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# taz.de -- Hier, 1914: Heimatfront Bremen
> Universität, Bürgerschaft und Bremer Evangelische Kirche beschäftigen
> sich intensiv mit der regionalen Weltkriegs-Geschichte. Eine von
> reichsweit zwei kritischen Zeitungen erschien in Bremen.
Bild: Der "Eiserne Roland" vor dem Bremer Rathaus diente der Kriegsspenden-Samm…
BREMEN taz | Der Schau-Schützengraben auf dem Stadtwerder ist vorbildlich
angelegt. In mustergültigen Schlangenlinien windet sich die Verschanzung
neben dem Ausflugslokal „Kuhhirt“ durch die Wiesen, am Ende erwartet die
Besucher der geradezu heimelige Unterstand des Zugführers: Die „Fähigkeit
der Deutschen, selbst im Krieg für Gemütlichkeit zu sorgen“, wird in den
Bremer Nachrichten ausdrücklich hervorgehoben. Nachzuvollziehen ist das in
einer hervorragenden Ausstellung mit dem Titel „Bremen und seine Presse im
Ersten Weltkrieg“, mit der sich die Bürgerschaft in bemerkenswerter Weise
an den derzeitigen Weltkriegs-Betrachtungen beteiligt.
Trotz ihres fokussierenden Titels thematisiert die Schau weit mehr als die
Reaktionen der Bremer Presseorgane auf die Kriegszeiten. Die
AusstellungsmacherInnen um Kurator Michael Nagel und Eva Schöck-Quinteros
von der Universität Bremen haben zahlreiche Alltagszeugnisse
zusammengetragen, von Schulaufsätzen, Briefen bis hin zu Tagebüchern und
Tondokumenten, in denen „ganz normale Bremer“ ihr Erleben in den Jahren
1914 bis 1918 schildern. Etwa, wie ab 1916 das Radfahren auf einmal sehr
holprig wurde, weil sämtliche Fahrradreifen und schläuche abzugeben waren.
Aber auch, wie bereits 1915 ausländische Zwangsarbeiter in Bremer Betrieben
schuften mussten. Durch die Konfrontation der damaligen Propaganda-Filme
von der Westfront mit Berichten über die Kriegsverbrechen des
Infanterieregiments „Bremen“ – die 75er – in Belgien bezieht die
Ausstellung auch überörtliche Perspektiven ein.
Seit Jahren leistet Schöck-Quinteros‘ Geschichtsinstituts-Projekt „Aus den
Akten auf die Bühne“ hervorragende historische Vermittlungsarbeit, nun hat
die Zusammenarbeit mit Nagels ebenfalls an der Uni angesiedeltem Institut
für Deutsche Presseforschung zu einem opulenten Ergebnis geführt. Denn dass
Bremen der bundesweite Hotspot der historischen Presseforschung ist, hat
auch etwas mit den historischen Gegebenheiten zu tun: Es gab hier mit vier
großen Tageszeitungen eine erhebliche publizistische Vielfalt, in Gestalt
der sozialdemokratischen Bürger-Zeitung – laut Zeitungskopf das „Organ für
die Interessen des Volkes“ – war in Bremen das neben der Leipziger
Volkszeitung reichsweit einzige Blatt beheimatet, das trotz Zensur
deutliche Kritik an der Kriegstreiberei formulierte. „Es ist keine Hoffnung
mehr. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf“, stellt die Bürger-Zeitung nach der
Mobilmachung, in ihrer Ausgabe vom 3. August 1914 fest, so resignativ wie
zutreffend.
Der besondere Wert oppositioneller Presseberichte liegt nicht nur darin,
die vermeintliche Automatik der Kriegsbegeisterung zu widerlegen – von der
(auch angesichts der ungehemmten Kriegsbeginn-Begeisterung späterer
Elite-Intellektueller wie Thomas Mann) vielfach ausgegangen wird; als sei
es quasi unausweichlich gewesen, vom patriotischen Taumel mitgerissen zu
werden. Ein ebenso wichtige Funktion haben diese Texte dadurch, dass sie
die Faktizität einer allgemeinen Euphorie während der als „Augusterlebnis“
vielfach mystifizierten ersten Weltkriegs-Wochen selbst in Frage stellen.
Denn an jenem 3. August, an dem die ersten Einberufenen zum Bahnhof gingen,
befand sich Bremen möglicherweise keineswegs im Hurra-Modus: „Es ist still
geworden auf den Straßen. Die meisten Schreier sind verstummt. (...) Auf
den starren Gesichtern liegt die Erwartung der ungeheuren, drohenden
Zukunft (...) alle gehen stumm dahin“, behauptet die Bürger-Zeitung.
