier Milei. Er bezeichnet sich selbst als
Anarchokapitalist. Andere nennen ihn libertär, ultraliberal,
ultrakonservativ oder rechtspopulistisch. Staatliche Unternehmen
privatisiert er, Subventionen auf Gas, Wasser, Strom und den öffentlichen
Nahverkehr kürzt er, dafür fördert er Großinvestitionen mit einer Vielzahl
von Steuer-, Zoll- und Wechselkursvergünstigungen.
Eine Forderung, mit der Milei im Wahlkampf für viel Furore sorgte, zeigt,
wie radikal er den Staat aus der Wirtschaft zurückdrängen will: D[5][ie
argentinische Notenbank solle abgeschafft] und der US-Dollar als
offizielles Zahlungsmittel eingeführt werden.
## Sozial nicht so liberal
Je liberaler Milei in Wirtschaftsfragen ist, [6][desto weniger liberal ist
er in anderen]. Das [7][Recht auf Abtreibung will er abschaffen] – selbst
für Vergewaltigungsopfer, das Demonstrationsrecht wurde bereits verschärft
und regieren will Milei am liebsten [8][mit Sondervollmachten am Parlament
vorbei].
Für die Hayek-Gesellschaft ist diese Seite Mileis offenbar kein Grund gegen
die Preisverleihung. Zum Thema Abtreibung sagt Kooths, dass dabei zwei
Menschenrechte gegeneinander stehen würden. „Da darf eben auch das
Lebensrecht des ungeborenen Kindes nicht einfach hinten runterfallen. Das
sind am Ende normative Abwägungen, bei der keine Seite den Liberalismus
exklusiv für sich reklamieren kann.“
Auch Hayek hatte Seiten, die nicht in ein liberales Weltbild passen.
Kritiker werfen ihm eine Nähe zum chilenischen Diktator Augusto Pinochet
vor. Bekannt ist Hayeks Satz: „Ich bevorzuge einen liberalen Diktator
gegenüber einer demokratischen Regierung ohne Liberalismus.“
15 Jun 2024
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## AUTOREN
Simon Poelchau
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