# taz.de -- Medienkunstfestival Ars Electronica: Auf schwankendem digitalen Gru… | |
> Die Ars Electronica in Linz war einst technikbegeistert. Jetzt zeigte sie | |
> sich technikkritisch. Es geht um Wahrheit und künstliche Intelligenz. | |
Bild: Installation von Toyota Coniq Alpha, Akiko Nakayama, Quadrature und Akira… | |
„Wem gehört die Wahrheit?“, fragte mit sanftem Sinn für Provokation die | |
gerade zu Ende gegangene Ausgabe des Medienkunstfestivals Ars Electronica | |
in Linz. Sanft ist die Provokation vor allem deshalb, weil die Postmoderne | |
den Begriff „Wahrheit“ längst entsorgt hat, mit dem Hinweis darauf, dass | |
Erkenntnis stets an die Perspektive der Betrachter gebunden sei. Demzufolge | |
ist so etwas wie „Wahrheit“ bestenfalls relativ. | |
In den letzten Jahren hatten allerdings zu viele „alternative Wahrheiten“ | |
Konjunktur, sodass der Ruf nach allgemein verbindlichen Standards lauter | |
wurde. [1][Heute, da generative künstliche Intelligenzen massenhaft Texte, | |
Bilder und Videos erzeugen können], die echt scheinen, aber eben nicht echt | |
sind, erlebte der Wahrheitsbegriff schließlich eine Renaissance. | |
Das Problem der „deep fakes“ wurde daher zu einer Programmlinie des | |
traditionell zwischen Technologie, Kunst und Philosophie mäandernden | |
Festivals. So wurde noch einmal das „Obama Deep Fake“ ausgestellt, jenes | |
vom US-Regisseur Jordan Peele mithilfe von AI-Tools erstellte Video einer | |
Obama-Rede, die der US-Präsident nicht hielt. Peele ließ vielmehr die von | |
ihm eingesprochene Rede auf die Gesichtszüge des früheren US-Präsidenten | |
applizieren, mittels KI. | |
Auch das Putin-Pendant, mithilfe der Software face2face erstellte | |
Grimassen, die Forscher des Visual Computing Lab der TU München auf das | |
Gesicht von Wladimir Putin aufbrachten, ist im Ausstellungsparcours | |
„Understanding Artificial Intelligence“ im Ars Electronica Center | |
enthalten. Sich vor „deep fakes“ zu schützen, ist gar nicht so einfach. | |
Fehler, an denen man sie erkennen kann, wie seltsame Pixelkonstellationen | |
oder Hände mit sechs Fingern, wie sie manche frühe KIs errechneten, werden | |
immer seltener. | |
Wie Algorithmen operieren | |
Die Gefahr, einer Fehlinformation aufzusitzen, erhöhe sich, je plausibler | |
das in Text und Bild Gesagte erscheint, betonte der für die Eröffnungsrede | |
eingeladene Wikipedia-Gründer Jimmy Wales. [2][Programme wie ChatGPT] seien | |
nicht in der Lage, vernünftige Wikipedia-Artikel zu erstellen. Denn die | |
Algorithmen operierten nicht auf der Basis von Fakten, sondern | |
durchforsteten das Datenmaterial vor allem mit dem Ziel, einen dem Auftrag | |
am wahrscheinlichsten entsprechenden Text zu erstellen. | |
Das führe systematisch zu frei erfundenen, aber überzeugend wirkenden | |
Quellen und echt scheinenden, aber nicht mit Informationen unterlegten | |
Internet-Links. „Am gefährlichsten sind nicht die deep fakes, die völlig | |
verrückt klingen, sondern die, die uns plausibel vorkommen, aber dennoch | |
Falschinformationen enthalten“, warnte Wales. | |
Die Ars Electronica ließ aber nicht nur die Alarmsirenen schrillen. Die | |
Ausstellungen im Ars Electronica Center und dem sehr imposanten | |
Gebäudekomplex der Post City mit den riesigen Paketrutschen gaben sich auch | |
ganz den neuen Möglichkeiten hin. So wurde KI vorgestellt, die [3][im Stile | |
Beethovens komponieren oder eigene Lieder singen k]ann. Warner Music hat | |
sogar schon eine App – die in Berlin entwickelte Kompositionssoftware Endel | |
