| # taz.de -- Diskussion um Flucht und Migration: Eine Europäische Verantwortung | |
| > Innenministerin Faeser erwägt Kontrollen zu Polen und Tschechien. | |
| > Wirtschaftsminister Habeck ist für ein Abkommen mit Herkunfts- und | |
| > Transitländern. | |
| Bild: Tausende Menschen flüchten über das Mittelmeer nach Europa | |
| Berlin/Marseille/Neumünster afp/dpa/epd | Nach monatelangem Druck aus | |
| Brandenburg und Sachsen sowie der Union erwägt Bundesinnenministerin Nancy | |
| Faeser (SPD) nun doch stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und | |
| Tschechien. „Mir geht es darum, jetzt pragmatisch zu handeln“, sagte sie | |
| der „Welt“ (Samstag). Aus ihrer Sicht sei dies eine Möglichkeit, | |
| Schleuserkriminalität härter zu bekämpfen. Zudem ergänzte sie, „solche | |
| zusätzlichen Kontrollen müssen mit der Überwachung des gesamten | |
| Grenzgebiets durch die Schleierfahndung gut zusammen greifen“. | |
| Weil die Zahl der Migranten, die über Polen und Tschechien nach Deutschland | |
| einreisen, gestiegen war, wurden Forderungen nach stationären | |
| Grenzkontrollen zu diesen beiden Ländern zuletzt immer lauter. Stationäre | |
| Kontrollen gibt es seit der großen Fluchtbewegung nur an der | |
| deutsch-österreichischen Grenze. Eine Ausweitung hatte Faeser zunächst | |
| abgelehnt, unter anderem mit dem Argument, dass zahlreiche Menschen zur | |
| Arbeit über diese Grenzen pendeln. Stattdessen hatte Faeser eine Ausweitung | |
| der Schleierfahndung im Grenzgebiet angeordnet. | |
| Faeser betonte auch jetzt: „Man sollte aber nicht suggerieren, dass keine | |
| Asylbewerber mehr kommen, sobald es stationäre Grenzkontrollen gibt.“ Wenn | |
| eine Person an der Grenze um Asyl bitte, müsse der Asylantrag in | |
| Deutschland geprüft werden. | |
| Eine weitere Maßnahme seien Kontrollen schon in den Nachbarstaaten, | |
| ergänzte Faeser. Mit der Schweiz gebe es bereits eine hervorragende | |
| Zusammenarbeit. Bundespolizisten dürften dort in enger Abstimmung mit | |
| Schweizer Polizeikräften auf Schweizer Staatsgebiet kontrollieren und | |
| unerlaubte Einreisen verhindern. „Ähnliches könnte es mit Tschechien geben. | |
| Die Absprachen dazu laufen bereits“, sagte Faeser. | |
| Von Seiten der Polizei erhält Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) | |
| Zuspruch für ihren Kurswechsel beim Thema Grenzkontrollen. „Unser | |
| Hauptaugenmerk muss auf der Bekämpfung der bandenmäßigen | |
| Schleuserkriminalität liegen, das ist der Schlüssel zur Eindämmung | |
| illegaler Migration“, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei | |
| (GdP), Jochen Kopelke, am Samstag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). | |
| ## Habeck für Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern | |
| Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat sich in der Debatte um | |
| den Zuzug von Migranten für Abkommen mit den Herkunfts- und Transitländern | |
| ausgesprochen. „Und Transit- oder Migrationsabkommen bedeutet aber, diesen | |
| Ländern auch etwas zu geben“, sagte Habeck am Samstag auf einem | |
| Grünen-Landesparteitag im schleswig-holsteinischen Neumünster. Dies dürfe | |
| aber nicht dazu führen, dass diesen Ländern – nach dem Motto „Geld gegen | |
| Gewalt“ – die Menschen mit totaler Gewalt zurückführten. | |
| Stattdessen gehe es darum, für Anreize zu sorgen, die durchreisenden | |
| Menschen zu halten, sagte Habeck. Anschließend könnten Menschen aus diesen | |
| Ländern gesteuert nach Europa und nach Deutschland geholt werden. Viele | |
