Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Räumung eines Camps an der FU Berlin: Protestbefreite Universität
> Propalästinensische Studierende besetzen einen Innenhof an der Freien
> Universität. Kurz darauf wird geräumt. Lehrkräfte solidarisieren sich mit
> den Protesten.
Bild: Polizei, Protest und Gegenprotest: Szene aus dem Theaterhof der FU Berlin…
Berlin taz | Gegen 13.30 Uhr ist es soweit: Die Polizei beginnt mit der
Räumung des propalästinensischen Protestcamps an der Freien Universität
(FU) Berlin. Die Demonstrant*innen sitzen auf dem Boden, eng ineinander
verhakt. Nach und nach ziehen Polizisten Personen einzeln raus, teils unter
Anwendung von Schmerzgriffen, und führen sie vom Gelände – alles unter
lautstarkem Protest. An den Fenstern der angrenzenden Räume der Uni
klopfen, skandieren und klatschen weiterhin Student*innen zur
Unterstützung der Besetzer*innen.
Am Dienstagmorgen hatten hier, im Theaterhof der „Rost- und Silberlaube“
der FU in Dahlem, etwa 150 Studierende Zelte, Bänke und einen kleinen
Pavillon aufgestellt und Transparente aufgehängt. Fast alle tragen Kufijas;
in der Mitte der Freifläche steht eine Frau mit Megafon. „We are the
students, let's stop the bombing now“, ruft sie, gefolgt vom umstrittenen
Sprechchor „From the River to the Sea, Palestine will be free“. Die Menge
jubelt und applaudiert.
An einer Wand bringen die Protestierenden eine Liste mit Namen von in Gaza
getöteten Palästinenser*innen an. Unter dem Pavillon wird ein kleiner
Infostand eingerichtet, es gibt Äpfel, Tee und Informationsbroschüren zu
den Themen „Occupying Berlin Universities“ und „Intifada, Widerstand
überall in diesem Land“.
Die Person an dem Stand sagt der taz: „Eigentlich haben wir gerade
eingeladene Redner:innen für Diskussionsrunden, aber sie werden von der
Polizei nicht durchgelassen.“ Eine weitere Protestierende ist aufgebracht.
Sie sagt, sie habe nicht gedacht, „dass in Deutschland die Demokratie so
dünnhäutig ist. Kulturelle und Bildungseinrichtungen beziehen faschistische
Positionen.“
## Schnell formiert sich auch Gegenprotest
Doch nicht allen gefällt, was hier passiert: In Hörweite steht ein Person,
sie hat eine Israelfahne um sich gebunden. Sie wolle sich nicht
einschüchtern lassen, aber in Anbetracht dessen, was hier in der
Universität vor sich gehe, habe sie als Jüdin große Angst, sagt sie. „Der
Antisemitismus, der in der Uni offen zur Schau getragen wird, ist
unerträglich.“ Auch aus dem Fenster eines an den Innenhof grenzenden Raums
hat jemand eine Israelflagge gehängt.
„Die Situation für jüdische Studierende wird zunehmend unsicher“,
kritisiert auch Noam Petri, Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion,
gegenüber der taz. Petri berichtet, viele jüdische und proisraelische
Kommiliton:innen würden Drohnachrichten erhalten. „Die Situation hat
sich nicht beruhigt, davor warnen wir schon lange.“
## Gruppe fordert „akademischen Boykott“ Israels
Auf der Social-Media-Plattform Instagram hatte die propalästinensische
Gruppe „Student Coalition Berlin“ (SCB) vor der Besetzung [1][einen
umfassenden Forderungskatalog veröffentlicht]. Unter anderem solle die
Universität für einen sofortigen Waffenstillstand und Stopp deutscher
Rüstungsexporte einstehen.
Auch verlangt die Gruppe einen umfassenden kulturellen und akademischen
Boykott Israels – was auch ein Ende der wissenschaftlichen Kooperationen
der FU mit israelischen Universitäten bedeuten würde. SCB kündigte an,
„keine Verhandlungen oder Kompromisse“ akzeptieren zu wollen.
Eine FU-Sprecherin erklärte gegenüber der taz, die Protestierenden hätten
am Dienstagmorgen auch versucht, in Räume und Hörsäle einzudringen. Nachdem
die Besetzer:innen Verhandlungen abgelehnt hätten, habe die
Universitätsleitung bereits am Vormittag die Räumung des Camps veranlasst.
„Diese Form des Protests ist nicht auf Dialog ausgerichtet. Wir stehen für
eine wissenschaftlichen Dialog zur Verfügung – aber nicht auf diese Weise“,
sagte Universitätspräsident Günter Ziegler. Ziegler stellte klar, dass die
FU einen akademischen Boykott Israel „entschieden ablehnt“.
