# taz.de -- 150 Jahre Künstler Bernhard Hoetger: Es war nicht alles schlecht | |
> Bernhard Hoetger ließ sich erst sozialistisch, dann nationalsozialistisch | |
> leiten. Worpswedes Museen beleuchten die Widersprüche seines Schaffens. | |
Bild: Ortsprägender Backsteinbau: Bernhard Hoetgers „Kaffee Verrückt“ in … | |
Worpswede hat seit Beginn des 20. Jahrhunderts einen Ruf als Künstlerdorf. | |
Den vermarktet es touristisch – wozu sich Jubiläumsschauen für die Heroen | |
der Künstlerdorfgeschichte anbieten: Die gab’s 2022 zum 150. Geburtstag des | |
einstigen Jugendstil-Träumers Heinrich Vogeler, bald ist Paula | |
Modersohn-Beckers 150. Geburtstag zu begehen. Gegenwärtig aber versucht man | |
das 1874 geborene Multitalent Bernhard Hoetger zu feiern. Und das ist viel | |
schwieriger. | |
Hoetger, der von 1914–1929 im Teufelsmoor lebte, wirkte ortsbildprägend | |
durch seine expressiven Backsteinbauten wie das „Kaffee Verrückt“, den | |
monumentalen [1][Niedersachsenstein] oder auch die Große Kunstschau. | |
Andererseits agierte er – obwohl seine Kunst verfemt und er 1938 aus der | |
Partei ausgeschlossen wurde – ab 1933 als eifriger Nazi. Dabei hatte er | |
während der 1920er-Jahre noch auf dem Friedhof Bremen-Walle eine Pietà für | |
die gefallenen Revolutionäre der Räterepublik geschaffen und fürs Bremer | |
Volkshaus der Gewerkschaften einen Zyklus aus acht unter der Last schwerer | |
Arbeit deformierte Figuren gestaltet. | |
Hoetger muss ein einnehmender Netzwerker gewesen sein: Immer wieder fand er | |
potente Auftraggeber und Sammler wie den Keksfabrikanten Hermann Bahlsen in | |
Hannover und den Kaffeemagnaten Ludwig Roselius in Bremen. Aber er wird | |
auch als empathisch beschrieben und hat mit hoher sozialer Kompetenz junge | |
Künstler gefördert. | |
Die Hoetger-Retrospektive der Museen Worpswede schaut nun unter dem Titel | |
„Zwischen den Welten“ an drei Standorten kritisch, ja forschend neu aufs | |
Werk und seine Widersprüche, die ein schlichtes Be- oder Verurteilen | |
erschweren. Die erste Station ist der Barkenhoff: Direkt gegenüber diesem | |
Jugendstilpalast [2][Heinrich Vogelers] hatte sich Hoetger 1914 | |
eingerichtet, als er nach Worpswede zog. Nun steht am Eingang zur Werbung | |
die Büste der russischen Konzertpianistin Hélène Natalie Haken. Die hatte | |
Hoetger 1905 geheiratet. | |
Sie gab damals ihre Karriere auf. Beide seien auf „gemeinsame Suche“ nach | |
der neuen Kunst gegangen, schrieb er. Hakens Bedeutung für sein Œuvre ist | |
bis heute indes unerforscht. Dargestellt ist sie würdevoll stilisiert im | |
ägyptischen Stil, in dem Hoetger auch [3][für Bahlsen die utopistische | |
TET-Stadt entwarf]. Ähnlichkeiten zu Vogeler sucht die kleine Schau in den | |
Pathosformeln allegorischer Darstellungen. Wobei Vogeler eher aus dem | |
Urchristentum, Hoetger aus nordischen Mythen & Co. einen eigenen Kosmos | |
bastelte. Inwieweit dabei wechselseitige Inspirationen vorliegen, kann die | |
Ausstellung nicht klären. | |
Einen völlig anderen Fokus hat die Kunsthalle. Sie zeigt Hoetgers bisher | |
wenig bekannten Versuche mit dem Pinsel als Handwerkzeug. Fünf seiner | |
Gemälde sind neben [4][Bilder der Worpsweder Kolleg:innen] gehängt. Mit | |
großer Farblust schuf Hoetger in den 1920ern wild bedrohliche | |
Naturschilderungen. Die Schau verdeutlicht, wie weit entfernt er dabei von | |
der expressionistischen Meisterschaft etwa eines ebenfalls Nazi-affinen | |
Emil Nolde bleibt. | |
Zentral für den Hoetger-Diskurs ist, was die Kunstschau zeigt. Hoetger ging | |
1900 als mittelloser Besucher zur Weltausstellung nach Paris, blieb und | |
arbeitete sich vom obdachlosen zum anerkannten Bildhauer empor. In | |
Worpswede sind einige frühe Arbeiten zu sehen – Pariser Typen als | |
sozialkritisch gemeinte Klischees wie „Der Blinde“ oder ein Lumpensammler, | |
der skurrilerweise von der Meissner Manufaktur als schmucke Porzellanfigur | |
verkauft wurde. | |
Die Versuche nach dem Vorbild Auguste Rodins Bewegung in die Plastiken zu | |
bringen, werden ab 1905 zugunsten glatterer Oberflächen aufgegeben. | |
Mangelnde Kontinuität in seinem Werk trug Hoetger früh den Vorwurf des | |
Eklektizismus ein. Aber vielleicht war es auch Experimentierfreude. | |
Sein zentrales plastisches Werk, der 15-Figuren-Zyklus „Licht und | |
Schatten“, ist in Worpswede in Auszügen zu sehen, verweist aber bestens auf | |
die Ambivalenzen des Künstlers. Zur lachenden Licht- und missmutigen | |
Schattenfigur gesellen sich helle und dunkle Darstellungen von guten und | |
schlechten Haltungen des Menschen wie Rache, Wut, Habgier und Liebe, | |
Wahrheit, Hoffnung. | |
Besonders reizvoll machen Interventionen der Leipziger Künstlerin Julia | |
Kiehlmann den Bummel durch die Kunstschau. Schlau bis verspielt | |
kommentieren sie Hoetgers Arbeiten. So faltet sie neben dem Sämann, einem | |
Fruchtbarkeitssymbol, einen Militäranzug zu einem Baby und legt einen | |
Stickrahmen darauf, um auf Geschlechterklischees im Oeuvre zu verweisen. | |
In der Rotunde hat sie einen Stuhlring aufgestellt aus total kaputten bis | |
angeknacksten Sperrmüllobjekten sowie ein ebenfalls beschädigtes, aber von | |
Hoetger gezimmertes Sitzmöbel: Vielleicht ein Verweis auf die beschädigten | |
Seelen des dem Nationalsozialismus verfallenen Dorfes. Bei einer | |
Therapiesitzung im Kreis wären sie vielleicht noch zu retten gewesen. | |
9 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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