# taz.de -- Proteste gegen Gaza-Krieg an US-Unis: Der Campus als Kampfzone | |
> Zeltlager, Polizeieinsätze, antisemitische Sprüche: Die | |
> Gazakrieg-Proteste spalten die US-Universitäten. Ein Besuch an der | |
> Columbia in New York. | |
Bild: Pro-palästinensische Aktivist:innen protestieren am 22. April auf dem Ca… | |
Die Aufgeregtheit setzt weit vor den Toren der Columbia-Universität ein. | |
Eigentlich schon in der U-Bahn, Linie Nummer 1. An der Station an der 116. | |
Straße in Manhattan sieht man immer wieder junge Menschen mit | |
schwarz-weißer Kufija aussteigen und sich ihren Weg Richtung Protestlager | |
bahnen. Vorbei an den Kameras, vorbei an den vielen Polizist:innen und | |
vorbei an einem schwarz vermummten Mann, der hier an der Straßenecke seit | |
Tagen ausharrt. Auf seinem Plakat ist ein Davidstern aufgemalt. Die Wörter | |
„Lügen“, „Betrügen“, „Stehlen“ und „Töten“ stehen jeweils in… | |
Posters. Pfeile zeigen von ihnen auf den Davidstern. „Israel“ ist in die | |
Mitte des Sterns geschrieben. | |
Die Reaktion Israels auf die Massaker der Hamas am 7. Oktober und der Krieg | |
in Gaza treiben die US-amerikanischen Universitäten seit Monaten um. Immer | |
wieder gab es Demos und Störaktionen von propalästinensischen | |
Aktivist:innen auf Uni-Plätzen und in Vorlesungen, jüdische Studierende | |
berichteten von antisemitischen Anfeindungen und Hate Speech. In den | |
vergangenen zwei Wochen hat sich die Situation aber noch einmal stark | |
zugespitzt. | |
Am Mittwoch vor einer Woche errichteten Studierende der | |
Columbia-Universität, die zur Ivy League der altehrwürdigen US-Elite-Unis | |
gehört, ein Zeltlager für Palästina-Solidarität auf dem Campus. Die | |
Demonstrant:innen forderten unter anderem den Abbruch finanzieller | |
Verbindungen der Universität zu Israel. Die Columbia-Universität hat ein | |
Stiftungsvermögen von mehr als 14 Milliarden US-Dollar, das sie auch | |
gewinnbringend anlegt. | |
Die Protestierenden forderten ein Ende der Zusammenarbeit der Columbia mit | |
Unternehmen, die die israelische Kriegsführung in Gaza unterstützen – auch | |
akademische Beziehungen mit der Universität in Tel Aviv sollten beendet | |
werden, solange diese nicht palästinensische Studierende aus dem | |
Westjordanland und Gaza annehme. | |
Am Tag nach der Errichtung des Camps schickte Uni-Präsidentin Minouche | |
Shafik die Polizei aufs Universitätsgelände, um das Zeltlager zu räumen. | |
Die Cops verhafteten mehr als 100 Demonstrant:innen, darunter auch | |
progressive Jüdinnen und Juden, die dort mitprotestierten. | |
Kurze Zeit später bauten die Studierenden die Zeltstadt wieder auf – dieses | |
Mal auf der gegenüberliegenden Rasenseite. | |
An der Columbia zeigt sich ein Dilemma, vor dem Universitäten im ganzen | |
Land stehen. Sie müssen entscheiden, was Vorrang hat: Recht und Ordnung und | |
das Bedürfnis vieler Studierender, sich auf dem Campus sicher und frei von | |
verbalen Attacken und Störaktionen zu bewegen. Oder der Drang anderer | |
Studierender, ihre politische Meinung frei zu äußern und gegen das | |
menschliche Leid in Gaza zu protestieren. Gleichzeitig häufen sich Berichte | |
über Vandalismus, antisemitische Übergriffe und Belästigungen von jüdischen | |
Studierenden. | |
