# taz.de -- Autor über fantastische Erzählungen: „Wenn der Fluss des Lebens… | |
> Sachte seltsam: Philipp Böhm liest in Hamburg und Bremen aus seinem | |
> Erzählungsband „Supermilch“. | |
Bild: Manchmal tritt das Andere ziemlich deutlich auf: Wenn ein Mensch zur Krö… | |
taz: Herr Böhm, in Ihren Erzählungen geht es um Dinge, die wir alle kennen: | |
[1][Loft-Büros, in denen an „Projekten“ gearbeitet wird], auf Möbeln aus | |
neuen Paletten, die aussehen wie alte. Auf der anderen Seite dann | |
Barfuß-Seminare und [2][Selbstfindungs-Kram]. Was ist das für ein Milieu, | |
in dem sie spielen? | |
Philipp Böhm: Ich glaube, was sie weniger verbindet als das Milieu, sind | |
Lebenssituationen – und das sind Krisen. Die Figuren stehen alle an einem | |
Punkt, an dem der reguläre Fluss ihres Lebens irgendwie unterbrochen wird. | |
In der zweiten Geschichte ist es ja tatsächlich so, dass der Fluss einer | |
Stadt unterbrochen wird: der Abwasser-Fluss. | |
Durch einen Riesen-Fettberg. | |
Es geht um Momente, in denen etwas gerade nicht funktioniert. Mir war es | |
wichtig, verschiedene Figuren drin zu haben und jeweils zu schauen: Wie | |
stehen die in der Welt? Es gibt einen Werbetexter, der nicht mehr darauf | |
klarkommt, dass er Textmüll produziert und das auch noch abfeiern soll. Es | |
gibt aber auch den Kanalarbeiter, der eben dazu da ist, diese Fettberge zu | |
entfernen und eine eigenartige Faszination dafür entwickelt. [3][Den | |
Youtuber], der ein allerletztes Video aufnimmt. Und da schaue ich mir viel | |
die Arbeitsverhältnisse an. Mich interessiert, wie die Menschen arbeiten – | |
gerade auch Menschen, die das nicht unbedingt so tun, wie ich selbst. | |
Sind da auch eigene Erfahrungen eingeflossen – oder ist das einfach gut | |
ausgedacht? | |
Beides. Ich habe selbst ein Jahr lang mal solchen Agentur-Textmüll | |
geschrieben, deswegen ist diese Geschichte auch sehr nahe dran. Ich brauche | |
dann aber etwas, das die Texte sich so ein bisschen von der Realität | |
abheben lässt. Es gibt immer etwas Seltsames da drin. | |
Der Klappentext spricht von „surreal“, ich habe mich erinnert gefühlt an | |
[4][die „Blue Ant“-Trilogie von William Gibson] aus den 2000er-Jahren, in | |
der er die Handlung nur ganz leicht in die Zukunft versetzt. Auch bei Ihnen | |
kommt das Seltsame, die Verfremdung teils sehr subtil daher. | |
Für mich hat es den Vorteil, dass mir dieser Zugriff größere Freiheiten | |
darin erlaubt, bestimmte Bilder zu erschaffen. Jeden Abend eine | |
Hologramm-Show am Himmel oder Menschen, die sehr, sehr alt werden können, | |
weil sie gleichzeitig sehr reich sind und man einfach neue Organe züchten | |
kann: Das sind Sachen, über die wird schon nachgedacht. Die Genres, mit | |
denen ich aufgewachsen bin, das sind Science-Fiction, Fantasy und Horror – | |
und denen bin ich auf eine Art und Weise immer noch verpflichtet. Ich kann | |
auch gar nicht so richtig einen rein realistischen Text schreiben. Ich will | |
nicht einfach die Welt noch mal verdoppelt in Literatur erschaffen. Es | |
reicht ja, dass es sie schon einmal gibt. | |
Haben Sie Texte im Buch am Stück geschrieben oder sind sie über die Jahre | |
entstanden? | |
Manche davon sind schon etwas älter, und ich hätte nie gedacht, dass ich | |
die mal in gesammelter Form veröffentlichen könnte. Kurzgeschichten-Bände | |
haben es schwer auf dem deutschen Buchmarkt. Ich hatte das große Glück, | |
dass mein Verlag diese [5][Reihe „kurze Form“] gestartet hat. Und dann | |
hatte ich also eine Reihe von Geschichten, bei denen ich dachte: Ach, die | |
spielen eigentlich alle in derselben Welt, vielleicht nicht unbedingt zur | |
selben Zeit. Und habe mich noch mal ran gesetzt, um die noch etwas mehr | |
miteinander zu verbinden. | |
Aber es ist nicht so, dass etwas, was Sie beim ursprünglichen Schreiben | |
noch deutlich in der Zukunft verortet hatten, in der Zwischenzeit einfach | |
Gegenwart geworden ist? | |
Sie hatten ja William Gibson angesprochen und ich erinnere mich, die Bücher | |
nicht gelesen zu haben, aber Artikel darüber, wo genau das diskutiert | |
wurde: Dass jene Bücher eben die Reaktion darauf sind, dass sich niemand | |
mehr große Zukunftsszenarien zu schreiben traut, weil das zu schnell | |
wieder Gegenwart werden kann. Science-Fiction interessiert mich auch | |
weniger als Zukunftsprognose; eher als so eine Art atmosphärisches Mittel, | |
um die Welt wieder fremd werden zu lassen. Deswegen gibt es bei mir auch | |
weniger die ganz krassen technologischen Neuerungen, sondern eher kleine | |
Schrauben, an denen ich drehe. | |
Es geht um Hologramme, aber nicht gleich darum, sich irgendwo hin | |
[6][beamen zu können]. | |
Genau. | |
13 Apr 2022 | |
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[4] https://www.tor.com/2017/06/26/recognizing-a-familiar-future-william-gibson… | |
[5] https://www.verbrecherverlag.de/book/detail/1032 | |
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Alexander Diehl | |
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