## Lehrkräfte kritisieren Unileitung
Zahlreiche Lehrkräfte üben wiederum an dieser Haltung Kritik. „Es ist keine
Voraussetzung für grundrechtlich geschützten Protest, dass er auf Dialog
ausgerichtet ist“, heißt es in einem [2][Statement, das rund 100 Lehrkräfte
von Berliner und anderen Hochschulen] unterzeichnet haben. „Unabhängig
davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden
sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf
friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt.“
Angesichts der sich zuspitzenden Lage in Gaza „sollte die Dringlichkeit des
Anliegens der Protestierenden auch für jene nachvollziehbar sein, die nicht
alle konkrete Forderungen teilen oder die gewählte Aktionsform für nicht
geeignet halten“. Die Wissenschaftler*innen forderten die Leitungen
der Berliner Universitäten auf von einer polizeilichen oder auch
strafrechtlichen Verfolgung ihrer Studierenden abzusehen. „Der Dialog mit
den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen
Öffentlichkeit sollte oberste Priorität haben.“ Mit Polizeieinsätzen auf
dem Campus sei dies nicht vereinbar.
Und doch kommt es genau so: Ab Mittag umstellt die Polizei den Theaterhof,
auch auf den angrenzenden Dächern haben sich Beamte positioniert. Nur
anderthalb Stunden nach Beginn der Räumung ist der Theaterhof leer. Zelte,
Decken, Plakate und das Megafon der Protestierenden liegen
zusammengeschoben am Rand der Freifläche. Wie die Polizei später mitteilte,
wurden 79 Personen festgenommen und nach Identitätsfeststellungen
entlassen. 80 Ermittlungsverfahren sowie 79 Ordnungswidrigkeitenverfahren
wurden eingeleitet.
Vor dem Eingang zum Gebäude haben sich in der Zwischenzeit proisraelische
Demonstrant*innen zu einer Gegenkundgebung versammelt. Die etwa 35
Personen tragen Israelfahnen und Plakate, etwa mit der Aufschrift „Jewish
Lives Matter“. Gegenüber stehen die verbliebenen propalästinensischen
Demonstrant*innen. Die Polizei versucht, sie des Geländes zu verweisen.
## Spannungen seit Monaten spürbar
Das schnelle und repressive Vorgehen der Universitätsleitung gegen die
Besetzung kommt wenig überraschend. Bereits am Freitag hatte die
Humboldt-Universität ein propalästinensisches Sit-in von rund 150 Personen
auf der Wiese vor dem Hauptgebäude in Mitte nach wenigen Stunden räumen
lassen. Die Polizei erklärte, es seien 37 Ermittlungsverfahren wegen
möglicher Fälle von Volksverhetzung sowie Widerstands gegen
Vollstreckungsbeamte eingeleitet worden.
An der Freien Universität hingegen war es in den vergangenen Monaten ruhig
geblieben, obwohl Spannungen zwischen propalästinensischen und
proisraelischen Studierenden spürbar waren. [3][Im Dezember hatten
propalästinensische Aktivist*innen einen Hörsaal besetzt], der
ebenfalls schnell geräumt wurde. Damals kam es zu Handgreiflichkeiten
zwischen proisraelischen und propalästinensischen Studierenden.
Besonders der jüdische FU-Studierende Lahav Shapira geriet währenddessen
auf der Social-Media-Plattform X in den Fokus propalästinensischer
Aktivist:innen. Im Januar [4][verprügelte ein Kommilitone Shapira und
verletzte ihn schwer]. Die Polizei vermutet, dass das Motiv für den Angriff
die vorangegangene Auseinandersetzung über den Gazakrieg war.
Infolge des Angriffs [5][beschloss der Senat im April eine beispiellose
Verschärfung des Hochschulgesetzes], die in Zukunft auch Exmatrikulationen
aus politischen Gründen ermöglichen soll. Sowohl hochschulpolitische
Gruppen als auch zahlreiche Akademiker:innen kritisierten diesen
Schritt als Gefahr für die Meinungsfreiheit an den Berliner Universitäten.
## Schwappt die Protestwelle aus den USA nach Deutschland?
Hinter dem harten Durchgreifen am Dienstag steht wohl auch die Angst der
Behörden, die [6][Protestwelle an den US-amerikanischen Universitäten]
könnte nach Deutschland überschwappen. So besetzten Studierende der New
Yorker Columbia University über mehrere Wochen eine Wiese, um gegen die
Verstrickungen ihrer Universität im Gazakrieg zu protestieren. Anfang Mai
ließ die Uni das Camp mit einem martialischen Polizeiaufgebot räumen.
Die Aktionsform fand landes-, inzwischen auch weltweit Nachahmer*innen.
