# taz.de -- Energiewende-Projekte auf der Kippe: Der Norden bangt | |
> Viele Förderungen für lokale Projekte der Energiewende stehen seit dem | |
> Haushaltsurteil auf der Kippe. Welche Projekte im Norden sind gefährdet? | |
Bild: Muss dringend grüner werden: Stahlwerk von Arcelor Mittal in Bremen | |
HAMBURG/BREMEN/HANNOVER/KIEL taz | Dass sich Minister:innen aller | |
Parteifarben aus den Ländern und ihr Bundeskollege einig sind, kommt nicht | |
häufig vor. Doch nachdem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am | |
Montag [1][mit den Wirtschafts- und Energieminister:innen der Länder | |
zusammenkam], um über die Auswirkungen des Karlsruher Haushaltsurteils zu | |
sprechen, herrschte ausnahmsweise Eintracht: „Alle Projekte, die wir | |
konzipiert haben, müssen möglich gemacht werden“, sagte Habeck und gab | |
damit auch die Meinung seiner Länder-Kolleg:innen wieder. Allein: Viel mehr | |
als ein Appell an die Ampel-Koalition im Bund war es nicht. | |
Und so ist auch im Norden den Minister:innen und Senator:innen | |
klar, dass hinter vielen Projekten, die durch den Bund gefördert werden | |
sollen, weiterhin größere und kleinere Fragezeichen stehen. Schließlich | |
dürfte es nicht ganz einfach werden, die seit dem Urteil des | |
Bundesverfassungsgerichts [2][fehlenden 60 Milliarden Euro im Klima- und | |
Transformationsfond (KTF)] aufzutreiben. | |
Mit dem KTF werden mehrere Ziele verfolgt: Gefördert werden soll damit die | |
energetische Gebäudesanierung, die Dekarbonisierung der Industrie sowie der | |
Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Elektromobilität und der | |
Ladeinfrastruktur. Jetzt stehen einige ursprünglich geplanten Subventionen | |
auf der Kippe, die ortsunabhängig bereitgestellt werden sollten: So etwa | |
die Förderung für E-Auto-Besitzer:innen bei der Anschaffung von | |
Ladestationen, Photovoltaikanlagen und Speicher. | |
Große Sorgen haben auch die Länder im Norden, vor allem wegen einzelner | |
lokaler Projekte. Welche anvisierten Projekte sollen wie versprochen | |
gefördert werden? Welche müssen angesichts geringerer Förderung kleiner | |
ausfallen? Und welche fallen aus der Liste, falls die Ampel-Regierung die | |
fehlenden Milliarden nicht auftreibt? | |
## Schleswig-Holstein rechnet weiter mit Batterie-Fabrik | |
In der Nähe von Heide rollen die Baufahrzeuge: Auf der 110-Hektar großen | |
Fläche will das schwedische Unternehmen Northvolt eine Giga-Fabrik für | |
Autobatterien errichten. Die Region im Kreis Dithmarschen produziere die | |
sauberste Energie in Deutschland im Überfluss, lobt das Unternehmen auf | |
seiner Homepage. Zudem wird das sandige Feld im Beinahe-Nirgendwo | |
staatlicherseits hübsch vergoldet: 137 Millionen Euro will | |
Schleswig-Holstein beisteuern, das Bundeswirtschaftsministerium 109 | |
Millionen. Hinzu kommt eine staatliche Anleihe von 600 Millionen Euro. | |
So zumindest war der Plan bislang. Doch dann kam das Karlsruher Urteil, das | |
auch die Northvolt-Ansiedlung betreffen könnte. Denn sowohl in Kiel als | |
auch in Berlin sollten die Fördermittel für die Fabrik, die 3.000 Menschen | |
Arbeit bieten soll, aus Krediten stammen, die für andere Zwecke aufgenommen | |
wurden. So wollte die schwarz-grüne Regierung in Schleswig-Holstein das | |
Geld für Northvolt aus einem Ukraine-Sondertopf nehmen. | |
In Kiel beschloss das Parlament bereits vergangene Woche, für das laufende | |
und das kommende Jahr [3][Haushaltsnotlagen zu beschließen]. „Das Land hat | |
seine Hausaufgaben gemacht. Ich erwartete nun, dass der Bund das ebenso | |
macht“, sagte Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) vor dem | |
Bund-Länder-Treffen. | |
Nach den Beratungen am Montag freute sich sein für Umwelt und Energiewende | |
zuständiger Kabinettskollege Tobias Goldschmidt (Grüne): „Wichtig ist die | |
