# taz.de -- Doppelte Spurensuche: Der Weg des Flügels | |
> Die jüdische Pianistin Henny Bromberger, in Minsk ermordet, war ein | |
> Mittelpunkt des Bremer Kulturlebens. So wie nach dem Krieg Rudolf Blaum, | |
> der vehement für die Rückführung von Beutekunst kämpfte. Beide hatten | |
> einen Bechstein - möglicherweise dasselbe Instrument. | |
Bild: Um den Anfang dieser Geschichte zu finden, muss man dicht über dem Boden… | |
BREMEN taz | Diese Geschichte endet in Vornehmheit. Zumindest vorläufig. In | |
einer ruhigen Straße in Bremens bester Lage, unter hohen Bäumen und hinter | |
Sprossenfenstern. Es ist die Geschichte eines Flügels, der in Schwachhausen | |
steht. Er wurde 1942 ersteigert. Auf einer „Judenauktion“. | |
Der Enkel des Ersteigerers kennt diese Geschichte erst seit wenigen Tagen. | |
„Sie rufen wegen Opas Flügel an?“, fragt Stefan Blaum am Telefon. Der | |
stünde in der Tat immer noch im Wohnzimmer seiner verwitweten Mutter. Ja, | |
ein Bechstein. Aber nicht mehr schwarz. „Mein Vater hat ihn umlackieren | |
lassen.“ | |
Blaums Vater, Rudolf, war der große alte Mann des Bremer Musiklebens. Und | |
des Kunstlebens. 32 Jahre Vorsitzender der Philharmonischen Gesellschaft, | |
55 Jahre im Vorstand des Kunstvereins. Als dessen Vorsitzer setzte er sich | |
vehement – und völlig zu Recht – für die Rückführung von Beutekunst ein… | |
die kriegsbedingten Verluste der Kunsthalle kümmerte er sich auch in der | |
Beutekunst-Kommission des Bundes: „Die Russen sollen sehen, dass wir | |
wissen, wo unsere Sachen sind, und dass man mit gestohlenen Kunstwerken | |
keine Geschäfte macht.“ Schließlich gelte: „Deutsches Eigentumsrecht ist | |
durch den Krieg nicht beeinträchtigt.“ Alles andere sei „abenteuerlich und | |
ungerecht“. 2005 starb Rudolf Blaum. | |
Es gibt in Bremen noch eine zweite Flügel-Geschichte. Und möglicherweise | |
ist es die Geschichte desselben Instruments. Sie beginnt damit, dass der | |
jüdische Musiker David Bromberger 1876 nach Bremen zieht, „wo das Klavier | |
nur selten vertreten war“, wie Senator Friedrich Nebelthau rückblickend | |
schrieb. Bromberger, mit Brahms befreundet, habe in Bremen entscheidende | |
Pionierarbeit auf dem Gebiet der Kammermusik geleistet, betonte der Senator | |
gegenüber der städtischen Musikkommission. Die ernannte Bromberger | |
daraufhin zum Professor. Das war 1902. 39 Jahre später wurden Brombergers | |
Töchter nach Minsk deportiert, sein Flügel beschlagnahmt. | |
Beide Geschichten spielen in den höchsten gesellschaftlichen Sphären der | |
Stadt. Deren Hautevolee veranstaltete für Bromberger und seine Tochter | |
Henny ständig großformatige Hauskonzerte. Werke der Tochter Dora, der | |
Malerin, wurden von der Kunsthalle angekauft. Die „besten“ Familien | |
schickten ihre Töchter als Schülerinnen zu den Brombergers. Einige dieser | |
Namen stehen auf den Listen der „Judenauktionen“ – als Bieter. | |
Blaums Enkel, Inhaber einer Treuhand- und Wirtschaftsprüfgesellschaft, hat | |
einen herrlichen Blick auf die Wall-Anlagen. Im selben Gebäude arbeitete | |
schon sein Vater, Chef einer 1885 gegründeten Anwalts-Sozietät. Durch ein | |
beeindruckendes Treppenhaus geht es ins erste Obergeschoss. Was wird Blaum | |
zu der Liste sagen? Er sagt: „Ich bin nicht überrascht.“ Denn: „Dass mei… | |
