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# taz.de -- Faschismus durch künstliche Intelligenz: Gesellschaft als Maschine
> KI wird zu weniger Arbeitsplätzen führen. Daran müssen wir uns gewöhnen.
> Aber eine von Maschinen beherrschte Welt wäre entmenschlicht und
> gefährlich.
Bild: Was für ein Menschenbild verbirgt sich hinter dem Glauben an die Allmach…
Die Auswirkungen digitaler Technologien und Netzwerke auf Wirtschaft und
Gesellschaft werden gerne und häufig mit der industriellen Revolution
verglichen, die bekanntlich alle Verhältnisse umgewälzt hat. Das aktuellste
Thema in diesem Zusammenhang ist [1][die Debatte um künstliche
Intelligenz], der bis hin zur Unterwerfung und gar Auslöschung der
Menschheit schier unglaubliche Fähigkeiten zugeschrieben werden.
Tatsächlich sind die Fähigkeiten der Software ChatGPT, die Ende 2022 der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, erstaunlich – zumindest für
Anwender:innen von mittlerer technischer Affinität. Die meisten
bedienen das Programm vermutlich wie eine Art Orakel: Leute fragen gerne
nach sich selbst, Journalist:innen etwa haben wohl unzählige Male damit
experimentiert, sich selbst überflüssig zu machen und die KI irgendwas
schreiben zu lassen. Expert:innen und Entwickler:innen warnen
derweil vor der Entstehung einer unkontrollierbaren Superintelligenz. Der
Ruf nach einem halben Jahr Entwicklungsstopp wurde auch von Irrlichtern wie
Elon Musk unterschrieben, ohne dass annähernd klar wäre, was währenddessen
und danach geschehen soll.
Worum geht es eigentlich? Künstliche Intelligenz ist an sich schon ein
irreführender und von popkulturellen und sonstigen modernen Mythen
vernebelter Begriff, der von Technikutopisten bereits in den 1950er Jahren
in die Welt gesetzt wurde. Maschinelles Lernen trifft es besser. An
sogenannten Chatbots wie GPT ist die Funktionsweise sogenannter lernender
Systeme einfacher zu erklären als an ähnlich funktionierenden Programmen,
die Autos autonom steuern oder den Papst in Gangster-Rap-Klamotten
täuschend echt darstellen können. Es geht um Stochastik. ChatGPT ist eine
Statistik-Software, die berechnen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein
Wort auf das andere folgt und die aufgrund der gigantischen Datenmengen,
die ihr im digitalen Kosmos heute zur Verfügung stehen und weil die
Rechnerkapazitäten nach wie vor exponentiell wachsen, zu erstaunlichen
Ergebnissen kommt.
Die Software liefert in den meisten Fällen Ergebnisse, die nicht nur
inhaltlich richtig, sondern auch okay formuliert sind. Wer nach Fehlern
sucht, die natürlich vorkommen, fällt auf die Erzählung einer eigentlichen
maschinellen Intelligenz herein. [2][Alles, was die Software kann, ist die
statistisch grundierte Simulation menschlichen Denkens oder eben
menschlicher Intelligenz.] Das ist sehr wenig und zugleich sehr viel. Es
genügt jedenfalls, um einfache Korrespondenz zu erledigen, Bewerbungen zu
sortieren, in naher Zukunft vielleicht auch aktuelle Nachrichten zu
verfassen.
## Abbau von Arbeitsplätzen
Es wird zu neuerlichen Rationalisierungen in der Wirtschaft, also zum Abbau
von Arbeitsplätzen führen. Und wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass
Maschinen in neue Bereiche des Lebens vordringen und neue Rollen
übernehmen, dass sie menschenähnlich interagieren, mit uns sprechen und uns
zu verstehen scheinen. Weil die Datenressourcen, auf die diese Systeme
zugreifen, unvorstellbar groß sind und stetig weiter wachsen, wächst auch
das maschinell verwertbare Wissen, die Software wird scheinbar allwissend.
Es liegt auf der Hand, dass durch solche Fähigkeiten Fantasien von einer
überlegenen Superintelligenz befeuert werden. Dennoch: Die Entstehung eines
schon seit Jahrzehnten erträumten und zugleich gefürchteten,
unkontrollierbaren Computerwesens, das gar noch mit der Fähigkeit und dem
Willen zur Unterwerfung oder Auslöschung der Menschheit ausgestattet ist,
[3][taugt als Material für Hollywood], ist aber in näherer und
wahrscheinlich auch fernerer Zukunft nicht zu erwarten.