klare Aussage, dass alle Projekte, die bereits Bewilligungen erhalten | |
haben, auch finanziert werden können.“ Robert Habeck hatte nach dem Treffen | |
gesagt, dass er an der Förderung der Großprojekte festhalten wolle: | |
Projekte, zu denen neben Northvolt auch eine Intel-Fabrik in Magdeburg und | |
eine Chiphersteller-Fabrik bei Dresden gehören, beträfen den | |
wirtschaftlichen Kern Deutschlands. | |
Weil der Kieler Landtag die Notlage festgestellt hat, kann Finanzministerin | |
Monika Heinold (Grüne) weitere Investitionen, etwa in Krankenhäuser oder | |
für Schulen, über Sonderkredite zahlen. Mittel, die nicht abgerufen werden, | |
will Heinold zum Schuldenabbau nutzen. | |
## Bekommt Hamburg seinen Elektrolyseur? | |
Der Hamburger Senat listet 36 Projekte auf, die betroffen sein könnten. Die | |
Linkspartei spricht deshalb schon von einer „Liste des Horrors“. Projekte | |
mit einem Fördervolumen von mehr als einer Milliarde Euro sind in Gefahr. | |
Das prestigeträchtigste Projekt ist dabei der Großelektrolyseur für grünen | |
Wasserstoff im Hafen: Für das Leuchtturm-Projekt der Hamburger Energiewende | |
war bislang mit einer Förderung von rund 106 Millionen Euro gerechnet | |
worden. | |
Die Anlage soll [4][aus überschüssigem grünem Strom Wasserstoff herstellen] | |
und damit Energie speichern. Für Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ist | |
die Anlage Teil des Ziels, Hamburg zum führenden Standort der | |
Wasserstoffwirtschaft in Europa zu machen. | |
Nach dem Bund-Länder-Treffen am Montag versuchten Wirtschaftssenatorin | |
Melanie Leonhard (SPD) und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne) für Ruhe bei | |
den betroffenen Unternehmen zu sorgen: „Es ist mir ein Anliegen, dass | |
Unternehmen sich auch künftig darauf verlassen können, dass eingegangene | |
Zusagen gehalten werden“, sagte Leonhard. Und Kerstan zeigte sich | |
optimistisch, dass dennoch bald Förderbescheide ausgestellt werden können. | |
„Ich gehe davon aus, dass die innovativen Großprojekte wie der Ausbau der | |
Wasserstoffwirtschaft in Hamburg gelingen werden.“ | |
Auf der Kippe stehen auch zwei weitere Förderungen im höheren zweistelligen | |
Millionenbereich: So plant der Hamburger Flughafen einen Umbau für | |
Wasserstoff-Nutzung, bereits ab 2025 sollen die ersten Flugzeuge in Hamburg | |
abheben können, die ausschließlich mit Wasserstoff betrieben werden. Dafür | |
war mit einer 43 Millionen Euro-Förderung gerechnet worden. Auch sollte | |
eigentlich noch 74 Millionen Euro für Landstromanlagen für Containerschiffe | |
im Hafen bereitgestellt werden. | |
Neben diesen größeren Wirtschaftshilfen wackeln auch eine Reihe kleinerer | |
Förderprojekte: Die energetische Sanierung der Hamburger Bezirksämter, der | |
Neubau eines Lehrschwimmbeckens im Bezirk Wandsbek, und für die Kinder- und | |
Jugendarbeit im Bezirk Eimsbüttel war fest mit der Generalsanierung eines | |
Spielhauses gerechnet worden. | |
## Niedersachsens Großprojekte scheinen gesichert | |
LNG-Terminals und grüner Wasserstoff sind die beiden großen Themen in | |
Niedersachsen, von Rot-Grün zum „Energiewendeland Nummer eins“ ausgerufen. | |
Kaum ein Monat verging in den letzten zwei Jahren, ohne dass irgendwo | |
Förderbescheide überreicht oder Spatenstiche vollzogen wurden. | |
Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Projekte hängt am Tropf des KTF. Für | |
immerhin zwei Großprojekte kam die Entwarnung ziemlich prompt: Salcos, die | |
Umstellung des Stahlwerks in Salzgitter auf CO2-arme Produktion, soll nicht | |
gefährdet sein – zumindest für die Anschubfinanzierung wurde der | |
Förderbescheid längst überreicht. Und auch der „Anleger für verflüssigte | |
Gase“ in Wilhelmshaven hat seit letzter Woche eine Zusage des | |