Familie nicht gerade zum Widerstand gehörte, ist mir klar.“ | |
In der Tat: Großvater Blaum war technischer Direktor der Atlas-Werke, die | |
kriegswichtige Motoren produzierten. 1933 gehörte er zu den ersten, die dem | |
NS-Senat gratulierten. Den Flügel ließ er sich durch einen Angestellten für | |
2.000 Reichsmark ersteigern, bezahlt in bar. „Der konnte es sich leicht | |
leisten, so ein Instrument ganz normal im Geschäft zu kaufen“, sagt sein | |
Enkel kopfschüttelnd. Dort hätte er etwa das Doppelte gekostet. | |
Von Blaums Fenster aus sieht man die Stelle, wo das Bromberger-Haus stand: | |
Contrescarpe 93. Hier starb 1930 David Bromberger, von den Bremer | |
Nachrichten wegen seiner „vornehmen Gesinnung“ und Verdienste „um die | |
musikalische Entwicklung der Stadt“ betrauert. Und hier traf im Oktober | |
1941 ein amtliches Schreiben an seine unverheiratet im Elternhaus lebenden | |
Töchter ein: die Ankündigung der „Evakuierung“ in den Osten. | |
Die mittlerweile völlig zurückgezogen lebenden Schwestern – Dora durfte | |
schon lange nicht mehr ausstellen, Henny hatte ihre letzten Schülerinnen, | |
die sich noch durch den Hintereingang hinein getraut hatten, längst | |
verloren – mussten kurz darauf eine Erklärung unterschreiben: „Ich, der | |
unterzeichnende Jude, bestätige hiermit, ein Feind der Deutschen Regierung | |
zu sein und als solcher kein Anrecht auf das von mir zurückgelassene | |
Eigentum, auf Möbel, Wertgegenstände, Konten und Bargeld zu haben.“ | |
Sie bekamen ein Merkblatt: „Meine Wohnung habe ich so herzurichten, dass | |
sie bei meinem Verlassen polizeilich versiegelt werden kann (…). Die Gas- | |
und Lichtrechnungen sind vorher zu begleichen.“ Das 16-seitige Formular, in | |
dem die Deportierten über allen erdenklichen Besitz vom Bankdepot bis zum | |
Weckglas Auskunft geben mussten, ist von den Brombergers nicht überliefert. | |
Doch in den Akten des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin steht, was mit | |
dem Flügel geschah. | |
Wenige Tage vor ihrem Abtransport versuchte die 60-jährige Henny Bromberger | |
verzweifelt, ihr Instrument, das sie vom Vater geerbt hatte, zu | |
verschenken. Das geht aus einer Selbstanzeige des Pfarrers der | |
Liebfrauen-Gemeinde hervor. Die hatte es nicht gewagt, sich das Haus der | |
Brombergers schenken zu lassen – den Flügel aber nahm Pastor Wilken auf | |
Hennys Drängen hin an. Er kam ins Pfarrhaus – doch von dort ließ ihn eine | |
halbe Stunde später die Gestapo versiegelt abtransportieren. „Zu | |
Evakuierende“ durften nichts mehr verfügen. | |
In Bremen sind die Wege kurz. Als Henny Bromberger im Juli 1942 in Minsk | |
ermordet wurde, stand der Flügel, der vielleicht ihrer war, bereits in | |
Direktor Blaums Wohnzimmer, nur etliche Straßenzüge von der Contrescarpe | |
entfernt. 1956, als der Direktor starb, zog der Flügel zum bislang letzten | |
Mal um. Die Parkallee hinauf, eine Seitenstraße hinein, dann über einen | |
Kiesweg. Die Haus der Witwe von Rudolf Blaum liegt weit zurückversetzt. | |
Doch noch in der Entfernung sieht es sehr stattlich aus. Hie wäre wohl | |
sogar Platz für zwei Flügel – doch Blaum wollte 1956 den Bechstein und | |
veräußerte sein bisheriges Instrument. | |
Wusste er, dass er seine Leidenschaft nun auf einem „Beutekunst“-Instrument | |