Außer in Berlin gab es am Dienstag auch an der Uni Wien einen Versuch
propalästinensischer Aktivist:innen, ein Protestcamp zu errichten. An der
Uni Leipzig besetzten Studierende den Audimax. In Amsterdam räumte die
Polizei ein am Montag errichtetes Camp mit schwerem Gerät.
Aktualisiert: 8. Mai, 15.38 Uhr.
7 May 2024
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/student_coalition_berlin/p/C6qRfYjMeRc/
[2] https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfVy2D5Xy_DMiaMx2TsE7YediR6qifxoLD…
[3] /Deutsche-Unis-im-Nahostkrieg/!5975849
[4] /Antisemitismus-an-der-FU-Berlin/!5987400
[5] /Verschaerfung-des-Hochschulgesetz/!5994788
[6] /Proteste-gegen-Gaza-Krieg-an-US-Unis/!6005863
## AUTOREN
Kai Liesegang
Jonas Wahmkow
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Freie Universität Berlin
Protestcamp
Polizei Berlin
Antisemitismus
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Besetzung
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Universität Hamburg
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Antisemitismus
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
USA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte um Nahost: Ich würde gerne verstehen
Der 7. Oktober und die darauf folgenden Proteste haben Spuren hinterlassen.
Wie ist ein Dialog möglich?
Propalästina-Proteste an deutschen Unis: Wo endet die Meinungsfreiheit?
Der Nahostkrieg spaltet die Uni-Landschaft. Jüdische Studierende fühlen
sich bedroht, propalästinensische Aktivist:innen beklagen, sie würden
nicht gehört.
Pro-Palästina-Besetzung in Berlin: Gaza-Protest erreicht Humboldt-Uni
Rund 100 Personen besetzen ein Gebäude der Humboldt-Universität in Berlin.
Die Uni-Leitung will sie zunächst dulden.
Pro-Palästina-Schülerstreik in Neukölln: Jung-Kommunisten in der Sonnenallee
Ein Kommunistischer Jugendbund und die Migrantifa demonstrieren für
Palästina. An der Humboldt-Universität kommt es erneut zu Besetzungen.
Demonstration zum Nakba-Tag in Berlin: Trotz und Pathos
Hunderte ziehen durch Charlottenburg, um an die Vertreibung von
Palästinenser während des arabisch-israelischen Kriegs 1947 bis 1949 zu
erinnern.
Palästina-Demo an TU Berlin: Polizei hält sich zurück
An der Technischen Universität Berlin protestieren rund 150 Studierende
gegen den Krieg in Gaza. Die Uni-Präsidentin setzt auf Dialog – und besucht
die Kundgebung.
Antisemitismus in Hamburg: Gewalt gegen Zuhörerin an der Uni
Eine Aktivistin schlägt einer Frau nach einer Vorlesung zu
Judenfeindlichkeit ins Gesicht. Deutsch-Israelische Gesellschaft fordert
Protestcamp-Räumung.
Besetzungen von Hochschulen: Streit um Palästina-Proteste
Mehr als 100 Uni-Dozent:innen kritisieren in einem Brief die Räumung von
Besetzungen an Universitäten. Die Wissenschaftsministerin reagiert empört.
Pro-palästinensischer Protest an Unis: Washington, Leipzig, Berlin geräumt
Die Polizei hat an Unis in Washington, Berlin und Leipzig
pro-palästinensische Protestcamps geräumt. In Bremen wurde eines gerade
erst aufgebaut.
Propalästinensische Gruppen in Hamburg: Protestcamp vor Uni
Propalästinensische Gruppen haben ein Protestcamp in Uni-Nähe organisiert.
Die Stimmung vor Ort ist friedlich, aber das Misstrauen ist groß.
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: USA stoppt Waffenlieferungen
Israel öffnet einen Grenzübergang nach Gaza für Hilfslieferungen. USA legen
Bombenlieferung an Israel auf Eis. Weiter Streit um Besetzungen deutscher
Unis.
Meinungsfreiheit in Deutschland: Neuer Radikalenerlass befürchtet
Der Berliner Senat will eine umstrittene „Antisemitismusklausel“ einführen.
Verfassungsrechtler fürchten einen Dammbruch.
Soziologe Ullrich zu Protesten am 1. Mai: „Nationaler Furor“
Die 1.-Mai-Demo in Berlin war geprägt von Pro-Palästina-Slogans. Peter
Ullrich spricht über die Empörung der Bewegung, Antisemitismus und
Repression.
Proteste gegen Gaza-Krieg an US-Unis: Der Campus als Kampfzone
Zeltlager, Polizeieinsätze, antisemitische Sprüche: Die Gazakrieg-Proteste
spalten die US-Universitäten. Ein Besuch an der Columbia in New York.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.