# taz.de -- Dichtung und Wahrheit: Das Problem mit dem Patron | |
> Die Dichtungen von Rudolf Alexander Schröder sind im Evangelischen | |
> Gesangbuch ebenso vertreten wie in den Liedersammlungen von SS und SA. | |
> Sein Beispiel demonstriert die Dehnbarkeit des Begriffs "Innere | |
> Emigration". | |
Bild: Handschlag: Bürgermeister Böhmcker (r.) gratuliert Schröder zum 60. Ge… | |
Der 26. Januar ist einer der wenigen Tage, an denen Bremen Jahr für Jahr | |
bundesweite Aufmerksamkeit erfährt: Es ist der Geburtstag des Dichters | |
Rudolf Alexander Schröder. Und deswegen der fixe Termin für die Verleihung | |
des Bremer Literaturpreises. Die samt Förderpreis mit 26.000 Euro dotierte | |
Auszeichnung, von Rudolf Walther Leonhardt in der Zeit als "renommierteste" | |
deutsche Literaturtrophäe nach dem Büchner-Preis bezeichnet, geht dieses | |
Jahr an Clemens Setz und Roman Graf. | |
Auslober ist die Rudolf Alexander Schröder Stiftung. Sie hat die Aufgabe | |
1962 vom Bremer Senat übernommen, nachdem sich dieser durch die Aberkennung | |
des eigentlich Günter Grass zugesprochenen Preises gründlich blamiert | |
hatte. Mit ihrem Namenspatron hat die Stiftung allerdings selbst eine | |
Altlast zu tragen - die in Gegensatz zur längst beliebt gewordenen | |
Grass-Anekdote kaum problematisiert wird: Schröders Rolle und Rezeption im | |
"Dritten Reich". | |
Schröder, der aus einer alteingesessenen Bremer Patrizierfamilie stammt, | |
ist unbestreitbar ein herausragender und vielseitiger Künstler. Als | |
Dichter, Antiken-Übersetzer, Innenarchitekt, Maler und Mitbegründer des | |
legendären Insel Verlags hat er bleibende Spuren hinterlassen, zudem gilt | |
er als bedeutender Erneuerer des evangelischen Kirchenliedes. Etliche | |
Schröder-Dichtungen wie "Abend ward, bald kommt die Nacht" gehören nach wie | |
vor zum Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs. Doch auch in anderen | |
Liedersammlungen sind Schröders Texte prominent vertreten: Sein "Deutscher | |
Schwur" beispielsweise avancierte zu einer zentralen Hymne von HJ und SA. | |
Dieser Aspekt der Schröderschen Wirkungsgeschichte wird nur sehr | |
eingeschränkt zur Kenntnis genommen. Das NS-Regime habe Schröder 1935 | |
"jedes Auftreten in der Öffentlichkeit untersagt", heißt es in einer - | |
immerhin vom Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland | |
veröffentlichten - Biografie. Deswegen habe er Bremen verlassen und sich | |
nach Bergen am Chiemsee zurückgezogen. Auch die Schröder-Stiftung, hinter | |
der die Bremer Stadtbibliothek steht, betont in ihrem Internet-Auftritt | |
Schröders "Innere Emigration" und seine Zugehörigkeit zur Bekennenden | |
Kirche. Beides trifft zu, zeigt aber auch die Dehnbarkeit des Begriffs | |
"Innere Emigration". Unerwähnt bleibt beispielsweise, dass Schröder als | |
Autor des "Inneren Reichs", einer bürgerlichen, aber strikt der "Führung | |
des deutschen Volkes durch Adolf Hitler" verpflichteten Zeitschrift, weiter | |
publizierte - und 1938 mit einem großen Festakt im Bremer Rathaus bedacht | |
wurde. | |
Es war ebenfalls ein 26. Januar: Schröders 60. Geburtstag, zu dem sich die | |
Hautevolee der Hansestadt im Bremer Rathaus eingefunden hatte. Schließlich | |
wurde Schröder eine herausragende Würdigung zu Teil: Ebenso, wie zu Ehren | |