auslebte? „Nicht zwingend“, sagt Sohn Stefan. Rudolf Blaum war bei der | |
Militärischen Abwehr in Portugal, als sein Vater den Flügel ersteigerte. | |
Allerdings: „Mein Vater war sehr gut darin, die Vergangenheit schön zu | |
reden.“ | |
Dabei half ihm sein enger Freund Karl Carstens. Blaum sei „trotz starken | |
politischen Drucks nicht Mitglied der NSDAP geworden“, behauptete der | |
Alt-Bundespräsident 1989, als Laudator einer der zahlreichen | |
Auszeichnungen, die Blaum erhielt. Beide wussten es besser. | |
Die Geschichte der beiden Flügel lässt sich in ihren Ansätzen nur erzählen, | |
weil es unermüdliche Leute wie Rolf Rübsam und Jörg Wollenberg gibt. | |
Wollenberg stieß Anfang der 80er im Nachlass eines Betriebsrats auf die | |
Erwerbungsliste der Atlas-Direktoren. Sie ist ein seltenes Dokument: Im | |
Staatsarchiv sind lediglich Unterlagen von zwei der neun Gerichtsvollzieher | |
zu finden, die in Bremen „Judenauktionen“ durchführten. Rübsam wiederum | |
sammelte vor 25 Jahren zahlreiche Berichte von mittlerweile längst | |
verstorbenen Zeitzeugen über die Brombergers. Hatten Rübsam und Wollenberg | |
zwei Enden derselben Geschichte gefunden? | |
Die Wahrscheinlichkeit, dass beide Bechsteins identisch sind, ist groß. Von | |
den 1.400 Juden, die 1933 in Bremen lebten, hatten nur wenige einen Flügel | |
im Wohnzimmer. Aber wurde in Bremen nicht auch konfisziertes | |
Auswanderer-Gut verscherbelt? Nicht im Frühling 1942. Und der erste | |
Transport der „M-Aktion“, die die Möbel französischer Juden ins Reich | |
schaffte, erreichte Bremen erst im Dezember. | |
Das sind Eingrenzungen von Möglichkeiten. Doch der letzte Link, das letzte | |
Bindeglied zwischen den Geschichten des Bromberger- und/oder Blaumflügels | |
verbrannte am frühen Morgen des 21. Oktober 1941. | |
Damals ging das Klaviergeschäft von Hermann Rabus am Fedelhören/Ecke Dobben | |
in Flammen auf. Britische Bomber hatten an diesem Tag 140 Tonnen | |
Sprengmaterial über Bremen abgeworfen. 20 Jahre zuvor, am 30. September | |
1921, war der heute bei den Blaums stehende Flügel am Feldehören | |
eingetroffen - das lässt sich auf den akkurat geführten Lieferlisten | |
nachvollziehen, die im Berliner Bechstein-Archiv erhalten sind. Die im | |
Instrumenten-Korpus eingelassene Seriennummer lässt an der Identität des | |
Instruments keinen Zweifel. | |
Aber wurde er von Rabus tatsächlich an die Brombergers verkauft, oder stand | |
Blaums "arisiertes" Instrument bei einer anderen jüdischen Familie? Über | |
einige Umwege lässt sich ein Enkel von Hermann Rabus in Süddeutschland | |
finden: Volker Rabus, ein Cembalobauer. Der aber sagt: "Sämtliche | |
Geschäftsunterlagen sind 1941 verbrannt." Hier muss die Recherche enden. | |
Wenn der Schwachhauser Flügel den Leuwers oder Bambergers gehört hat, wäre | |
die Situation allerdings nicht „besser“. Wie also geht die Enkel-Generation | |
mit dem Erbe um? Noch gehört das Instrument der 91-jährigen Mutter. „Wir | |
haben im Geschwisterkreis besprochen", sagt Stefan Blaum ein paar Wochen | |
später, "dass wir den Flügel der jüdischen Gemeinde übergeben werden. Wenn | |
wir an der Reihe sind." | |
16 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
## TAGS | |
Musik | |
Provenienz | |
NS-Raubkunst | |
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