# taz.de -- Veröffentlichung über Bremer Nationalsozialisten: Mäzen und Krie… | |
> In seinem Buch "Bombshell" trägt Ludwig Leidig die Erinnerungen seiner | |
> Mutter an den Bremer Unternehmer Ludwig Roselius zusammen. | |
Bild: Neue Erkenntnisse über Ludwig Roselius: „Bombshell“ von Ludwig Leidi… | |
BREMEN taz | Die Verstrickungen von Ludwig Roselius und seiner | |
Böttcherstraße mit dem Nationalsozialismus werden heute nicht mehr | |
verschwiegen. Im Gegenteil: Sie sind fester Bestandteil der Bremer Legende | |
vom Selfmademan geworden, der Kaffee HAG und Kaba erfand und der mit Hitler | |
um die Böttcherstraße stritt. | |
In dieser Geschichte tritt Roselius als widerspenstiger Kunst-Mäzen auf, | |
der im NS-Kulturstreit auf der expressionistisch-okkultistischen | |
Verliererseite stand (siehe Kasten). Ein bisschen Widerstand, bevor sich | |
Roselius schwer erkrankt ins Privatleben zurückzieht und 1943 verstirbt. | |
Eine widersprüchliche Figur soll er gewesen sein, die mit Kommunisten und | |
Juden Umgang pflegte und in den höchsten Etagen der Nazi-Elite ein und | |
ausging. Einige persönliche Einsichten kommen nun aus Australien: Sie | |
finden sich in dem Buch „Bombshell“ von Ludwig Leidig. Der Titel und eine | |
wehende Hakenkreuz-Fahne auf dem Umschlag sehen zunächst ein bisschen | |
verrückt und nach Nazi-Trash aus – jedenfalls nicht nach einer typischen | |
Bremensie oder einem historischen Fachbuch. | |
Aber Leidig ist doch an beidem nah dran. Er ist der Sohn von Barbara Götte, | |
der Privatsekretärin und engen Freundin des Kaffee-Magnaten Roselius. | |
„Bombshell“ gibt ihre mündlichen Berichte wieder und flankiert sie mit | |
zahlreichen, bislang unbekannten Briefen aus ihrem Nachlass. | |
Leidig beschreibt Roselius als ehrenwerten Großkapitalisten, und legt nahe, | |
dass es bei der Geschichte letztlich doch um Geld und weniger um Kunst und | |
Atlantis geht. Und: „Roselius war Imperialist“, schreibt Leidig beiläufig. | |
## Nazi der ersten Stunde | |
Was das bedeutet, erklärt der Historiker Jörg Wollenberg: Die hanseatischen | |
Kaufleute um Roselius hätten die „Kriegsziele des NS bereit im Ersten | |
Weltkrieg vorweg genommen“. Sie erschlossen die Ukraine für die deutsche | |
Raubwirtschaft: eine unerschöpfliche Kornkammer für Großdeutschland, die | |
von Finnland über die Krim bis an die türkische Grenze reichte. | |
Auch ideologisch war Roselius nicht Mitläufer, sondern Vordenker des NS. Er | |
gründete 1917 die „Deutsche Vaterlandspartei“, die schon damals einen | |
„nationalen Sozialismus“ propagierte und versuchte, eine | |
anti-kommunistische Massenbewegung zu schaffen. | |
Über eine germanisch-deutsche Identität zusammengeschweißt sollte das Volk | |
nicht auf revolutionäre Gedanken kommen. „Nationalsozialist bin ich seit | |
1918“, schrieb Roselius später in seiner Bewerbung um Aufnahme in die | |
NSDAP. Er hat nicht übertrieben. | |
Trotz der viel debattierten kulturellen Meinungsverschiedenheiten ist sich | |
Roselius doch da mit Hitler einig geblieben, wo es wirklich darauf ankam: | |
beim Krieg. Zu Roselius’ Imperium gehörte auch der Flugzeugbauer | |
Focke-Wulf. | |
Die AG wurde 1936 in eine GmbH umgewandelt, musste ihre Zahlen nicht mehr | |
veröffentlichen und konnte darum im Verborgenen wirtschaften. Nach einer | |
gewaltigen Kapital-Aufstockung begann noch im selben Jahr der geheime | |
Aufbau einer deutschen Luftwaffe. | |
## Die Frau an Roselius’ Seite | |
Leidig vermutet in „Bombshell“, Roselius habe die Entscheidung getroffen | |
und eigenhändig Kapital in Focke Wulf gepumpt, um so eine Bestandsgarantie | |
für die umstrittene Böttcherstraße von Hitler zu erkaufen. Das Buch erzählt | |
eine dramatische Szene, in der die Sekretärin Barbara Götte Hitler | |
aufsucht, um zwischen dem Führer und dem schwer kranken Roselius zu | |
vermitteln: Eine junge Frau an den Schaltstellen der Macht. | |
