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# taz.de -- 50 Jahre Kunstraum Kreuzberg/Bethanien: Die ganze Stadt im Blick
> Die Ausstellung „Voicing Bethanien“ erforscht die Geschichte des
> Kunstraums Kreuzberg/Bethanien. Sie erzählt auch vom Berlin der letzten
> 50 Jahre.
Bild: Ringo erzählt von Polizeiwillkür. Aus Sonya Schönberger „Berliner Zi…
Im November 1973 eröffnete in den Räumen des ehemaligen
Diakonissenkrankenhauses Kreuzbergs die erste Ausstellung mit Bildern des
Frankfurter Malers und Bühnenbildners Paul Struck. Es durften aber auch
lokale Künstler*innen, darunter [1][der damals schon legendäre Kurt
Mühlenhaupt], ihre Arbeiten zum Verkauf anbieten. Kunst und Kiez wurden
also schon in den Gründungszeiten dieser heute als Kunstraum
Kreuzberg/Bethanien bekannten Institution zusammengedacht. „Voicing
Bethanien“ heißt die Jubiläumsschau, mit der diese jetzt, zu ihrem 50.
Geburtstag zurückblickt.
In einem kompakten Katalog – vom Format her fast wie ein Ziegelstein, mit
dem man neue Häuser bauen könnte – wird die Geschichte des Kunstraums
chronologisch erzählt. Bilder von Ausstellungen, Aktionen und Events sind
abgedruckt. Faszinierend die Menschenmenge, die beim Mariannenplatzfest
1976 den großen Platz vor dem Haus füllt, um einem türkischen Arbeiterchor
zuzuhören. [2][Die im Jahr zuvor eröffnete Ausstellung „Mehmet kam aus
Anatolien“ holte türkische Migrant*innen erstmals aus der Klischee-Ecke
des sogenannten Gastarbeiters] und ließ sie als Künstler in Erscheinung
treten. Die Ausstellung animierte übrigens die damalige CDU-Fraktion im
Abgeordnetenhaus zu einem Abwahlversuch des damaligen Kunstamtsleiters. In
der Ausstellung entdeckten die Politiker marxistische Inhalte. Schlimm,
schlimm.
Noch anschaulicher als im Katalog werden die letzten 50 Jahre des
Bethaniens durch die Videointerviews, die die Künstlerin Sonya Schönberger
für die Ausstellung „Voicing Bethanien“ angefertigt hat. Künstler*innen,
die im Bethanien einst ausgestellt haben oder auch aktuell dort präsent
sind, wurden gefragt. Ebenso Kurator*innen, Politiker*innen und
Aktivist*innen für Stadtumbau.
Man erfährt aus den wilden 1970ern, [3][wie Besetzungen organisiert
wurden], und bekommt auch mit, wie und warum sie scheiterten. Werner
Brunner etwa erinnert an die Initiative des Kinderkrankenhauses, einem
Konkurrenzprojekt zum jetzigen Kunstraum. Es schlug nicht nur fehl, weil
die Polizei die Besetzung verhinderte, sondern auch, weil die Unterstützer
des Kunstraums in Politik und Medien damals offenbar besser vernetzt waren
als die Befürworter eines kostenlosen Kinderkrankenhauses für alle.
Schrill ist die Geschichte von Ringo, der erzählt, wie er als APO-Aktivist
deshalb wieder in den Knast kam, weil in dem Polizeirevier, in dem er sich
nach vorzeitiger Entlassung aus früherer Haft pflichtgemäß meldete, die
Melde-Bücher verschwanden. Wegen angeblicher Verletzung der
Bewährungsauflagen kam er erneut hinter Gitter. Polizeiwillkür ist ein
traditionelles Berliner Thema.
Heute noch aktuelle Themen
Durch viele der insgesamt 40 Interviews ziehen sich auch andere, heute noch
aktuelle Berliner Themen. Wie kamen die einzelnen zu ersten Wohnungen und
Ateliers in der Stadt? Wie abenteuerlich war die Suche? Welche Stabilität
gibt ein guter Raum? Auch viele Geschichten über Migration, über das
Dokumente besorgen und legalen Status erreichen, ziehen sich durch 50 Jahre
Kunst und Künstler*innen im Bethanien. Der Gewerkschafter Safter Çınar
etwa erinnert daran, dass er sich bei seinem Einbürgerungsinterview noch
dafür rechtfertigen musste, auf Demos gegen den Besuch des damaligen
US-Präsidenten Ronald Reagan gewesen zu sein. Der Verfassungsschutz hatte
das dokumentiert und brav an die für Einbürgerung zuständige Behörde
weitergereicht.
„Voicing Bethanien“ wird in das Großprojekt „Berliner Zimmer“ von
Schönberger integriert. Darin sammelt sie Stimmen von Berliner*innen
für eine faszinierende Stadtgeschichte von unten. Das „Berliner Zimmer“ hat
sie auf 100 Jahre angelegt. Die Vielfalt der 50 Jahre Bethanien ist da also
nur ein kleiner Ausschnitt. Um alle 40 Interviews von bis zu 40 Minuten
Länge jeweils zu sehen, muss man sich schon eine Teilzeitarbeitswoche von
25 bis 30 Stunden Zeit nehmen. Es lohnt sich, für alle die zumindest, die
eintauchen wollen in ganz viele Facetten dieser Stadt. Wer die Interviews
zu Hause nachlesen will, kann die Transkripte ausgedruckt mitnehmen.
Die Ausstellungsarchitektur selbst (kuratiert von Sylvia Sadzinski und
Vincent Schier) fällt etwas spartanisch aus. Die Monitore sind in
Spanplatten eingelassen. Man fühlt sich wie auf einer Baustelle, wenn die
Trockenbauer fast fertig, die Maler aber noch nicht in Aktion getreten
sind. Allerdings wären Hochglanzoberflächen auch nicht das Richtige fürs
Bethanien, für diesen in viele Richtungen offenen und immer wieder neu zu
bespielenden Raum. Heute ist er ein wichtiger Standort für die freien
Künste aller Sparten mit seinen Ateliers und Büros und über die Musikschule
Kreuzberg ganz besonders dem Kiez verbunden.
18 Sep 2023
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## AUTOREN
Tom Mustroph
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