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# taz.de -- Restitution nach Tansania: Kolonialgeschichte in den Knochen
> Deutschland will Gebeine getöteter antikolonialer Kämpfer an Tansania
> zurückgeben. „Endlich, nach über 100 Jahren“, freut sich ein Enkel.
Bild: Der Schädel von Sindako Kiwelo (rechts) wurde jetzt in Berlin identifizi…
Kampala taz | Als Zablon Kiwelu vor einigen Wochen auf einem Workshop am
Fuße des Kilimanjaro-Berges in Tansania ein Dokument mit dem Briefkopf der
[1][Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK)] in die Hand gedrückt
bekam, „war ich so glücklich, dass wir nach über hundert Jahren endlich
wissen, wo mein Großvater verblieben ist“, sagt er der taz am Telefon.
„Positiv“ stand darauf gedruckt. Dies bedeutet: Der genetische
Fingerabdruck von Zablon Kiwelu stimmt mit dem überein, der von einem
Schädel genommen wurde, der über hundert Jahre lang in den Kellern der
Berliner Charité gelagert worden ist.
Über 1.000 menschliche Überreste aus den ehemals deutschen Kolonien in
Afrika wurden in den vergangenen Jahren in Berlin im Rahmen eines 2017
gestarteten [2][Pilotprojektes] am Museum für Vor- und Frühgeschichte
wissenschaftlich untersucht. Die Forscher sammelten auch DNA-Proben in den
ehemals deutschen Kolonien und verglichen die genetischen Fingerabdrücke
mit denen der Gebeine in Deutschland.
904 Schädel konnten laut SPK Gebieten im heutigen Ruanda, 197 Tansania und
27 Kenia zugeordnet werden. Bei sieben gelang keine Zuordnung.
## Sindako Kiwelo wurde im Jahr 1900 erhängt
„Akida“ steht auf einem der Schädel in Berlin. Bei diesem ließ sich nun d…
Verwandtschaft mit Zablon Kiwelu in Kilimanjaro bestätigen. Dessen
Großvater Sindato Kiwelo war zu Lebzeiten ein hochrangiger Krieger und
Berater – „Akida“ genannt – von [3][Chief Mangi Meli], dem damaligen
Anführers des Volks der Chagga, erklärt Enkel Kiwelu. Er sei im Oktober
1900 zusammen mit 18 weiteren Akidas und Chiefs von den Deutschen erhängt
worden.
„Aus den Geschichtsbüchern und mündlichen Überlieferungen wissen wir, dass
die Deutschen die Gebeine aus verschiedenen Gründen mit nach Berlin
genommen haben“, so [4][Valence Silayo], Doktor für Archäologie und
Ahnenforschung an der tansanischen [5][Universität von Daressalam]. Er hat
die Suche nach den Verwandten in Tansania und den Workshop geleitet und den
Familien letztlich auch die DNA-Ergebnisse überreicht.
Für die deutschen Besatzer waren die Gebeine, vor allem die Schädel,
Kriegstrophäen, so Silayo. Denn meist handelte es sich um Gebeine von
Personen, die sich gegen die Kolonialherren aufgelehnt und rebelliert
hatten. Zum anderen, so Silayo, wurden die Schädel zur wissenschaftlichen
Erforschung mitgenommen, meist mit rassistischen Hintergründen.
Für zwei weitere Schädeln wurde eine fast vollständige genetische
Übereinstimmung mit der Familie Molelia in Tansania identifiziert, so die
SPK. „Eine direkte biologische Verwandtschaft in ununterbrochener
väterlicher Linie ist in diesen Fällen zumindest wahrscheinlich“, so die
deutsche Stiftung.
Die taz hat auch mit dieser Familie am Telefon gesprochen, sie sind
wahnsinnig erfreut, sagen sie. Doch erst wollen sie sich in einem
Familientreffen beraten, bevor sie offiziell mit den Medien sprechen.
Ahnenforscher Silayo hat sich mit der Familiengeschichte der Molelias
intensiv beschäftigt. Bei einem Schädel handelt es sich offenbar um den
Nachfahren von Chief Mangi Sina, der ein mächtiges Königreich in Kibosho
regierte, heute ein Bezirk im ländlichen Distrikt Moshi in der
Kilimanjaro-Region. „Es war das tapferste Königreich im ganzen von den
deutschen Truppen besetzten Gebiet“, so Silayo.
Nach lang anhaltenden Auseinandersetzungen besiegten die Krieger von Mangi
Sina die deutschen Schutztruppen 1891. Dafür rächten sich die Deutschen in
einem weiteren Feldzug 1893. Mangi Sina musste sich ergeben, seine aus
Stein gebaute Festung wurde zerstört, die Deutschen verhafteten seine
Krieger und zerstörten damit seine Armee. Er starb 1897.
Ihm folgte als Thronerbe sein Sohn Molelia, „ein mächtiger General und
Krieger“, berichtet Silayo. Molelia griff die deutschen Truppen erneut an,
wurde allerdings gestellt. „Dafür wurde er von den Deutschen am 2. März
1900 gehängt“, weiß der Historiker. Seinen abgetrennten Kopf verschickten
die Deutschen nach Berlin. Dort liegt er bis heute.
