# taz.de -- „Wendepunkte“ von Ulrich Menzel: Krise, Einschnitt und das Dana… | |
> Steht die Welt am Übergang zu einem autoritären Jahrhundert? Eine Analyse | |
> der Wendepunkte einer Welt, die aus den Fugen gerät. | |
Bild: Möglich ist, dass China zum Hegemon aufsteigt. Möglich ist auch, dass d… | |
Markiert Russlands [1][Angriffskrieg in der Ukraine tatsächlich eine | |
Zeitenwende?] Oder ist er nur ein Glied in einer längeren Kette von | |
Krisenphänomenen, die auf eine größere Umwälzung verweist? | |
Diese These vertritt der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel in seinem | |
Buch „Wendepunkte“. Wenn man den Begriff Zeitenwende allein für den 24. | |
Februar 2022 reserviere, verkürze man ihn auf das Kriegerische und auf eine | |
eurozentristische Perspektive, kritisiert er. Vor allem verschleiere man | |
aber eine epochalere Wende. | |
Gemeint ist eine mögliche Wachablösung im internationalen System. Menzel | |
ist ein Vertreter der Hegemonietheorie, die davon ausgeht, dass die | |
Staatenwelt nicht dauerhaft im Zustand der Anarchie verbleibt, aber auch | |
nicht allein durch zwischenstaatliche Abkommen, internationale | |
Institutionen und völkerrechtliche Normen eine Ordnung ausbildet. Vielmehr | |
bedarf es eines Hegemons, der mit seiner wirtschaftlichen und militärischen | |
Dominanz der internationalen Sphäre bestimmte Strukturen gibt. | |
Momentan sieht Menzel eine Phase des „hegemonialen Übergangs“. Die USA | |
seien zunehmend weniger in der Lage, [2][die Rolle der globalen | |
Führungsmacht auszufüllen], was sich nicht nur bei der inneren Krise der | |
US-Demokratie, sondern auch in den zahlreichen Konflikten mit den | |
europäischen Verbündeten, insbesondere [3][während der Trump-Jahre], zeige. | |
## Anarchie der Staatenwelt | |
Und China, das die Rolle des globalen Hegemons anstrebt, sei noch nicht so | |
weit, eine internationale Ordnung nach seinen autoritären Vorstellungen | |
schaffen zu können. In Übergangsphasen wie jetzt kehre für eine Weile die | |
Anarchie der Staatenwelt zurück, weshalb es häufiger zu militärischen | |
Konflikten kommt. | |
Menzels Buch versammelt eine Reihe von Aufsätzen, teils auch älteren | |
Entstehungsdatums, die der Frage nachgehen, wann Wendepunkte im | |
internationalen System entstehen und wie einzelne Mächte dieses prägen. | |
Dafür greift er weit in die Geschichte aus und beschäftigt sich mit dem | |
Verhältnis Europas zu Asien, das von Beginn an stark von Handelsinteressen | |
geprägt war – und von der Konkurrenz der europäischen Nationen. | |
Militärische Innovationen spielten dabei immer wieder entscheidende Rollen. | |
So stieg zum Beispiel Portugal im 16. Jahrhundert zur herrschenden Seemacht | |
im Indischen Ozean auf, weil es mit der Galeone ein Schiff baute, das zum | |
einen Afrika umsegeln konnte, zum anderen besonders viele Kanonen an Bord | |
postiert hatte, was ihm in Gefechten einen Vorteil verschaffte. | |
Wie Hegemone die internationale Ordnung prägen, wird in der historischen | |
Rückschau deutlich: Im 17. Jahrhundert wurden etwa die Niederlande die | |
führende Schiffsbaunation und setzten das Prinzip der „Freiheit der Meere“ | |
durch, ein Zugang für alle – gegen den portugiesisch-spanischen Anspruch, | |
die Meere exklusiv zu nutzen. | |
## Untertitel: „Am Übergang zum autoritären Jahrhundert“ | |
Der Hegemon, schreibt Menzel, zeichnet sich dadurch aus, dass er | |
internationale öffentliche Güter zur Verfügung stellt, die von allen | |
genutzt werden können. Zu diesen zählen Stabilität, Sicherheit und | |
Konnektivität, also die Ermöglichung des grenzüberschreitenden Verkehrs. In | |
dieser Makroperspektive der internationalen Beziehungen ist der Krieg in | |
der Ukraine dann nur Teil einer Krisenkaskade, die den American decline | |
begleitet. | |
Menzel stellt den Krieg in eine Reihe mit 9/11 und der Weltfinanzkrise nach | |
2008. Hier kann man allerdings einwenden, dass die Rückkehr nackter Gewalt | |
in die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa ein so krasser Bruch mit | |
der Nachkriegsordnung ist, dass Putins Überfall doch mehr ist als nur ein | |
Glied in einer Krisenkette. Wie mit dem russischen Angriffskrieg das | |
Militärische mit aller Vehemenz wieder Teil der internationalen Politik | |
wird – das kommt bei Menzel zu kurz. | |
„Am Übergang zum autoritären Jahrhundert“, lautet der Untertitel des Buch… | |
So entschieden, wie er suggeriert, ist der Ausgang der jetzigen Phase aber | |
gar nicht. Darauf weist Menzel explizit hin. Möglich ist es, dass China zum | |
Hegemon aufsteigt und eine autokratische Weltordnung schafft. Möglich ist | |
es aber auch, dass die USA ihren Abstieg stoppen und einen weiteren | |
Hegemoniezyklus beginnen. Das ist, bemerkt Menzel, schließlich schon einmal | |
gelungen. | |
Mitte der 1980er Jahre war auch viel vom amerikanischen Abstieg die Rede. | |
Dann fiel die Berliner Mauer, die Sowjetunion kollabierte, und die USA | |
fanden sich als einzige verbliebene Supermacht auf dem Höhepunkt ihrer | |
Macht wieder. Insofern kann [4][der Blick in die Geschichte] für | |
Wendepunkte der Weltordnung in der Gegenwart sensibilisieren. Wie es nach | |
ihnen weitergeht, verrät er aber nicht. | |
24 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jan Pfaff | |
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