# taz.de -- Neue Batteriefabrik in Deutschland: Northvolt wird die Region verä… | |
> In Dithmarschen soll eine Gigafabrik für Autobatterien entstehen. Dafür | |
> gab die kleine Gemeinde Norderwöhrden mit knapper Mehrheit ihr Okay. | |
Bild: Die Vorarbeiten für das Werk sind schon lange angelaufen | |
NORDERWÖHRDEN taz | Wasser steht auf den Wiesen, in der Ferne sind Häuser | |
zu sehen und Windräder mit drehenden Rotorblättern. Der Dellweg in | |
Norderwöhrden ist eine schmale, kaum befahrene Straße, umgeben von Gräben | |
und Äckern. Doch die Ruhe täuscht. Jenseits der Felder, nahe der | |
Bundesstraße 203, bewegen sich Kräne und Baumaschinen. Dort liegt das 110 | |
Hektar große Gelände, auf dem [1][das schwedische Unternehmen Northvolt ab | |
2026 Batterien für eine Million E-Autos im Jahr produzieren will]. Die EU | |
hat schon zugestimmt. Und die letzte Entscheidung liegt beim Gemeinderat | |
von Norderwöhrden, der heute wieder tagt. | |
Seit 2022 laufen die Planungen für die Gigafabrik. Einen Großteil der | |
Verantwortung trägt die Kreisverwaltung in der Stadt Heide und die | |
Gemeinden, deren Gebiete betroffen sind: Lohe-Rickelshof, dessen | |
Gemeinderat schon einstimmig Ja zur Fabrik sagte, und Norderwöhrden. | |
Ein Ort, der nicht einmal ein Dorf ist, sondern aus weit verstreuten | |
Gehöften zwischen Wiesen und Äckern besteht. In Norderwöhrden leben 260 | |
Menschen, es gibt 15 landwirtschaftliche Betriebe, zwei Hofläden, eine | |
Hengststation, Ferien auf dem Bauernhof und drei Unternehmen, die mit Autos | |
zu tun haben: Fahrschule, Autovermietung und Gebrauchtwagenhandel. Der Bau | |
der Giga-Fabrik ist der allererste Bebauungsplan, den der Ort je beschloss. | |
Bei früheren Entscheidungen stimmten drei Gemeindevertreter:innen | |
gegen, vier für die Northvolt-Pläne. | |
Und doch laufen die Arbeiten bereits, Maschinen haben Gräben gezogen und | |
die fette schwarze Marscherde zu Wällen aufgeschüttet. Ein Spaziergänger, | |
der seinen Hund am Plattenweg zur Baustelle Gassi führte, bleibt einsilbig, | |
bestätigt nur, was ohnehin zu ahnen ist: Die gigantische Fabrik wird die | |
Region verändern. | |
## Arbeitsplätze, Verkehr und Lärm | |
Zum Guten, glaubt der Landrat, glaubt die kommunale „Entwicklungsagentur | |
Region Heide“. Northvolt will 3.000 Arbeitsplätze schaffen, auf der | |
Homepage des Unternehmens sind „Hot Jobs“ von Analyse bis | |
Qualitätsmanagement ausgeschrieben. Darüber hinaus könnte die Fabrik zum | |
Katalysator für weitere Unternehmen werden. Schließlich geht es um nicht | |
weniger als „einen Beitrag zur Energiewende sowie die Stärkung der | |
europäischen und deutschen Wertschöpfungsketten“. | |
Aber für die Menschen in den Dörfern bedeutet die Gigafabrik vor allem | |
Verkehr und Lärm, nicht nur während der Bauphase, sondern dauerhaft. | |
Hunderte Lastwagen, die Material transportieren, Tausende Arbeitskräfte, | |
die zur Schicht fahren. Sie müssen irgendwo wohnen, sie bringen Familien | |
mit. Steigen die Preise für Land? Reichen die Plätze in Kitas und Schulen? | |
Ist es bald vorbei mit der Ruhe? | |
Ein Landwirt weigerte sich, an das schwedische Unternehmen zu verkaufen. | |
Die Fabrik wird nun 50 Hektar kleiner als in der ursprünglichen Planung. | |
Dennoch entsteht zwischen Wiesen, Äckern und Windrädern eine gewaltige | |