seines 75. Geburtstags 1953 der Bremer Literaturpreis ins Leben gerufen | |
wurde, stiftete man dem Jubilar 15 Jahre zuvor die "Medaille für Kunst und | |
Wissenschaft". Sie wird seither als Bremens höchste Kulturauszeichnung | |
verliehen. | |
Erster Gratulant Schröders war der SA-Gruppenführer und Regierende | |
Bürgermeister Heinrich Böhmcker, wegen seiner Brutalität in den | |
Saalschlachten der 30er Jahre als "Latten-Böhmcker" bekannt. Nun ist klar, | |
dass angesichts der Extrem-Bedingungen der NS-Diktatur nicht jeder | |
Prominente für jeden angenommenen Preis und jede herzlich geschüttelte | |
Gratulantenhand vorbehaltlos verantwortlich gemacht werden kann. Auffällig | |
ist jedoch, dass diese Integration Schröders in das öffentliche Leben und | |
die NS-Propaganda heute gern ignoriert wird. | |
Auf der Homepage der Schröder-Stiftung wird zwar ungeschönt über den | |
national-konservativen Patriotismus des Dichters im Ersten Weltkrieg | |
berichtet - er verfasste Werke wie "Deutsche Oden" oder "Heilig Vaterland" | |
und tat als Zensor für das Deutsche Generalkommando Dienst. Außen vor | |
bleibt allerdings die Präsenz seiner Texte in den Lesebüchern und | |
Liedersammlungen der NS-Zeit, auch die entsprechenden Ehrungen. | |
Wer sich heute auf Spurensuche in Sachen Schröder macht, stößt auf | |
zahlreiche Auslassungen und Widersprüche. Noch immer fehlt eine kritische | |
Biographie, die auch die weniger rühmlichen Aspekte seines Wirkens - und | |
seiner Rezeption - systematisch aufarbeitet. In gängigen Literaturlexika | |
wird Schröders Haltung zum Ersten Weltkrieg als "liberal-national getönter | |
Humanismus" (Herbert Rösch) bezeichnet, dabei stellen gerade Schröders | |
Verse wie der 1914, mit 36 Jahren, gedichtete "Deutsche Schwur" ein | |
Paradebeispiel für die unmittelbare Anschlussfähigkeit des bürgerlichen | |
Patriotismus an die NS-Ideologie dar. | |
Ähnlich verhält es sich mit "Das Banner fliegt, die Trommel ruft": Hier | |
musste ein zwar wichtiges, aber eben auch nur einziges Wort geändert | |
werden, um eine der verbreitetsten NS-Hymnen zu kreieren. Nachdem der | |
ebenfalls "rufende" "Kaiser" durch "Führer" aktualisiert worden war, fand | |
die Hymne in nahezu alle einschlägigen Sammlungen vom "SS-Liederbuch" über | |
"Junge Gefolgschaft" bis zu "Die Wehrmacht singt - Soldatenlieder mit | |
Klavierbegleitung" Eingang. Oft wurde sie sogar selbst zum Sammlungs-Titel. | |
Dieser größte Erfolg Schröders im "Dritten Reich", das muss betont werden, | |
war unfreiwilliger Natur: Den "Führer" fügte nicht Schröder, der später | |
deutlich unter den "immer finsterer werdenden Zeiten" litt, sondern der | |
Komponist Heinrich Spitta in den Kehrvers ein. Aber inwiefern sind die | |
grobschlächtigen Propaganda-Reime der einzelnen Strophen (siehe Kasten) mit | |
der "Einheit von klassischer Dichtung und christlichem Ethos" kompatibel, | |
für die Schröder etwa im "Kindler" so belobigt wird? Schröders Werk gilt | |
gemeinhin als die Synthese von humanistischer Tradition und | |
protestantischer Gläubigkeit schlechthin - und fand in einigen Facetten | |
nichtsdestoweniger seinen festen Platz in den täglichen Morgenfeiern der | |
HJ. Transparenz über dieses Sowohl-als-auch herzustellen gäbe mehr | |
Aufschluss über die Vitalität und Funktionsfähigkeit des "Dritten Reiches", | |