| „wilde Vorschläge“ in der aktuellen Debatte seien hingegen nur geeignet, | |
| die nächste Enttäuschung der Menschen hervorzurufen, sagte Habeck, der auch | |
| Vizekanzler ist. | |
| Habeck mahnte Ehrlichkeit in der Flüchtlingspolitik an. Hilfreich wäre nach | |
| seinen Worten ein verbindliches Verteilsystem nicht nur in Deutschland, | |
| sondern in Europa. „Es wäre eine sinnvolle Aufgabe, in Europa, dafür zu | |
| streiten und zu reden und nicht so zu tun, als ob man das Problem mit | |
| populistischen Parolen lösen könnte.“ | |
| „Was wir machen müssen, sind konkrete Maßnahmen, die den Menschen helfen, | |
| den Kommunen helfen, die insgesamt dem politischen System helfen“, sagte | |
| Habeck. Hohle Sprüche und Phrasen würden nicht weiter helfen. Die Zustände | |
| an den EU-Außengrenzen seien nicht gut, sagte er mit Verweis auf den Tod | |
| von Menschen im Mittelmeer sowie auf Lesbos und Lampedusa. „Es ist eine | |
| Katastrophe, eine moralische und ethische Katastrophe, was wir im Moment | |
| erleben.“ | |
| ## Papst mahnt Europa zur Aufnahme und Integration | |
| Papst Franziskus hat mit Blick auf die Migration von Afrika über das | |
| Mittelmeer nach Europa vor Abschottung und Panikmache gewarnt. Es müssten | |
| reguläre Einreisemöglichkeiten und eine ausgewogene Aufnahme der Migranten | |
| in Europa gewährleistet werden, sagte der Pontifex am Samstag im | |
| südfranzösischen Marseille. Bei der Migration handele es sich weder um eine | |
| Invasion noch um eine Notsituation, sondern um eine Gegebenheit unserer | |
| Zeit, die in europäischer Verantwortung angegangen werden müsse. | |
| „Das mare nostrum schreit nach Gerechtigkeit, denn an seinen Ufern | |
| herrschen auf der einen Seite Überfluss, Konsum und Verschwendung, auf der | |
| anderen Seite hingegen Armut und Prekarität“, sagte Franziskus zum | |
| Abschluss eines Jugendtreffens mit Teilnehmern aus 29 Ländern des | |
| Mittelmeerraums. Natürlich seien die Schwierigkeiten bei der Aufnahme der | |
| Migranten nicht zu übersehen. „Aber das Hauptkriterium kann nicht der | |
| Erhalt des eigenen Wohlstandes sein, sondern vielmehr die Wahrung der | |
| Menschenwürde.“ | |
| Die Zukunft liege nicht in der Abschottung. „Zu sagen ‚genug‘, bedeutet | |
| hingegen die Augen zu verschließen; der Versuch, sich heute „selbst zu | |
| retten“, wird sich morgen in eine Tragödie verwandeln“, mahnte das | |
| Kirchenoberhaupt. „Künftige Generationen werden uns danken, wenn es uns | |
| gelungen ist, die Bedingungen für eine unvermeidliche Integration zu | |
| schaffen, während sie uns die Schuld geben werden, wenn wir lediglich eine | |
| sterile Assimilation betrieben haben.“ | |
| Integration sei mühsam, aber eine weitsichtige Vorbereitung auf die | |
| Zukunft, sagte Franziskus. „Assimilation, die keine Rücksicht auf | |
| Unterschiede nimmt und starr in ihren eigenen Paradigmen verharrt, führt | |
| dagegen dazu, dass die Idee die Wirklichkeit beherrscht und sie gefährdet | |
| die Zukunft, indem sie die Distanzen vergrößert und eine Ghettoisierung | |
| provoziert, die Feindseligkeit und Unduldsamkeit hervorruft“. | |
| Bei seinem Besuch in Marseille hat der Papst das Thema Migration in den | |
| Vordergrund gerückt. Am Nachmittag wird eine Messe vor knapp 60 000 | |
| Menschen halten. Zu dem Gottesdienst wird auch Frankreichs Präsident | |
| Emmanuel Macron erwartet, der sich zuvor mit dem Oberhaupt der katholischen | |
| Kirche zu einem Gespräch traf. | |
| 23 Sep 2023 | |
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