versiegelte Fläche, unter der der Lebensraum einer Gruppe seltener Frösche | |
und Spuren vorgeschichtlicher Besiedlung verschwinden. Auch wenn die | |
Frösche umgesiedelt wurden und das Archäologische Landesamt einige Funde | |
bergen durfte, bevor die ersten Bagger rollten. | |
Aus Umweltschutzsicht hat die Kreisgruppe Dithmarschen des BUND die Planung | |
begleitet. Grundsätzlich sei das Projekt unterstützenswert, heißt es auf | |
ihrer Homepage, denn schließlich geht es um die Energie- und Verkehrswende. | |
Denn Northvolt will mit dem Windstrom der Region produzieren und auf dem | |
Gelände auch [2][Alt-Batterien recyclen], damit den CO2-Abdruck für E-Autos | |
im Vergleich zur Produktion etwa in China deutlich senken. | |
Auch für das Kühlwasser der Fabrik gibt es bereits Pläne. Der lokale | |
Abwasserzweckverband wird geklärtes Abwasser liefern. Den Rest wird | |
Northvolt mit Regenrückhaltebecken auf dem Gelände auffangen. | |
## Europa soll unabhängiger von China werden | |
Der Kreis will die Fabrik. Das Land will sie – für die schwarz-grüne | |
Koalition unter Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ist die Ansiedlung | |
ein Schritt auf dem Weg zum Ziel eines klimaneutralen Industrielandes. In | |
der Bundesregierung hat der Schleswig-Holsteiner Robert Habeck (Grüne) für | |
das Projekt gekämpft. Rund 900 Millionen Euro [3][staatliche Förderung aus | |
Land und Bund] gibt es, davon 200 Millionen als Kredit, der in Aktien | |
zurückgezahlt werden kann. | |
Die EU hat diesen Summen zugestimmt, denn sie will die Fabrik ebenfalls. Es | |
gilt, Europa unabhängiger von China zu machen und bei der Produktion nicht | |
den Anschluss zu verlieren. Und was will Norderwöhrden? | |
Der Gemeinderat tagt im Saal des „Landgasthofs“, einem Hotel in der | |
Nachbargemeinde Wöhrden. Fernsehteams filmen, | |
Gemeindevertreter:innen der Nachbarorte sind da, für die | |
Landesregierung ist Digitalisierungsminister Dirk Schrödter (CDU) aus Kiel | |
angereist. Bürgermeister Kay Uwe Evers und sein Gemeinderat sitzen in der | |
Mitte und sind so cool, als würden sie immer vor Kameras tagen. | |
Eigentlich sind sie zu neunt, aber eine Frau und ein Mann sind befangen – | |
Verwandte profitieren vom Landverkauf –, daher entscheiden sie zu siebt, | |
eine Frau, sechs Männer, alle Mitglieder der Freien Wählergemeinschaft | |
Norderwöhrden. | |
Die Sitzung startet mit einer Fragestunde. Eine Frau warnt vor Lärm und | |
Verkehr, ein Mann, nicht aus Norderwöhrden, wird laut: „Habt ihr über | |
Rohstoffe gesprochen? Woher kommt das Lithium?“ Als er anfängt, die | |
Gemeindevertretung zu beschimpfen, bittet Evers ihn zu gehen. Vor der | |
Abstimmung weist er darauf hin, dass der Rat die Interessen des Ortes im | |
Auge haben müsse, nicht die Erwartungen anderer. | |
Am Ende steht es wieder vier zu drei, diesmal für die Fabrik. Der Saal | |
applaudiert. Die, die Nein gesagt haben, sind aber froh, das Zeichen | |
gesetzt zu haben. Der Verkehr mache ihnen sorgen, ein Gleisanschluss müsse | |
dringend her. | |
„Berechtigte Kritikpunkte sind weiter auf dem Tisch“, betont Evers. Er | |
appelliert an den Bund, Zusagen auch zu erfüllen. An den Vertreter von | |
Northvolt gewandt, sagt er: „Wir arbeiten zusammen, aber wir gucken euch | |
auf die Finger.“ | |
23 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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