In der letzten Bürgerschafts-Sitzung vor der Sommerpause – der Sommerpause
vor 100 Jahren – betonte Parlamentspräsident Quidde in einer feierlichen
Rede, unterbrochen von lebhaften Bravos, nichtsdestoweniger „die große
Begeisterung, die im ganzen deutschen Vaterlande“ herrsche. Trotz „der
allseitig anerkannten Friedensliebe Seiner Majestät“ sei Deutschland der
Friede „von unseren Gegnern geraubt“ worden, „in erster Linie von
Russland“. Doch dass ein nüchterner Blick auf die imperialen Gelüste des
Kaisers nicht notwendigerweise verstellt sein musste, zeigt ein Verweis auf
Rudolph Quiddes Bruder Ludwig, der gerade zum Vorsitzenden der Deutschen
Friedensgesellschaft gewählt worden war. Der spätere
Friedensnobelpreisträger warnte schon früh vor der mörderischen
Kriegsdynamik.
Die Ausstellung stellt zahlreiche Bezüge zur Gegenwart her: Großformatige
in Richtung der aktuellen europäischen Friedensordnung, Kleinformatige in
Bezug auf lokales Erinnern. Paul König, als Kapitän der „U-Deutschland“ m…
Heimathafen Bremen hier ausgiebig als Blockadebrecher und Kriegsheld
gefeiert, nimmt noch immer unkommentierte Ehrenplätze am Eingang des
Rathauses oder bei den berühmten beweglichen Wandbildern unter dem
Glockenspiel der Böttcherstraße ein. Und schon lange ist überfällig, am
Rondell auf der 1935 pompös eingeweihten Altmannshöhe eine Tafel
anzubringen, die das Backsteinrund mit dem großen Granitaltar als das
bezeichnet, was es ist: die Manifestation des Schulterschlusses zwischen
Nationalsozialismus, Wehrmacht und evangelischer Kirche.
Womit die Ausstellung sparsam umgeht, ist die Bezugnahme auf die Bremer
Ehrenbürger Paul von Hindenburg und Rudolf Alexander Schröder. Hindenburg
spielt insofern eine kleine Rolle, als der Bremer Feldrabbiner Leopold
Rosenak nach dem Krieg seinen alten Kampfgefährten Hindenburg um
Unterstützung im Kampf gegen den sich ausbreitenden Antisemitismus bat –
Hindenburgs schnöde Ablehnung ist in der Bürgerschaft nachzulesen. Und
Schröders Namen kann man im Kleingedruckten auf einem Notenblatt
entziffern, das die Männerchor-Vertonung von Schröders Gedicht „An die
deutschen Krieger“ zeigt. Mit ihm beschwört Schröder eindringlich „Attilas
Barbarenheer“: „Auf Ostens grauer Halde“ nahend, brenne es „gern“
Gotteshäuser nieder.
Der Umfang von Schröders Aktivitäten als Kriegsdichter, der etwa Paul
Gerhardts berühmtes Friedenslied von 1648 ins Gegenteil verkehrte („Nun in
Gewittergrollen sich Gott den Völkern offenbart“) und 1914 mit „Deutschland
heilig Vaterland“ und dem „Deutschen Schwur“ spätere HJ- und SA-Hymnen
schrieb, wird in der Ausstellung ebenso wenig beleuchtet wie Schröders
Arbeit als Zensor im besetzten Belgien, wo die 75er wüteten.
Interessanterweise wird ja die Rolle Schröders im „Dritten Reich“ immer
wieder durch den Hinweis relativiert, dass viele seiner Texte nicht
originär für die Nazis, sondern für den Kaiser und dessen Krieg verfasst
wurden – als ob das harmlose Kontexte seien.
Die Intensität, mit der sich die Bürgerschaft mit der Regionalgeschichte
des WK I befasst, ist auch in der Bremer Evangelischen Kirche (BEK) zu
finden – aus gutem Grund. Denn die Absegnung des kriegerischen Handelns
durch Pastoren und Kirchenleitung fand in Bremen fast unisono statt. Unter
dem Titel „Mit Gott allzeit bereit“ thematisiert das die Stephanikirche in
einer Sonderausstellung, die anschließend durch die Gemeinden wandert.
Vergleichbares haben nur die Landeskirchen von Baden, Westfalen und der
Pfalz versucht – also die wenigsten. Die Schützengräben hingegen wurden
überall in Böden und Köpfe gegraben.
31 Jul 2014
## AUTOREN
Henning Bleyl
## TAGS
1914
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Antisemitismus
Zeitgeschichte
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Afrika
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