Götte war im gleichen Alter wie Roselius’ Tochter, deren Schwägerin sie | |
ist. Sie gehört also bereits zur Familie als Roselius sie zur Assistentin | |
machte. Und damit begann ein außergewöhnliches Leben mit Geschäftsreisen um | |
die ganze Welt, Safaris und Luxus-Partys, als der Krieg bereits in vollem | |
Gang war. | |
Als Frau konnte Götte bei Geschäftsterminen anwesend sein, ohne dass sich | |
jemand sorgte, sie würde eines Tages zur Konkurrentin. Später pflegte sie | |
den bettlägrigen Roselius bis zu dessen Tod. „Bombshell“ ist auch eine | |
Liebesgeschichte – eine rein platonische allerdings, wie Roselius in einem | |
Brief an eine Freundin seiner Ehefrau betonte. Er sei seit der Amputation | |
seines Beines ohnehin impotent. | |
## Vom anderen Ende der Welt | |
Nach Roselius’ Tod verschwand Götte von der Bildfläche. Leidig behauptet, | |
ihr sei ein Erbe von Roselius versprochen gewesen, um das sie aus Rücksicht | |
auf die Töchter aber nicht streiten wollte. „Bombshell“ dokumentiert ihre | |
Briefe aus Worpswede, wo sie in Sicherheit vor alliierten Bomben das | |
Studium wieder aufnahm. Dort hat sie sich schließlich in ihren Lehrer Paul | |
Leidig verliebt, mit dem sie nach Australien zog. | |
Aus dieser großen Distanz schrieb ihr Sohn das Buch über die deutsche | |
Vergangenheit – mit einigen äußerst fragwürdigen Leerstellen: Der Holocaust | |
etwa kommt in „Bombshell“ kaum vor. Barbara habe nichts vom Mord an den | |
Juden gewusst, schreibt Leidig. | |
Die Entschuldungsstrategie traut sich hier kaum noch jemand: So habe Mitzi, | |
eine jüdische Freundin, die im Buch sonst nicht vorkommt, seiner Mutter | |
erklärt, die Deutschen seien vom Faschismus verführte Unschuldige. Und | |
Roselius? Der hätte über seine zahlreichen Kontakte schon etwas wissen | |
können, habe Götte vermutet – und wenn, hätte das dem Schöngeist wohl | |
unerträgliche Schmerzen bereitet. | |
Das sind Erzählungen einer Frau, die genauso mit ihrem Gewissen zu kämpfen | |
gehabt haben wird, wie die meisten Deutschen. Leidig gibt sie unkritisch | |
wieder, ohne sie in einem allgemeineren Erinnerungsdiskurs zu verorten. | |
Stattdessen ertrinkt das Buch in Details: Um wie viel Uhr sind Götte und | |
Roselius in Ägypten angekommen, was gab es zu essen und von welchem | |
Hersteller war der Mietwagen? Aber wie auch sonst, wenn alte Leute zu viel | |
erzählen, lohnt es sich doch, zwischen den Zeilen genauer hinzuhören. | |
29 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Bremen | |
Schwerpunkt Bremer Mahnmal zur „Arisierung“ | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Provenienzforschung | |
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
1914 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Finanzamt im Nationalsozialismus: Ein Netzwerk der „Verwertung“ | |
Das Finanzamt hat seine Rolle im Nationalsozialismus aufarbeiten lassen. | |
Dabei zeigt sich auch die engagierte Beteiligung von Speditionen an den | |
Plünderungen. | |
Erinnern im Bunker: „Ich habe das Leiden transformiert“ | |
Im Bremer U-Boot-Bunker „Valentin“ soll an Nazi-Opfer gedacht werden. Ein | |
Besuch mit dem Auschwitz-Überlebenden Maurice Cling. | |
Provenienzen: Irrwege der Kunst | |
Die Kunsthalle zeigt den Forschungsstand zur Herkunft ihrer im | |
Nationalsozialismus erworbenen Werke. | |
Lücken der Gedenkkultur: Die vergessenen Toten | |
Die Wanderausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ basiert auf | |
Interviews mit afrikanischen Veteranen. | |
Leben und Arbeiten in der Nazi-Zeit: Bilder einer Zwangsverbindung | |
Eine Ausstellung zeigt beeindruckende Fotos der einst mächtigen Bremer | |
Wollkämmerei aus der Zeit des Nationalsozialismus. Leider hat sie zu wenig | |
Platz. | |
Hier, 1914: Heimatfront Bremen | |
Universität, Bürgerschaft und Bremer Evangelische Kirche beschäftigen sich | |
intensiv mit der regionalen Weltkriegs-Geschichte. Eine von reichsweit zwei | |
kritischen Zeitungen erschien in Bremen. |