als es durch einseitige Entlastungen oder "Brandmarkungen" möglich wäre. | |
Immerhin ist klar, dass "RAS", wie Schröder in seiner Stiftung kurz und | |
bündig genannt wird, kein Rassist war. Die "Arier"-Ideologie | |
charakterisierte er als "Wonne aller Hohlköpfe". Er versuchte, vergeblich, | |
einer jüdischen Freundin zu helfen und formulierte in seiner berühmten | |
Pfingstpredigt von 1945 in bemerkenswerter Deutlichkeit: "Was ist von | |
unserer, der Christen Seite geschehen, um dem Blutwahn der mit den höchsten | |
Ämtern und Titeln des Reiches Bekleideten zu entgehen? Gegenüber unserer | |
eigenen, längst weltkundigen Schande haben wir die Augen zugekniffen." | |
In Bezug auf Schröders Verknüpfungen mit dem "Dritten Reich" blieben die | |
Augen auch weiterhin zumeist geschlossen - die Öffentlichkeit ging mit dem | |
Dichter weit weniger kritisch um als dieser mit sich selbst. Schröder galt | |
nach 1945 als "großer alter Mann der Literatur", man benötigte ihn als | |
moralische Instanz, die die NS-Zeit völlig unbeschadet überstanden habe. | |
Bundespräsident Theodor Heuss wollte Schröder mit "Land des Glaubens, | |
deutsches Land" zum Dichter der neuen Nationalhymne machen, T.S. Eliot und | |
Albert Schweitzer schlugen ihn 1955 / 56 für den Literaturnobelpreis vor. | |
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wählte Schröder zum | |
Ehrenvorsitzenden. Daneben blieb er bis zu seinem 80. Geburtstag | |
Vorsitzender der Bremer Literaturpreis-Jury. | |
Die in Schröders Ägide vorgenommenen Preisvergaben zeichnen sich dadurch | |
aus, dass Autoren des Exils - in auffälligem Gegensatz zu denen der | |
"Inneren Emigration" - chancenlos blieben. Auch die Auszeichnung Paul | |
Celans versuchte Schröder zu verhindern. Dass sie dann zeitgleich mit der | |
Feier seines 80. Geburtstags erfolgte, empfand der Preis-Patron als | |
persönlichen Affront. | |
Es scheint, dass Schröder dem nach ihm benannten Preis schon zu Lebzeiten | |
nicht nur Nutzen gebracht hat. Und während sich die Literaturwissenschaft | |
in den vergangenen Jahrzehnten recht wenig mit dem Dichter beschäftigte, | |
sind seine Verse in der rechtsradikalen Szene bemerkenswert präsent - wie | |
man anhand diverser Nazi-Internetforen nachvollziehen kann. | |
Taugt Schröder noch als Patron des Bremer Literaturpreises? Angesichts der | |
hier skizzierten politischen Ambivalenzen Schröders könne man die Frage | |
durchaus stellen, sagt Barbara Lison, Bibliotheksdirektorin und | |
Geschäftsführerin der Schröder-Stiftung. Über einen etwaigen | |
Forschungsauftrag zur näheren Klärung müssten allerdings zunächst die | |
Stiftungsgremien und letztlich der Senat entscheiden. Die Stiftung selbst | |
verfüge über keinerlei Kapazitäten. | |
Immerhin wurde für die zur Zeit in Bremen stattfindende "Literarische | |
Woche", als deren Höhepunkt der Literaturpreis verliehen wird, bereits ein | |
unfreiwillig prophetischer Titel gewählt: "Der Mann in der Krise". | |
Schröders "Deutscher Schwur" avancierte zur Hymne von HJ und SA. Trotzdem | |
sollte er nach dem Krieg die neue Nationalhymne dichten Immerhin ist klar, | |
dass "RAS" kein Rassist war. Die Arier-Ideologie galt ihm als "Wonne aller | |
Hohlköpfe" | |
21 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
## TAGS | |
1914 | |
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