Die Angehörigen in Tansania fordern nun die Rückgabe der Gebeine ihrer
Vorfahren. Der Grund, so Silayo: „Die Chagga verfolgen die eiserne Regel,
dass die Angehörigen ihres Volkes nur am Kilimanjaro beerdigt werden
sollen, nirgendwo sonst“. Dies sei besonders wichtig, wenn ein König und
damit der offizielle Volksvertreter beerdigt wird.
„Sonst wandert sein Geist weiter umher“, so Silayo. „Chagga erklären sich
seither viele Seuchen, wirtschaftliche Misserfolge, Ernteausfälle oder
sonstige schlimme Dinge mit diesem Geist, der keine Ruhe findet.“
Für viele ethnische Gruppen ist die Heimkehr der nach Deutschland
verschleppten Gebeine ihrer Vorfahren „nicht nur ein symbolischer Akt“,
sagt Silayo. „Es bedeutet so viel mehr.“ Es wäre für die Deutschen, die in
Tansania bis heute viele Entwicklungsprojekte finanziell unterstützen,
„also nicht nur ein symbolischer Akt, sondern ein sehr wichtiger Beitrag“,
um sich als Partnerland zu bewähren.
„Denn“, so Silayo, „bis heute wird vor allem in den mündlichen
Überlieferungen mit den Deutschen nach wie vor viel Blut und Leid
verbunden.“ Mit einer Rückgabe würden die Deutschen Verantwortung
übernehmen und offiziell anerkennen, dass sie Unrecht begangen haben.
## Noch keine Nachricht von der Bundesregierung
Jenseits des Dokuments mit den DNA-Testergebnissen mit dem SPK-Briefkopf
haben die betroffenen Familien in Tansania noch keine Nachricht von der
Bundesregierung erhalten. Die SPK betont in ihrer jüngsten Pressemitteilung
von Anfang September: „So zeitnah wie möglich werden nun die Angehörigen
und die Regierung von Tansania informiert.“ Bislang ist dies jedoch noch
nicht geschehen, bestätigen die Familien der taz.
Zablon Kiwelu erklärt, er habe einen Anwalt eingeschaltet und dieser würde
sich nun an die deutsche Regierung wenden. „Ich will noch in diesem Jahr
nach Berlin fliegen und den Schädel nach Hause holen“, sagt er
entschlossen.
In Kilimanjaro selbst haben die offiziellen Volksvertreter sich längst an
Tansanias Regierung gewandt, um offizielle Rückgabeansprüche zu
formulieren. „Im Jahr 2021 haben wir Chiefs von Kilimanjaro ein
traditionelles Fest ausgerichtet, bei welchem auch [6][Präsidentin Samia
Suluhu Hassan] anwesend war“, berichtet Joseph Mselle von der Chiefs Union
in Tansania, Verband aller traditionellen Volksvertreter im Land.
Mselle ist heute als Chief für die Region Kilimanjaro zuständig. „Wir haben
die Präsidentin offiziell gebeten, bei der Rückgabe der menschlichen
Überreste zu helfen, die uns während des Kolonialismus entwendet wurden.“
Samia hat diese Aufgabe dem Ministerium für Tourismus, Sport und Kultur
übertragen, das nun gemeinsam mit dem Außenministerium mit den
Rückgabeforderungen an Deutschland betraut wurde.
Die Idee sei, sagt Mselle, dass die Deutschen in Kilimanjaro ein Museum
errichten, in welchem nicht nur die zurückgebrachten Gebeine, sondern auch
die Kolonialgeschichte erklärt wird. Auch Enkel Zablon betont, ein solches
Museum sei ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte. Er wäre
bereit, den Schädel seines Großvaters dort auszustellen, sagt er der taz.
Im Oktober plant der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine
[7][Reise nach Tansania]. Dies könnte eine Gelegenheit sein, diese
Forderungen anzusprechen. Auf taz-Anfrage erklärt das Bundespräsidialamt,
Steinmeier „hofft, dass die zuständigen Institutionen in Deutschland und
Tansania in Verbindung mit den Familien der Nachfahren rasch eine Lösung
finden, wie die Schädel am besten zurückgegeben werden können.“
Hinweis: In der ersten Fassung des Textes war die Zahl der von den
Deutschen Erhängten mit 20 angegeben. Es waren aber 19. Wir haben das
korrigiert. Wir haben außerdem die SPK als Quelle der Anzahl der
zugeordneten Schädel ergänzt.
19 Sep 2023
## LINKS
[1] https://www.preussischer-kulturbesitz.de/pressemitteilung/artikel/2023/09/0…
[2] https://www.preussischer-kulturbesitz.de/meldung/artikel/2023/01/18/neue-pu…
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Mangi_Meli
[4] https://classics.exeter.ac.uk/staff/silayo/
[5] https://www.udsm.ac.tz/
[6] /Praesidentin-Mama-Samia-in-Tansania/!5808657
[7] https://www.africa-business-guide.de/de/meldungen/bundespraesident-steinmei…
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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