| # taz.de -- „human error“-Ausstellung in Bremen: Der Frankenstein-Trick | |
| > Louisa Clement stellt ihre mit KI gefütterten Roboterselbstbildnisse in | |
| > Bremen Paula Modersohn-Becker gegenüber. Ist das feministische Kritik? | |
| Bild: Spricht gegenüber von Paula Modersohn-Beckers Selbstbildnissen über Sex… | |
| Es ist keine Überraschung, dass es hier spuken soll. Die windschiefen | |
| Gässchen, ziellosen Treppen und zwielichtigen Innenhöfe der Bremer | |
| Böttcherstraße sind ein andersweltlicher Raum: [1][die Backstein gewordene | |
| Idee] von „völkischem Expressionismus“. Man rechnet also schon mit | |
| Gespenstern und zuckt trotzdem zusammen, als der tote Körper im Paula | |
| Modersohn-Becker Museum tatsächlich zu sprechen beginnt. | |
| Die Frau im Kleinen Schwarzen ist ein Roboter, eine „Repräsentantin“ der | |
| Bonner Künstlerin Louisa Clement, die hier gerade die Sonderausstellung | |
| [2][„human error“] bestreitet. Ähnlich sehen sie einander – die 36-jähr… | |
| Künstlerin und ihre Puppe – bei diesem Repräsentieren geht es aber um etwas | |
| anderes. Die künstliche Clement spricht im Namen der echten, und | |
| beantwortet schamlos auch persönliche Fragen vom Lieblingsessen, bis zu | |
| Freund:innen und Sexualität. | |
| Die Maschine wird mit der Zeit besser darin, Informationen zu verknüpfen, | |
| und lernt dazu, wie das Leben so funktioniert. Vielleicht. Louisa Clement | |
| greift nicht mehr ein, sondern lässt den Dingen ihren Lauf. „Ich habe einen | |
| Teil der Kontrolle abgegeben“, sagt sie. Das heißt auch, zu ertragen, | |
| dass Museumsbesucher ein intimes Gespräch mit ihr imaginieren können und | |
| dabei auch echte private Informationen abrufen. | |
| ## Ein Creep findet sich immer | |
| Warum das allerdings überhaupt jemand tun sollte, lässt die Arbeit | |
| unterbelichtet. Es braucht ja wen, der im Museum eine Gummifrau im knappen | |
| Kleid anquatscht, um sie hochnotpeinlich nach Louisa Clement auszufragen. | |
| Vielleicht ist die Botschaft: Wer Informationen ins Netz stellt, muss damit | |
| rechnen, dass sich irgendwann ein Creep findet, der sie auflesen kommt. Ob | |
| es für diese Erkenntnis Clements Exhibitionismusmaschine gebraucht hätte, | |
| sei mal dahin gestellt. | |
| Louisa Clement arbeitet seit etwa zwei Jahren zu künstlicher Intelligenz | |
| und kommt damit im deutschen Ausstellungswesen gerade gut an. Die | |
| Repräsentantin entspringt zwar nicht dem allerjüngsten KI-Hype – vielmehr | |
| wirkt sie in ihrer perfekten Künstlichkeit wie aus einem Sci-Fi-Film der | |
| 1980er, sie trifft aber einen Nerv der Zeit. Im Bremer | |
| Paula-Modersohn-Becker Museum stehen Clements Arbeiten neben dem Werk der | |
| 1907 jung gestorbenen [3][Namensgeberin des Hauses]: mitten in Moderne und | |
| frühem Expressionismus. | |
| Die Reibungsfläche ist gewollt. Häufig lädt Direktor Frank Schmidt | |
| Künstler:innen ein, sich mit der Sammlung des Hauses | |
| auseinanderzusetzen. In Clements Fall wird freundliche Distanz geübt. Wie | |
| eine Besucherin sitzt die Repräsentantin zwischen den Gemälden. Und im | |
| Gespräch wirkt der Roboter auch nicht interessiert an Paula Becker, | |
| Worpswede, [4][der Avantgarde und so weiter]. | |
| Was beide Künstlerinnen aber teilen, ist die Erfahrung von Entäußerung: | |
| Clement mit ihrem Informationspaket und Paula Modersohn-Becker in mehr als | |
| 60 Selbstporträts, die damals Grenzen überschritten. Bis heute aufrüttelnd | |
| ist etwa ihr berühmter [5][Selbstakt zum sechsten Hochzeitstag] von 1906, | |