Auch [1][an der Yale-Universität in New Haven] und an der | |
New-York-Universität im unteren Teil Manhattans gab es bei Protesten in den | |
vergangenen Tagen Polizeieinsätze und Verhaftungen. Am Montag wurde der | |
Unterricht an der Columbia nur online abgehalten, dann auf Hybrid | |
umgestellt – eine Alternative für Studierende, die sich auf dem Campus | |
nicht sicher fühlen. | |
Der [2][Rabbiner Elie Buechler schrieb in einem Brief] an seine jüdischen | |
Studierenden: „Es schmerzt mich zutiefst, Ihnen sagen zu müssen, dass ich | |
Ihnen dringend empfehle, so schnell wie möglich nach Hause zurückzukehren | |
und dort zu bleiben, bis sich die Lage auf dem Campus und in der Umgebung | |
dramatisch verbessert hat.“ | |
Kurz darauf widersprach [3][die jüdische Studierendenorganisation Hillel] | |
der Warnung von Elie Bluechler, dass jüdische Studierende auf dem | |
Columbia-Campus nicht sicher seien. | |
Vor den streng bewachten Gittertoren der Universität stehen in diesen Tagen | |
oft Dutzende Reporter:innen. Für die Presse gelten zurzeit streng | |
kontrollierte „Besuchszeiten“. | |
## Politische Spielbälle | |
Am Mittwoch scheint die Sonne, auf dem Campus wuseln Studierende zwischen | |
der Zeltwiese und den Bibliotheken mit ihren korinthischen Säulen umher. | |
Sie verteilen Reis, Falafel und Teigtaschen mit Spinat. Es wird gequatscht | |
und gelacht, Palästina-Fahnen flattern im Wind. An diesem Nachmittag | |
erinnert das neu errichtete Zeltlager eher an ein Hippiefestival. Wie eine | |
Brutstätte des Extremismus wirkt es erst einmal nicht. | |
[4][Greg Khalil sitzt vor dem „Pulitzer-Gebäude“ der Journalismusschule] | |
der Universität und spricht in kompakten, makellos geschliffenen Sätzen. | |
Khalil trägt einen grauen Bart und besitzt ein einnehmendes Wesen. Er ist | |
Lehrbeauftragter der Fakultät, als einer der wenigen Dozierenden der | |
Columbia-Universität hat er palästinensische Wurzeln. Seine Verwandten | |
leben in der Nähe von Bethlehem. | |
Khalils Erzählung beginnt mit den Worten: „There is a much bigger story.“ … | |
Es gibt eine viel größere Geschichte. Die Universität hätte in ihrer | |
Verantwortung als Bildungsinstitution versagt: darin, eine Plattform für | |
die Studierenden zu schaffen, wo sie schwierige Gespräche führen und | |
Gegensätze aushalten können, sagt Khalil. „Wo, wenn nicht hier?“ | |
Bis zum 7. Oktober wollte man gar nicht über den Nahost-Konflikt sprechen, | |
weil das Thema als „zu kontrovers“ angesehen wurde. Nach dem Massaker der | |
Hamas sei man nur bereit gewesen, über Antisemitismus zu sprechen – ohne | |
Menschenrechte für alle anzusprechen. „In welcher Gesellschaft werden wir | |
leben, wenn wir unfähig sind, Journalisten dazu auszubilden, Fakten, | |
unterschiedliche Narrative und Geschichten zu sehen?“, sagt Khalil. | |
Uni-Präsidentin Minouche Shafik interessiere weder die Sicherheit ihrer | |
jüdischen noch ihrer palästinensischen Studierenden, die ebenfalls unter | |
Angriffen litten, sagt Khalil. Statt diese zu beschützen, gehe es ihr | |
darum, die Geldgeber der Universität zu befrieden – was den | |
Antisemitismusvorwurf zum politischen Spielball mache. Wenn eine | |
Universität die politischen Forderungen ihrer Geldgeber berücksichtigen | |
