# taz.de -- Roman wiedergelesen: Hokuspokus im Teufelsmoor | |
> Paul Madsacks antiokkultistischer Roman „Der Schwarze Magier“ ist der | |
> Schlüssel zu einer wiedergefundenen Plastik Bernhard Hoetgers. | |
Bild: War 82 Jahre verschollen: TET-Skulptur von Bernhard Hoetger. | |
BREMEN taz | Wo die Wirklichkeit zum Irrsinn wird, hat die Fantastik nicht | |
mehr viel zu melden – und Satire schon gar nicht. Paul Madsacks Roman „Der | |
Schwarze Magier“ von 1924 funktioniert als beides, obwohl er weder mit dem | |
Verdrängten spielt, noch verborgene Missstände auftut und der | |
Lächerlichkeit preisgibt. Tatsächlich – das hat die Wiederentdeckung von | |
Bernhard Hoetgers 82 Jahre lang verschollener TET-Plastik in diesem Sommer | |
schlagartig in Erinnerung gerufen – wirkt der Text am übertriebensten da, | |
wo er die reine Wahrheit erzählt. | |
Zum Beispiel die Geschichte mit der magischen Keksstadt: Der Okkultist und | |
Künstler Avantino schwatzt dem Konditorei-Magnaten Herrn Krümelmann die | |
Idee auf, eine ägyptische Tempelstadt in Hannover zu errichten – mit | |
Arbeiterwohnungen, Kinos, Cafés und gewaltigen, statuenbesetzten Säulen | |
nach pharaonischem Geschmack. Mit Hilfe der Ewigkeits-Hieroglyphe will | |
Krümelmann seine Kekse haltbarer machen und das Menschengeschlecht in eine | |
strahlende Zukunft führen. Und ungefähr so war es ja auch, obwohl | |
Krümelmann in echt natürlich Bahlsen hieß und Avantino eigentlich Bernhard | |
Hoetger. Und der über den ersten Weltkrieg dann doch nicht realisierte | |
hannoveranische Irrsinn: TET-Stadt – über der die ägyptisierende Göttin aus | |
sächsischem Porphyr hätte segensreich wachen sollen. | |
Geschrieben vom Feuilletonchef des Hannoverschen Anzeigers lässt sich „Der | |
Schwarze Magier“ als informierter Kommentar über zeitgenössische | |
Kulturpolitik lesen, als gepfefferter Seitenhieb auf die altägyptischen | |
Marotten eines verschrobenen Bildhauers und seines Mäzens. Doch Paul | |
Madsack hat mit seinem Buch noch etwas mehr abgeliefert. | |
Der Sohn des Madsack-Konzerngründers galt als ein Skeptiker mit | |
ausgewachsenem Interesse am Okkultismus. Und sein Buch glänzt mit teils | |
explizit geschilderten, teils raunend angedeuteten magischen Pakten, | |
Beschwörungen und allerlei Illusionismus – offensichtlich geschult an der | |
Esoterik seiner Zeit, als der Spiritismus in die Bürgerstuben zurückgekehrt | |
und die deutschsprachige Fantastik nach der Schwarzen Romantik ihre zweite | |
Blütephase erlebte. | |
## Worpsweder Künstler als Figurvorlagen | |
Madsacks Abneigung gegen den Hokuspokus ist nachzulesen in einer hübschen | |
Passage am Anfang, kurz bevor Herr Krümelmann sich überreden lässt, die | |
TET-Stadt beim Künstler und Zauberer Avantino zu bestellen: „Schriftstücke | |
wurden gewechselt, Verträge und Urkunden unterschrieben, auf denen | |
unbekannte Zeichen, Dreiecke und Quadrate, Tetagramme und Hexagramme zu | |
sehen waren, in die sich die Auftraggeber immer tiefer verstrickten, bis | |
sie selbst nicht mehr wussten, was sie alles versprochen und unterschrieben | |
hatten.“ | |
Kaum verborgen, wenngleich heute nicht mehr ganz einfach zu entschlüsseln, | |
treten im Buch diverse reale Personen und Orte auf. Nach einem kurzen | |
Vorspiel in Paris zieht es Avantino nach Froschweiler und Finsterbergen, | |
wohinter sich Fischerhude und Worpswede verbergen. Ihre Bewohner lassen | |
sich als echte Akteur*innen beider Künstlerkolonien entschlüsseln: Die | |
Ausdruckstänzerin Sent M'Ahesa etwa taucht als Lilly auf und steht im Buch | |
Avantino Modell, wie in der Realität Hoetger. Und der Maler | |
Schlitterklitsch kann niemand anderes sein als der Künstler und | |
Rätekommunist Heinrich Vogeler, mit dem zusammen die Leserschaft aus der | |
Ferne Zeuge der Niederschlagung der Bremer Räterepublik wird. | |
Eine herzerweichende Szene ist das, wenn auch nicht frei von Spott: Halb | |
Worpswede ist auf den Beinen und beobachtet vom Hügel die Gefechte im nahen | |
Bremen. „Wie ein Stab phantastischer Strategen, die von sicherer Warte aus | |
die ferne Schlacht lenkten, so hoben sich die Silhouetten der | |
gamaschentragenden Künstler und Literaten mit den breiten Cowboyhüten gegen | |
den abendlichen Himmel ab. Mit Fernstechern bewaffnet verfolgten sie jede | |
einzelne Phase des Kampfes und schienen dabei bereits über ein | |
kriegstechnisch geschultes Beobachtungsvermögen zu verfügen.“ | |
Obgleich er mit ihnen gespickt ist, lässt sich „Der Schwarze Magier“ nicht | |
auf seine Tropen reduzieren. Der Roman ist das Porträt einer Zeit im | |