| in dem sich die Künstlerin schwanger mit freiem Oberkörper zeigt. Doch | |
| Paula Modersohn-Becker war beim Malen genauso wenig schwanger, wie die | |
| tatsächliche Louisa Clement jetzt in der Böttcherstraße sitzt. | |
| ## Hilflose Maschinenmenschen | |
| Ein paar Räume später zeigt ein Video zwei Roboterköpfe, die in | |
| nervtötender Monotonie fehlende Internetanbindung beklagen, irgendwo | |
| zwischen technischer Fehlermeldung und existenzialistischer Sinnkrise. | |
| Clements Maschinenmenschen sind hilflose und abgeleitete Figuren. Sie | |
| stellt sie aus als offline abgenabelt – auf eine diffuse Art, die zwischen | |
| einer Lust am Objektstatus dieser Wesen und einer feministischen Kritik | |
| changiert. Im Nebenraum liegen die Gussformen auf dem Boden, mit denen | |
| (männliche wie weibliche) Sexpuppen in Serie reproduziert werden können. | |
| Wirklich finster ist der letzte Raum, der Detailaufnahmen scheinbarer | |
| Misshandlungsspuren an einer Puppe zeigt: blaue Flecken, Hämatome und | |
| Schnitte. Das wirkt wie ein inszenierter Schockmoment, doch die Puppe kam | |
| so zerschunden von einer Ausstellung zurück, die Verfärbungen stammen von | |
| unsachgemäßem Transport. Nur harmlose Erklärungen für offensichtliche | |
| Gewaltspuren? | |
| Louisa Clements Schauerästhetik ist zwar schwer zu ertragen, doch wie sie | |
| die Puppen ihrem Eigenleben überlässt, eröffnet auch empfindliche Fragen | |
| über Gewalt, über den Körper der Frau, über unsere Lust am Exhibitionismus | |
| anderer. Man weiß nur nicht, ob diese Fragen nicht eher zufällig entstehen, | |
| denn von der Künstlerin gewollt. | |
| 20 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Veroeffentlichung-ueber-Bremer-Nationalsozialisten/!5025189 | |
| [2] https://www.museen-boettcherstrasse.de/ausstellungen/louisa-clement/ | |
| [3] https://www.museen-boettcherstrasse.de/museen/paula-modersohn-becker-museum… | |
| [4] /Roman-wiedergelesen/!5535619 | |
| [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Paula_Moderson-Becker_-_Selbstbildnis_a… | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
| ## TAGS | |
| Ausstellung | |
| Bremen | |
| Feminismus | |
| Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
| Körper in der Kunst | |
| Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
| Kunst | |
| Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
| Malerei | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Ausstellung zur weiblichen Rückbeuge: Das Höllentor zur Tiefenentspannung | |
| Es gibt sie, die Kulturgeschichte der (weiblichen) Rückbeuge. Das Museum | |
| der Moderne in Salzburg zeichnet sie nach, mit verblüffend viel Material. | |
| Klara Indernach schreibt für „Express“: Das ist kein Mensch! | |
| Die Boulevardzeitung „Express“ setzt eine KI ein, um Texte zu schreiben. | |
| Daran wäre nichts verwerflich, wenn da nicht die Aufmachung wäre. | |
| Medienkunstfestival Ars Electronica: Auf schwankendem digitalen Grund | |
| Die Ars Electronica in Linz war einst technikbegeistert. Jetzt zeigte sie | |
| sich technikkritisch. Es geht um Wahrheit und künstliche Intelligenz. | |
| Künstliche Intelligenz in der Kunst: Auf der Suche nach dem Deep Fake | |
| Eine Ausstellung will KI in der Kunst zeigen. Was es bedeutet, wenn | |
| Technologie täuschende Bilder produziert, erklärt sie aber kaum. | |
| Ausstellung „Maler des Heiligen Herzens“: Die Gruppe, die es nie gab | |
| Eine missglückte Ausstellungen lohnt den Besuch: Das Modersohn-Becker | |
| Museum zeigt visionäre Gemälde der Séraphine Louis. Allerdings unter | |
| anderem. |