müsse, stehe ihre akademische Unabhängigkeit auf dem Spiel. | |
Khalil deutet auf die Treppen vor der großen Bibliothek. Eine Menschenmasse | |
hat sich dort versammelt, der Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses Mike | |
Johnson, ein trumpnaher Republikaner, hält dort gerade unter Buhrufen eine | |
Rede. | |
## „Nahrung für Antisemiten“ | |
Im Januar nahm Khalil auf eben jenen Treppen zum ersten Mal einen | |
gemeinsamen Protest mit israelischen und palästinensischen Fahnen zur | |
Kenntnis: ein ungewöhnlicher Anblick, er war beeindruckt. | |
Kurze Zeit darauf verschwanden die Demonstrant:innen. [5][Später erfuhr er, | |
dass man sie mit Skunk angegriffen haben soll] Skunk ist ein | |
nichttödliches, aber stark übel riechendes und häufig von der israelischen | |
Armee gegen Palästinenser:innen eingesetztes Kampfmittel. | |
15 Studierende mussten daraufhin im Krankenhaus behandelt werden. Die | |
Uni-Leitung setzte alles daran, den Angriff auf die „unangemeldete | |
propalästinensische Demonstration“ herunterzuspielen, ohne die israelischen | |
Fahnen der Protestierenden auch nur zu erwähnen. | |
„Und jetzt denken wir das Ganze mal umgekehrt“, sagt Khalil. „Wenn das | |
proisraelische Studierende gewesen wären, würden wir bis heute jeden Tag | |
über diesen Angriff sprechen.“ Die attackierten Studierenden sagten aus, | |
dass die Angreifer zwei israelische Studenten der Universität gewesen | |
wären, die früher in der israelischen Armee gedient hätten. | |
Der Fall werde untersucht, hieß es dazu von der Uni-Verwaltung. | |
Khalil bezeichnet sich selbst als Antizionist. Aber er sagt, er wolle den | |
Antisemitismus nicht unter den Tisch kehren, im Gegenteil. Er wolle ihn | |
bekämpfen – er warnt aber auch, dass das Verhalten der Universität | |
gegenüber den Protestierenden gerade „Nahrung für Antisemiten“ sei, die | |
sich darin bestätigt fühlten, dass Juden überproportionale Macht hätten und | |
Medien kontrollieren würden. | |
In den Protesten sieht Khalil eine Chance, er beobachtet neue Allianzen | |
zwischen jüdischen und arabischen Studierenden, Zusammenarbeit und | |
Solidarität. „Ich weiß, dass diese Protestierenden nicht immer die richtige | |
Sprache verwenden und Fehler machen. Aber ich bin stolz auf diese jungen | |
Menschen. Das sind die klügsten Köpfe Amerikas – und sie kämpfen für | |
Gerechtigkeit.“ | |
## Auf der Zeltwiese: Gedanken zu Antisemitismus | |
Die Columbia-Universität blickt auf eine lange Protestgeschichte zurück, | |
die auch zentraler Teil ihres Selbstverständnisses ist. [6][1968 besetzten | |
Demonstrant:innen aus Protest gegen den Vietnamkrieg fünf | |
Universitätsgebäude], sie nahmen einen Dekan als Geisel und brachten den | |
Universitätsbetrieb zum Stillstand. Eine Woche nach Beginn der Besetzung | |
stürmte die Polizei die Gebäude. 700 Studierende wurden festgenommen, 148 | |
wurden von der Polizei verletzt. | |
Der Präsident der Universität musste daraufhin zurücktreten. Der Ruf der | |
Uni litt und diese reagierte darauf mit Reformen, die Freiräume für | |
Aktivismus der Studierenden sicher stellen sollte. Der Druck auf die | |
jetzige Uni-Präsidentin Shafik ist auch deshalb so hoch. Und er wächst | |
weiter von allen Seiten. Radikalere Stimmen, die im US-Wahlkampf Stimmung | |
