| # taz.de -- Steinmeier besucht Tansania: Kurztrip in die eigene Geschichte | |
| > Zu Halloween klopfen deutsche Politiker an Afrikas Türen. Sie wollen | |
| > Rohstoffe kaufen, Migranten zurückgeben und ein bisschen Vergangenheit | |
| > bewältigen. | |
| Bild: Gedenkmarsch zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Kolonialismus … | |
| Es ist Halloween, und angeblich darf man da an fremde Türen klopfen und mit | |
| dem Ruf „Süßes oder Saures?“ unverschämte Forderungen stellen. Dieses Ja… | |
| klopfen Deutschlands wichtigste Politiker gleich an fünf Türen in Afrika. | |
| Bundeskanzler Olaf Scholz ist in Nigeria und Ghana, Bundesinnenministerin | |
| Nancy Faeser in Marokko und [1][Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in | |
| Tansania und Sambia]. Wirtschaftliche Zusammenarbeit steht im Mittelpunkt, | |
| aber es gibt jeweils auch eine länderspezifische Note. Scholz kauft in | |
| Nigeria Flüssiggas, Faeser will Marokko Migranten zurückgeben und | |
| Steinmeier stellt sich in Tansania den deutschen Kolonialverbrechen. | |
| Mehr Rohstoffe kaufen, mehr Flüchtlinge abschieben, mehr | |
| Kolonialvergangenheit aufarbeiten – das ist auch eine erstaunlich akkurate | |
| Zusammenfassung der aktuellen Schwerpunkte deutscher Afrikapolitik. Wie | |
| Olaf Scholz vor Reiseantritt korrekt [2][feststellte]: „Die Bedeutung | |
| Afrikas für das Weltgeschehen nimmt immer weiter zu.“ | |
| Die Bedeutung Afrikas für das Weltgeschehen war schon vor über 100 Jahren | |
| immens, denn ab der Berliner Afrikakonferenz 1884 fielen zahlreiche | |
| europäische Mächte über den Kontinent her, mit verheerenden Folgen. „Wo | |
| immer wir die Geschichte der Kolonialpolitik in den letzten drei | |
| Jahrhunderten aufschlagen, überall begegnen wir Gewalttätigkeiten und der | |
| Unterdrückung der betreffenden Völkerschaften, die nicht selten schließlich | |
| mit deren vollständiger Ausrottung endet“, erklärte SPD-Vorsitzender August | |
| Bebel im Deutschen Reichstag 1889. | |
| Im heutigen Tansania verübten deutsche Armeen bei der Niederschlagung des | |
| sogenannten Maji-Maji-Aufstands ihre blutigsten Kolonialmassaker – bis zu | |
| 300.000 Tote als Opfer von „Kämpfen, Hinrichtungen und Hunger“, wie das | |
| Berliner „Tanzania Network“ anlässlich der Steinmeier-Reise in [3][einem | |
| offenen Brief] erinnert. Man fordere den Bundespräsidenten „eindringlich“ | |
| auf, dazu bei seinem Besuch „klare Worte zu finden und diesen für eine | |
| Bitte um Entschuldigung Deutschlands bei den Nachfahren der Opfer zu | |
| nutzen“. | |
| ## Steinmeier in Tansania | |
| Steinmeier wird im südtansanischen Songea vorbeikommen, wo am 27. Februar | |
| 1907 insgesamt 66 Maji-Maji-Führer von Deutschen am Galgen hingerichtet | |
| wurden. Es wird eine Stippvisite: am Mittwoch 1. November, Allerheiligen | |
| also, fliegt er vormittags hin, um 11 Uhr besucht er das Museum, um 12 Uhr | |
| die Grundschule, dann fliegt er in Sambias Hauptstadt Lusaka 930 Kilometer | |
| westlich, wo er schon um 14 Uhr aussteigen soll, wobei ihm eine | |
| Zeitverschiebung von einer Stunde rückwärts zugutekommt. Zeit für ein paar | |
| präsidiale Worte soll es in Songea jedoch geben. | |
| Wird Steinmeier sich also in Tansania entschuldigen? In Namibia hat das | |
| 2021 nicht geklappt, die Reise fiel aus, als ein deutsch-namibisches | |
| Versöhnungsabkommen platzte. Aber in Tansania soll Steinmeier weder vor dem | |
| Parlament sprechen, noch einen Völkermord anerkennen. Er besichtigt ein | |
| Museum und trifft Nachkommen. | |
| ## Kolonialverbrechen in „Deutsch-Übersee“ | |
| Auch dieses Terrain kann tückisch sein. In deutschen Museen liegen | |
| sterbliche Überreste hingerichteter Widerstandskämpfer aus | |
| „Deutsch-Ostafrika“, ebenso wie die Überreste getöteter Herero aus | |
| „Deutsch-Südwestafrika“. [4][Die aktuelle Debatte] betrifft dabei andere | |
| Aufstände als den von Songea. Aber zu deren Schauplätzen reist der | |
| Bundespräsident nicht. Die Knochen hat er auch nicht im Gepäck, die | |
| Modalitäten der Restitution sind noch nicht geklärt. Mit der Rückgabe | |
| lebender Afrikaner hat es Deutschland eiliger. Und man will doch eigentlich | |
| bloß wirtschaftlich mit Afrika zusammenarbeiten. | |
| Auch dazu ist die [5][Bebel-Rede von 1889] lehrreich. Der Sozialdemokrat | |
| wusste, was passieren kann, wenn Deutsche derart in Afrika anklopfen. | |
| „Sobald Europäer – und es ist ja stets nur die Unternehmerklasse, die dabei | |
| in Frage kommt – in fremdem Lande Boden fassen und das Land nach den | |
| verschiedensten Richtungen nach Möglichkeit ausbeuten, werden die | |
| schlechten Sitten, Gewohnheiten und Gebräuche der Europäer eingebürgert“, | |
| rief damals der SPD-Chef. „Man gewöhnt sich zu leicht, in dem Schwarzen | |
| einen Menschen inferiorer Rasse zu sehen, gegen den man sich alles erlauben | |
| dürfe, gegenüber dem es in der Behandlung gar keine andere Grenze gebe als | |
| die des eigenen persönlichen Nutzens.“ | |
| 30 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Berichte/DE/Frank-Walter-Steinme… | |
| [2] https://www.bundeskanzler.de/bk-de/aktuelles/reise-bk-westafrika-2233750 | |
| [3] https://tanzania-network.de/themen/majimaji/unsereforderungen | |
| [4] /Restitution-nach-Tansania/!5958166 | |
| [5] https://ghdi.ghi-dc.org/sub_document.cfm?document_id=1870&language=germ… | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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