Es genügt, sie für intelligent zu halten
Die Angst davor und die Diskussion darüber täuschen indes über die
eigentlichen Gefahren hinweg. Denn eine Technologie braucht keine autonome
Intelligenz, um gewaltige Macht auf Menschen auszuüben. Dafür genügt es,
dass sie für intelligent gehalten wird, dass Menschen bereit sind, sie zu
behandeln, als wäre sie eine Art Subjekt. Wenn dann noch ein Welt- und
Menschenbild hinzukommt, das in Menschen ohnehin nicht viel mehr sieht als
konsumierende, nutzenmaximierende und leider fehleranfällige Automaten,
dann steht einer Übernahme der Welt durch Maschinen eigentlich nichts mehr
im Wege.
Bedauerlicherweise ist eine derartige Sicht nicht nur bei Vertretern großer
Tech-Konzerne beliebt, die erklärtermaßen daran arbeiten, den Menschen
überflüssig zu machen. Das Menschenbild des egoistischen Nutzenmaximierers
ist die philosophische Grundlage der nach wie vor dominanten,
neoklassischen Sicht in den Wirtschaftswissenschaften, auch die
traditionelle Linke hält alles jenseits ökonomischer Interessen für
Camouflage im Klassenkampf. So spinnefeind sich Neoliberale und
Traditionslinke sonst sein mögen, sie teilen ein mechanistisches
Verständnis von Individuum und Gesellschaft, Vernunft wird mit Logik
gleichgesetzt, eine Überwindung menschlicher Fehlerhaftigkeit durch
maschinelle Effizienz erscheint so betrachtet als eine bessere Welt.
Derart vulgärmaterialistisches Denken übersieht dann rasch, dass eine von
Maschinen beherrschte Welt auch eine entmenschlichte ist, dass die
Unterordnung unter maschinelle Logik dem Traum des Faschismus von der
Gesellschaft als militärisch organisierter Riesenmaschine gefährlich
nahekommt. „Der Mensch ist der Repräsentant des Möglichen“, wusste noch
Ernst Bloch, der wenig davon hielt, Menschen zuvorderst als Mangelwesen zu
betrachten, und der dem reduktionistischen Materialismus von Tech-Jüngern
und Traditionslinken entgegenhielt, auch Materie enthalte die Möglichkeit
der Utopie. Die menschliche Unzulänglichkeit wäre bei Bloch wohl so etwas
wie die unvermeidliche Kehrseite seiner Möglichkeiten.
Ob es uns gefällt oder nicht: Lernende Software wird künftig am Telefon mit
uns sprechen und uns in Gestalt von Service-Bots ihre Hilfe bei Problemen
anbieten, von deren Existenz wir ohne Computer nicht einmal ahnen würden.
Das ist technischer Fortschritt, sich dagegenzustellen ist so sinnlos, wie
den Lauf der Zeit aufhalten zu wollen. Ein langsames Abrutschen in einen
neuen, maschinellen Totalitarismus ist zwar nicht vorprogrammiert. Es wäre
jedoch hilfreich, wenn wir uns an die Möglichkeit eines Welt- und
Menschenbildes erinnern, das nicht im brutalen Tunnelblick eines
mechanistischen Denkens eingesperrt ist und ein respektvolles Verhältnis
zum Leben auf dem Planeten entwickelt, wie es etwa Denkerinnen wie Eva von
Redecker einfordern.
Nach fast drei Jahrzehnten Internet läge es zudem nahe, Algorithmen nicht
für intelligenter zu halten, als sie sind, und ihre destruktiven Potenziale
antizipierend einzuhegen. Allzu viele Angriffe mit der Wucht etwa sozialer
Medien, mit ihrem Orkan von Lügen und Hass, halten die derzeit noch
halbwegs offenen und demokratischen Gesellschaften vermutlich nicht mehr
aus.
19 Jun 2023
## LINKS
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[3] /KI-in-Filmen-und-Romanen/!5938582
## AUTOREN
Lukas Franke
## TAGS
Faschismus
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