– mit einem Plattenvertrag ausgestattet, erfuhr man. | |
## Wem gehört die Wahrheit? | |
In der Programmlinie Data Art & Science werden Daten zu visueller Kunst | |
verarbeitet. „Mother Fluctuation“ des japanischen Künstlers Akira Wakita | |
etwa verknüpft Klimawandel-relevante Statistiken zu Temperatur und | |
Meeresspiegel mit dem IPCC-Bericht zum Abschmelzen der Gletscher und | |
erzeugt dabei gigantische digitale Wellen, die auf den Betrachter zurasen. | |
Wem eigentlich die Daten gehören, aus denen Wahrheit(en) generiert werden, | |
erläuterte Stefano Rossetti, Datenschutzanwalt beim Europäischen Zentrum | |
für digitale Rechte, bei einem Vortrag: Im Juni wurden Datenleaks bei Xandr | |
bekannt. Die Analysefirma und Microsoft-Tochter erstellt Nutzerprofile, bei | |
denen Personen unter anderem nach ihrer Einstellung zu Abtreibung oder zu | |
Donald Trump, ihrem Surf- und Einkaufsverhalten („digitale Süchtige“ bzw. | |
„Mütter, die wie verrückt shoppen“) charakterisiert werden. All das wird | |
selbstverständlich auch verkauft. | |
Mag man über die personalisierte Werbung noch lächeln, so stellt sich | |
dennoch die Frage nach dem Eigentum der Daten in ganz neuer Schärfe, wenn | |
etwa Arbeitgeber Bewerber*innen damit durchleuchten oder | |
Aufenthaltsgenehmigungen, Mietverträge und Sozialleistungen auf der Basis | |
solcher Daten gegeben, wenn nicht, verweigert werden. | |
Befriedigende Antworten bot die Ars Electronica nicht. Das ist auch nicht | |
die Aufgabe von solchen Kunstprojekten. Wichtige Fragen allerdings wurden | |
in den Raum geworfen. „Wem gehört die Wahrheit“ ist eines der aktuell wohl | |
wichtigsten globalen Problemfelder. | |
11 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Faschismus-durch-kuenstliche-Intelligenz/!5938774 | |
[2] /Forscherin-ueber-Kuenstliche-Intelligenz/!5937210 | |
[3] /Kuenstliche-Intelligenz-in-der-Musik/!5941510 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
Kunst | |
Medienkunst | |
künstliche Intelligenz | |
künstliche Intelligenz | |
Ausstellung | |
Zukunftsvision | |
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
Kolumne Böse Musik | |
Faschismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
„human error“-Ausstellung in Bremen: Der Frankenstein-Trick | |
Louisa Clement stellt ihre mit KI gefütterten Roboterselbstbildnisse in | |
Bremen Paula Modersohn-Becker gegenüber. Ist das feministische Kritik? | |
50 Jahre Kunstraum Kreuzberg/Bethanien: Die ganze Stadt im Blick | |
Die Ausstellung „Voicing Bethanien“ erforscht die Geschichte des Kunstraums | |
Kreuzberg/Bethanien. Sie erzählt auch vom Berlin der letzten 50 Jahre. | |
Was bringt Technologischer Fortschritt?: Gemeinnützige Forschung statt Profit | |
Wissenschaft war lange auf Fortschritt aus. Das muss sich ändern, sagt | |
Forscherin Schaper Rinkel – vor allem wegen Klimakrise und Digitalisierung. | |
Künstliche Intelligenz in der Kunst: Auf der Suche nach dem Deep Fake | |
Eine Ausstellung will KI in der Kunst zeigen. Was es bedeutet, wenn | |
Technologie täuschende Bilder produziert, erklärt sie aber kaum. | |
Künstliche Intelligenz in der Musik: Vielleicht komponiert die KI besser | |
Schon lange verbindet sich in der Musik menschliches Schaffen mit | |
maschineller Hilfestellung. Warum sollen dann nicht auch KI-Werke | |
preiswürdig sein? | |
Faschismus durch künstliche Intelligenz: Gesellschaft als Maschine | |
KI wird zu weniger Arbeitsplätzen führen. Daran müssen wir uns gewöhnen. | |
Aber eine von Maschinen beherrschte Welt wäre entmenschlicht und | |
gefährlich. |