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# taz.de -- Künstliche Intelligenz in der Kunst: Auf der Suche nach dem Deep F…
> Eine Ausstellung will KI in der Kunst zeigen. Was es bedeutet, wenn
> Technologie täuschende Bilder produziert, erklärt sie aber kaum.
Bild: Postapokalyptische Landschaften: Philippe Parreno, „The Owl in Daylight…
Angeblich brauchte es nur eine Haarlocke, die im Internet ersteigert wurde,
um Marlene Dietrich mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) zum Leben zu
erwecken. Mit Zylinder, berlinernd, in einem Rahmen wie in der
Künstlergarderobe hinter der Broadwaybühne ist sie in der Videoinstallation
von kennedy+swan zu sehen.
Wenn man die bereitliegenden Brillen aufsetzt, sogar in 3D. [1][Die 1992 in
Paris verstorbene deutsche Diva] wurde mit Computertechnik und Videotricks
wieder ins Reich der Lebenden befördert, wo sie sich nun über solche
technische Innovationen nur wundern kann.
Mit künstlicher Intelligenz (KI) reanimiert wird nicht nur sie in der
Ausstellung „Shift. KI und eine zukünftige Gemeinschaft“, die vom
Kunstmuseum Stuttgart und dem Marta Herford entwickelt wurde und nun in der
westfälischen Stadt mit dem charakteristischen Museumsbau von Frank O.
Gehry zu sehen ist.
Einen Raum weiter tönt die Stimme einer 2.000 Jahre alten Mumie schauerlich
aus sechs Lautsprecherboxen, auch sie mithilfe von KI von dem deutschen
Künstler Christian Kosmas Mayer und von Wissenschaftlern der Technischen
Universität Dresden aus den zusammengeschnurrten Stimmbändern des Leichnams
ausgelesen.
## Geister auf Fotografien des 19. Jahrhunderts
Gleich daneben hat Mayer Bilder des US-amerikanischen Fotografen Wiliam H.
Mumler aus dem 19. Jahrhundert nachbearbeitet. Mumler ließ durch
Doppelbelichtung Geister hinter seinen Fotomotiven erscheinen; er haucht
den Gestalten auf den braunstichigen Bildern neues Leben ein, indem er als
digital animierter Geist in sie fährt und sie die Augen rollen und die
Lippen bewegen lässt.
Aber was für eine Art von KI wirkt eigentlich in diesen Arbeiten? Bei
Heather Dewey-Hagborg hat sie offenbar dabei geholfen, aus einer
Speichelprobe der US-amerikanischen [2][Whistleblowerin Chelsea Manning]
anhand der DNA ein gutes Dutzend mögliche Gesichter zu generieren. Mit dem
3D-Drucker ausgedruckt hängen sie nun gespenstisch von der Decke.
Bei Philippe Parreno würfelt die KI aus digitalen Bilddateien eine sich
kontinuierlich leicht verändernde postapokalyptische Landschaft in einer
Videoprojektion zusammen. Und bei den Arbeiten von [3][Hito Steyerl bringt
sie offenbar 3D-Modelle mit Bewegungsdaten] aus der Überwachungskamera zum
Tanzen.
## KI arbeitet oft im Hintergrund
In der NFT-Galerie von Christoph Faulhaber ist auf den ersten Blick gar
kein signifikanter Einsatz von künstlicher Intelligenz zu beobachten – oder
zumindest keiner, der über den hinausgeht, an den wir uns schon lange
gewöhnt haben, weil er bei Amazon, Google, Online-Karten,
Autokorrekturprogrammen oder Grafiksoftware unbemerkt im Hintergrund
stattfindet.
„Shift“ zeigt Kunst, die in einer Zeit entstanden ist, als künstliche
Intelligenz noch eher als Mittel zum Zweck hinter den Kulissen
funktionierte, denn wirklich als Gestaltungsmittel diente. Was die
Ausstellung nicht mehr reflektiert, ist der Shift, der sich im vergangenen
Jahr abgespielt hat, als plötzlich hochentwickelte KI-Anwendungen wie
ChatGPT oder Stable Diffusion für jedermann im Internet benutzbar wurden.
Was sie daher nicht zeigen kann, ist der Paradigmenwechsel, den dies
bedeutet hat, ebenso wenig wie die neuen Formen von Gemeinschaft, die so
entstanden sind: Textprogramme wie ChatGPT oder Bildgeneratoren wie DALL-E
oder Midjourney sind Teil der Netzkultur geworden, haben virale Bilder und
Memes hervorgebracht und es auf die Titelseiten von Cosmopolitan und
Spiegel geschafft.
Das festzustellen hat nichts mit Häme zu tun. Bei Ausstellungen mit ganz
aktuellen Themen besteht einfach die Gefahr, dass sich die Welt
weiterdreht, noch während sie zu sehen sind.
Daran ist nichts Ehrenrühriges, im Gegenteil; in der deutschen Kunstwelt,
die mit digitaler Kunst ebenso fremdelt wie mit den Themen der globalen
Informationsgesellschaft, ist es schon ein Alleinstellungsmerkmal, wenn man
vom aktuellen technischen Status quo und von den so ausgelösten diskursiven
Verschiebungen überhaupt überholt werden kann.
„Shift“ ist so zur Retrospektive einer Kunst geworden, die zu einer Zeit
entstanden ist, die man wohl langsam als „Vor-Chat-GPT“-Periode bezeichnen
kann, auch wenn zum Beispiel kennedy+swan sogar schon mit GPT 3 gearbeitet
haben. Aber die Art, wie künstliche Intelligenz hier eingesetzt wurde, hat
oft etwas Nebelhaftes und einschüchternd Komplexes.
Die Blackbox künstliche Intelligenz wird trotzdem nicht aufgeknackt. Auch
wenn sicherlich keiner der Künstler die Absicht hatte, KI zu mystifizieren,
fehlen Werke, die diese Technologie wirklich transparent machen oder
dekonstruieren. Da hat der Papst in der aufgepumpten Schneejacke, der
kürzlich im Netz viral gegangen ist, möglicherweise eine noch
aufklärerischere Wirkung.
Und die wieder erwachte Marlene Dietrich in der Videoinstallation von
kennedy+swan? Ist in Wirklichkeit auch kein mit superschlauer KI
erstellter, täuschend echter und verblüffend lebensnaher Deep Fake –
sondern eine ganz normale Schauspielerin.
20 Jul 2023
## LINKS
[1] /25-Todestag-der-Dietrich/!5404271
[2] /Buch-Readmetext-von-Chelsea-Manning/!5893626
[3] /Konzeptkunst-Ausstellung/!5640429
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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