Umbruch, klar, aber auch ein Kommentar auf die anderen künstlerischen | |
Versuche, eben darauf zu reagieren. So zitiert Madsack zwar den dekadenten | |
Weltekel vieler seiner Mitfantasten, steigt jedoch nie so ganz mit ein. | |
Leo Perutz – also einer, der es wissen muss – hat über „Der Schwarze | |
Magier“ gesagt, der Roman sei die Verspottung des Fantastik-Mainstreams, | |
sein ernstes Grundthema der verzweifelte Kampf wahrer Kunst gegen Schein | |
und Bluff. | |
Neben Perutz haben das Buch vermutlich nicht sehr viele gelesen. Erwähnt | |
wird es gelegentlich wegen seines Autoren, weil der eben Sohn eines | |
berühmten Verlegers war – ein Schicksal übrigens, das Paul Madsack mit | |
seiner Nichte und Verlagserbin Sylvia teilt, die Vampir-Romane schreibt und | |
einer Bild-Reporterin einmal während eines Interviews im Mausoleum des | |
Ohlsdorfer Friedhofs erzählen musste: „Schon mein Onkel beschäftigte sich | |
mit Okkultismus.“ Aber das ist eine andere Geschichte. | |
## Bisweilen ressentimenthafter Konservatismus | |
Dass Paul Madsack nur drei Romane schrieb, hat ihm Der Spiegel noch im | |
Nachruf hinterhergeworfen. Und dann noch solche, „deren Titel Aufschluss | |
über ihr Wesen gaben“. Was für Aufschlüsse auch immer diesem Nachrufenden | |
etwa im Titel „Die metaphysische Wachsfigur“ angelegt schienen: „Der | |
Schwarze Magier“ hält nicht, was Vorurteil und rasche Lektüre versprechen. | |
Der Roman ist eine kenntnisreiche und scharfe Abrechnung mit dem | |
Kunstbetrieb seiner Zeit, dem Mystizismus und dessen literarischen | |
Verarbeitungen zugleich – allerdings bedient er sich bisweilen eines | |
irritierend plumpen und ressentimenthaften Konservatismus. | |
Der Teufel, heißt es gegen Ende, sei zurück auf der Erde und als Führer der | |
Frauenbewegung „verwischte [er] den Unterschied der Geschlechter“. Auch an | |
der Demokratie trägt Satan irgendwie schuld, weil er die Menge über den | |
Führer stelle und „auf die tierischen Instinkte und bestialischen Triebe | |
der Masse“ setze. | |
Das ist das Elend leider so vieler, die sich aus ansonsten guten Gründen um | |
alte Wahrhaftigkeiten sorgen – und „Der Schwarze Magier“ ist darum auch | |
kein Grund, in Begeisterungsstürme auszubrechen. Wäre da nicht das Stück | |
mit dem Teufel, dann müsste einem die Sprache aufstoßen: Es wimmelt im Buch | |
von abgeranzten „Apachengestalten“ und die Kopfformen der Schurken verraten | |
unangemessen viel von ihrem Wesen. | |
Ob das der Rassismus seiner Zeit ist oder auch schon wieder Satire, spielt | |
kaum eine Rolle – hoffen möchte man letzteres, als zum Höhepunkt des Buches | |
der Held gegen seinen Willen in was Wehrloses verwandelt werden soll | |
(spätestens seit Circe ein klassischer Tiefschlag der Kampfzauberei). Nur | |
ist es bei Madsack so: Das arme Opfer wird weder in Schwein noch Frosch | |
noch Maus verzaubert – sondern in einen Chinesen. „Ein maßloses Grauen | |
packte ihn“, und es folgt eine groteske Jagd durch Bremen. | |
## Rein ästhetisches Interesse am Okkultismus | |
Dass „Der Schwarze Magier“ an anderer Stelle hingegen wieder ganz | |
bezaubernd ist, liegt daran, wie ernst Madsack sein Sujet nimmt. Er trägt | |
das Magische nicht selbst an eine vermeintlich kalte, verwaltete Welt | |
heran, sondern überlässt das seinen Figuren: den Hoetgers und Bahlsens. | |
Madsacks eigenes Interesse am Okkultismus scheint rein ästhetischer Natur | |
zu sein, statt psychologisch wie bei Alfred Kubin oder Gustav Meyrink, | |
dessen mitglaubende Fantastik eine ganze Generation fantastischer | |
Dumpfbacken hervorgebracht hat. Kubin war übrigens mit Madsack befreundet | |
und hat zwei seiner Bücher illustriert. | |
Madsacks Roman ist die Kritik dieser wenig später zum Genre verkommenen | |
Mode – und selbst trotz Apachen und Chinesen noch ein bisschen schlauer. | |
Mit der Rassismusfrage müssen sich die Herausgeber*innen der bislang nicht | |
geplanten historisch-kritischen Ausgabe herumschlagen. Und wenn sie schon | |
dabei sind, könnten sie gleich die Pseudonyme übersetzen. | |
Dann stünde am Ende mindestens eine zauberhafte Reiselektüre für den Weg | |
nach Worpswede im Regal – oder in die Bremer Böttcherstraße. Sie wurde wie | |
die TET-Stadt von Hoetger entworfen, auch mit dem Kapital eines Mäzens im | |
Hintergrund und ebenfalls dem neuen Menschen gewidmet. Nur das | |
Product-Placement ist ein anderes: Statt von einem Hersteller knuspriger | |
Butterkekse, wird dieser Startschuss einer neuen nordischen Menschheit | |
präsentiert von Kaffee Hag. | |
16 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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