Haushaltsausschusses des Bundestages – trotz schwieriger Gesamtlage. 600 | |
Millionen Euro sollen in den Ausbau des Hafens fließen, daran hängen | |
private Investitionen von TES und Uniper. | |
Weitere Großprojekte stemmen die Energiekonzerne RWE – mit einem ganzen | |
Elektrolyseur-Park in Lingen – und EWE – mit der „Clean Hydrogen Coastlin… | |
in Emden, Bremen und an weiteren Standorten. Letzteres ist ein Projekt zu | |
Erzeugung, Transport und Speicherung von grünem Wasserstoff.Auch für sie | |
gilt seit Montag die Ansage: Alle geplanten Projekte sollen realisiert | |
werden – auch wenn die Finanzierung noch lange nicht geklärt ist. | |
Noch sehr viel unklarer ist, was aus den Fördertöpfen für die energetische | |
Sanierung und den Umstieg auf nicht-fossile Heizungen passiert. | |
Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) mahnte jedenfalls | |
schon einmal, die Unterstützung der Bürger:innen bei der Wärmewende und | |
der Kommunen bei der Wärmeplanung nicht zu vergessen. | |
## Bremen sorgt sich um Forschung und Naturschutz | |
Das Wasserstoff-Programm „Clean Hydrogen Coastline“ betrifft auch Bremen. | |
Hier können noch drei weitere Großprojekte aufatmen. „Für die politischen | |
Unwägbarkeiten in Berlin kann ich jetzt nicht garantieren, aber wenn diese | |
Regierungskonstellation bleibt, werden die mit Sicherheit eine Lösung | |
finden“, sagte Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) nach dem Treffen | |
am Montag. | |
Da ist einmal das Stahlwerk von Arcelor Mittal – bislang erzeugt es etwa | |
die Hälfte aller [5][CO2-Emissionen im Land]. Doch eine Dekarbonisierung | |
der Stahlproduktion soll hier künftig grünen Stahl ermöglichen. Ab 2026 | |
soll Eisenschwamm in einer Direktreduktionsanlage gewonnen werden, die | |
zunächst mit Erdgas betrieben wird, später mit Wasserstoff. Deswegen ist | |
Arcelor Mittal so abhängig von der Wasserstoffproduktion in | |
Norddeutschland, ebenso vom Anschluss Bremens ans Wasserstoffnetz. | |
Bremen soll im Zuge des Projekts „Hyperlink“ ans Wasserstoffnetz | |
angeschlossen werden. Auch hierfür gibt es das zugesagte Geld, sagte Habeck | |
laut Vogt am Montag. Das vierte Projekt ist das Vorhaben von Airbus, ein | |
klimaneutrales Flugzeug zu entwickeln. Das Forschungsprojekt will dafür | |
flüssigen Wasserstoff nutzen. | |
Etwas über 300 Millionen Euro sind in Bremen für die vier Projekte | |
eingeplant, sagt Vogt, das meiste geht fürs Stahlwerk drauf. Bremens | |
Beteiligung liegt bei 30 Prozent, etwas über eine Milliarde Euro soll | |
entsprechend vom Bund kommen. | |
Trotz der Zusage ist Vogt in Sorge: dass die Regierung sich nur auf den KTF | |
konzentriere und dafür „alle anderen Sachen platt macht“. Passiert sei das | |
schon im Bereich Forschung. „Es ist schon gekürzt worden, für den KTF.“ D… | |
meisten Leute verkürzten das Thema derzeit. „Das ist durchaus komplex.Ich | |
befürchte, dass es im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers zu | |
Umschichtungen kommt.“ | |
Auch eine weitere Bremer Senatorin sorgt sich: Kathrin Moosdorf (Grüne), | |
zuständig für Umwelt, Klima, Wissenschaft und Energie. Von der aktuellen | |
Situation betroffen seien derzeit alle Förderrichtlinien, die auf dem | |
„Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ beruhen. „Das sind insgesamt v… | |
Milliarden Euro, die im KTF angesiedelt sind und mit denen wichtige | |
Projekte zum Klimaschutz finanziert werden sollen“, schreibt | |
Ressortsprecherin Ramona Schlee. | |
Ein bereits eingereichtes Projekt mit einer beantragten Fördersumme von 4,8 | |
Millionen Euro werde wohl nicht bearbeitet. Auch „Naturschutz, | |
Landschaftsschutz, Bodenschutz und Vertragsnaturschutz könnten nicht | |
weiterentwickelt werden“. | |
29 Nov 2023 | |
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