machen wollen, gießen von außen Öl ins Feuer. | |
Wenige Meter von Greg Khalil entfernt ist die Stimmung aufgeheizt. „Mike, | |
du nervst!“, ruft jemand. Der Sprecher des US-Repräsentantenhauses Mike | |
Johnson fordert die Präsidentin da gerade vor versammelter Menge dazu auf, | |
zurückzutreten, wenn sie unfähig sei, „das Chaos unter Kontrolle zu | |
bringen“. Er kündigt an, Präsident Joe Biden aufzufordern, Maßnahmen zu | |
ergreifen. Eine israelische Doktorandin ist gekommen, um Johnsons Rede zu | |
hören. Wenn schon die Universität sie vor „denen da“ in ihren Zelten nicht | |
beschütze, hoffe sie zumindest auf Hilfe vom Kongress, sagt sie. | |
Auch drüben auf der Zeltwiese macht man sich Gedanken zu Antisemitismus, | |
wenn auch ganz andere. Auf einer großen Programmtafel ist mit rotem Edding | |
für 5 Uhr nachmittags ein Workshop zu Antisemitismus angekündigt. Dutzende | |
finden sich im Kreis auf dem Boden ein, um zuzuhören. Die Redner der linken | |
und dezidiert antizionistischen jüdischen Gruppe „Jewish Voice for Peace“ | |
haben alle Stoffmasken aufgesetzt und sprechen gedämpft ins Mikrofon. Sie | |
fürchten, jemand von der Gegenseite könnte sie fotografieren, ihre Adressen | |
herausfinden und ihren Familien drohen. | |
„Antisemitismus“, sagt jemand, „macht uns alle krank.“ Ein Mädchen mit | |
Strubbelhaaren und einer Kippa in Wassermelonen-Look, das Symbol für | |
palästinensischen Widerstand, spricht darüber, wie sehr der Holocaust immer | |
noch präsent im kollektiven jüdischen Gedächtnis sei. Den 7. Oktober | |
erwähnt niemand. | |
Jemand aus der Menge fragt, warum das Protestcamp die antisemitischen | |
Slogans der vergangenen Tage nicht öffentlich verurteilt habe. Vor dem | |
Campusgelände hatte jemand einer jüdischen Gruppe zugeschrien: „Geht doch | |
zurück nach Polen.“ In den sozialen Medien kursiert ein Video,in dem eine | |
mit Palästinensertuch vermummte Demonstrantin vor proisraelischen | |
Demonstranten steht und ein Plakat in die Menge hält. Darauf steht. „Al | |
Qassams nächstes Ziel“. Die Qassam-Brigaden sind eine militärische | |
Unterorganisation der Hamas, die Israel vernichten will. | |
Auf die Frage antwortet jemand: Statt alles immer nur symbolpolitisch zu | |
verurteilen, gäbe es jetzt dieses Briefing zum Thema „Antisemitismus“. Das | |
sei viel effektiver | |
„Gibt es einen Weg, militanten Widerstand zu leisten, ohne antisemitisch zu | |
sein?“, will ein Protestteilnehmer wissen. Auch darauf gibt es keine | |
richtige Antwort. | |
Die Gesprächsrunde verläuft höflich, im „safe space“ und ohne jede grö�… | |
Konfrontation. Allerdings auch ohne kontroverse Themen wirklich | |
auszuhandeln. | |
## Offenheit und Willen zu Lernen | |
Ist es möglich, inklusiv sein zu wollen und gleichzeitig drei Viertel aller | |
Juden und Jüdinnen auszuschließen, die sich zionistischen Ideen auf die ein | |
oder andere Weise zugehörig fühlen, mit ihnen aufwuchsen oder auch in der | |
israelischen Armee dienten? | |
„Nicht ideal“ wird Sam, 22, die Situation bezeichnen. Aber für ihn sei das | |
gerade nicht die Priorität, die habe die Lage in Gaza. Mit Nuancen werde | |
man sich später beschäftigen. Alle Studierenden, die sich auf Gespräche mit | |
der Presse einlassen, wollen nur mit ihren Vornamen zitiert werden. | |
Als „viel zu simplistisch“ wird Aharon, ein israelischer Philosophiestudent | |
mit bunter gestrickter Kippa die Diskussion um Antisemitismus am | |
darauffolgenden Tag kritisieren. | |
Aharon ist in einer jüdischen Siedlung bei Jerusalem aufgewachsen. Heute | |
ist er orthodox und links. Er steht vor dem Eingang zum Protestlager, neben | |
ihm seine Mitbewohnerin, die bei all seinen Worten zustimmend nickt. Aharon | |
leitet die Campus-Initiative „Jews for Ceasefire“ und arbeitet eng mit dem | |
propalästinensischen Protestcamp zusammen, auch wenn er nicht dazugehört. | |
Seine Gruppe und das Protestlager arbeiten gemeinsam an einer Strategie, | |
mit der Teilnehmende des Protestcamps in Zukunft für antisemitische | |
Äußerungen verantwortlich gemacht werden sollen – allerdings bestehe auch | |
unter Jüdinnen und Juden oft kein Konsens darüber, was als antisemitisch | |
gelten soll und was nicht. Eine Distanzierung von den Strategien militanter | |
palästinensischer Gruppen ist hier jedenfalls nicht zu hören. | |
Doch sagt Aharon, er „erlebe viel Offenheit und Willen, zuzuhören und | |
dazuzulernen“. Die größte Trennlinie zwischen den beiden Gruppen sei, dass | |
seine Gruppe der „Jews for Ceasefire“ Studierende, die sich als | |
Zionist:innen bezeichnen, weniger rigoros zurückweisen würden als die | |
propalästinensischen Aktivist:innen. | |
Sharif, 31, studiert Film in einem Masterstudiengang. Er sagt, er habe kein | |
Interesse an einer Zusammenarbeit mit Studierenden, die sich als | |
Zionist:innen bezeichnen. Er sitzt auf einer Betonablage vor dem Eingang | |
in die Zeltstadt. Längst sind fast alle Reporter abgezogen, Dämmerung | |
bricht über den Campus. | |
Sharif trägt eine Kufija um seinen Kopf gewickelt, einen dichten schwarzen | |
Bart und auch im Dunkeln noch eine schwarze Sonnenbrille, was ihn cool, | |
aber auch ziemlich unnahbar erscheinen lässt. Er stammt aus einer | |
ägyptischen Familie und wuchs in New Jersey auf, seit Jahren organisiert er | |
Proteste. Bei diesem hier ist er verantwortlich für die Zusammenarbeit mit | |
der Presse. | |
Jede Nacht bleibt er bis 3 Uhr morgens, führt Medientrainings mit den | |
Protestierenden durch, schreibt Pressemitteilungen, beantwortet Fragen von | |
Journalist:innen. | |
Aber für einen Pressesprecher, der „Kontext geben“ will, äußert er sich | |
dann doch ziemlich undiplomatisch. Viele Zionist:innen auf dem Campus | |
seien früher Soldaten der israelischen Armee gewesen, sagt er. Sie würden | |
Demonstrant:innen angreifen und dann behaupten, dass sie sich wegen des | |
Antisemitismus „unsicher“ fühlten. „Du kannst nicht einen gewalttätigen | |
Genozid unterstützen und dann behaupten, du fühlst dich unsicher“. | |
Sharif sagt auch, er hadere damit, die Hamas als Terrororganisation zu | |
bezeichnen, und sehe Israel dafür als Terrorstaat. Die Anschuldigungen, | |
dass israelische Frauen am 7. Oktober vergewaltigt worden seien, hält er | |
für unwahr. In Gaza hingegen gäbe es tatsächlich Vergewaltigungen der | |
Soldaten an Frauen und Mädchen. Überhaupt konsumiert er Nachrichten nicht | |
aus „Mainstream-Medien“, sondern nur aus den sozialen Medien. | |
Widerspricht man ihm, dann verliert er das Interesse am Gespräch, wird | |
wortkarg, muss plötzlich gehen, spät sei es schon. | |
## „Über Nacht Nahostexperten geworden“ | |
Am nächsten Tag sieht der Campus anders aus. Jemand hat ein weites | |
Rasenstück mit israelischen Fähnchen abgesteckt und rote Rosen auf eine | |
Steinmauer gelegt, die im Laufe des Tages immer welker werden. Darunter | |
hängen Fotos mit den in Gaza verschleppten israelischen Geiseln. | |
Allie, 24, Masterstudentin in Public Health, wird das alles nicht sehen. | |
Wie viele ihrer jüdischen Freund:innen meidet sie diesen Teil des | |
Universitätsgeländes seit dem 7. Oktober. Sie hat keine Angst um ihre | |
körperliche Unversehrtheit. Aber sie fühlt sich dort nicht wohl. | |
Allie sitzt in einem Café außerhalb des Campus und nippt an ihrer Cola. Sie | |
hat noch nie mit Journalist:innen gesprochen. Sie tastet sich langsam | |
im Gespräch vor, wählt ihre Sätze behutsam, macht lange Pausen zwischen den | |
Worten. Manchmal flüstert sie. | |
Allie ist in einer jüdischen und zionistischen Jugendbewegung aufgewachsen. | |
Seit sie zurückdenken kann, beschäftigt sie sich als amerikanische Jüdin | |
mit Israel. „Ja, vielleicht einseitig, aber trotzdem. All diese | |
Protestierenden sind mit dem Krieg über Nacht Nahostexperten geworden und | |
wissen jetzt über die Komplexität dort Bescheid?“ | |
Einmal ist sie in Israel gewesen.Sie fühle Empathie gegenüber allen | |
Menschen, Israelis wie Palästinensern, sagt sie. Aber nach dem 7. Oktober | |
hörte sie, wie ein Pro-Palästina-Komitee das Gemetzel der Hamas als | |
„Gegenoffensive“ bezeichnete. | |
Und ihre Freundinnen erzählten ihr, wie ein Columbia-Professor fast freudig | |
auf die Attacke reagiert habe.Wie ihre Stimmen und Erzählungen im | |
Unterricht abgewunken wurden. Wie in diesen Unterrichtsstunden | |
Freundschaften an solchen Reaktionen zerbrachen. | |
Allie zog sich zurück, verkroch sich in ihre Gemeinschaft aus jüdischen | |
Freundinnen und Freunden, denen sie vertraut und die ähnlich ticken wie | |
sie. | |
Sie selbst habe keine konkreten Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht, | |
sagt sie. Es sei mehr ein Gefühl. Ihr linkes Auge füllt sich langsam mit | |
einer Träne. | |
Allie hält nichts davon, Demonstrant:innen festnehmen zu lassen. Aber | |
auf dieser Wiese, auf der heute die Zelte stehen, soll in zwei Wochen ihre | |
Abschlussfeier stattfinden. In Kalifornien wurde gerade die Abschlussfeier | |
einer großen Universität mit 65.000 Teilnehmenden nach Zusammenstößen mit | |
der Polizei wegen Sicherheitsbedenken abgesagt. | |
Für ihr Studium an der Columbia hat Allie einen Kredit von 130.000 Dollar | |
aufgenommen. Zwei Jahre lang, sagt sie, habe sie sich auf ihre | |
Abschlussfeier gefreut. | |
26 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nytimes.com/2024/04/22/us/yale-students-arrests-protests.html?u… | |
[2] https://www.deutschlandfunk.de/rabbi-in-new-york-warnt-juedische-studierend… | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Hillel_(Organisation) | |
[4] https://journalism.columbia.edu/directory/gregory-n-khalil | |
[5] https://www.columbiaspectator.com/news/2024/01/22/protesters-allegedly-spra… | |
[6] https://www.nytimes.com/2024/04/18/nyregion/columbia-protest-1968-vietnam.h… | |
## AUTOREN | |
Marina Klimchuk | |
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