# taz.de -- Sounddesign für Filme: Die Kunst des Subtilen | |
> Der Bremer Sounddesigner Anders Wasserfall will für Filme Klangbilder | |
> schaffen, bei denen alles Überflüssige wegfällt wird. | |
Bild: Verzichtet bewusst auf Klischees wie den Herzschlag, wenn es spannend wir… | |
Wenn man sich bewusst wird, dass man einen Klang hört, dann ist das | |
Sounddesign bei einem Film nicht wirklich gelungen. Durch die Tongestaltung | |
sollen die Illusion und die Atmosphäre verstärkt werden, die durch die | |
Bilder geschaffen werden. Sie soll das Eintauchen in die Erzählwelt eines | |
Films möglichst intensiv werden lassen. Dies ist einer der Widersprüche des | |
Sounddesigns im Kino: Es ist dann am wirkungsvollsten, wenn es zwar | |
unbewusst wahrgenommen, aber nicht bemerkt wird. | |
Auch darum zählt das Sounddesign zu den unbekannteren Gewerken des | |
Filmemachens. Wie der Regen, das Schließen einer Tür oder ein Schuss in | |
einem Film klingen, wird nur selten als ein bewusst gestalteter Klang | |
wahrgenommen. Dabei ist dies eine Arbeit, die viel Einfühlungsvermögen und | |
Musikalität erfordert – kein Wunder also, dass „subtil“ zu den Worten | |
zählt, die [1][Anders Wasserfall] häufig verwendet, wenn er seine Arbeit | |
als Sounddesigner beschreibt. | |
Es ist ihm auch wichtig, dass seine Arbeit nicht als Handwerk, sondern als | |
ein künstlerisches Schaffen verstanden wird. Da wird dann zum Beispiel das | |
Zuschlagen einer Autotür aus bis zu fünf verschiedenen Grundtönen | |
zusammengemischt. Dazu gehören möglichst authentische Klänge wie das bei | |
Dreharbeiten aufgenommene Originalgeräusch, aber auch elektronisch erzeugte | |
Töne, die dem Klang zum Beispiel mehr Bass geben, sowie Soundfiles aus | |
seinem großen, digitalen Tonarchiv. „Gefaked ist alles“, sagt Wasserfall | |
selbst. | |
Aber als er an dem [2][Sounddesign für den Film „Heinrich Vogeler – Aus dem | |
Leben eines Träumers“] arbeitete, ging er mit seinem Surround-Mikrofon in | |
die Moorlandschaften von Worpswede, wo große Teile des Films gedreht | |
wurden. Denn dieser Ort hat sein ganz eigenes Ambiente. Wenn in einem Film | |
am frühen Morgen Vögel zwitschern, dann kann man dafür nicht mit den | |
Tondateien von abendlichen Vogelgesängen arbeiten, selbst wenn nur | |
Ornitholog*innen oder Klangexpert*innen wie Wasserfall den | |
Unterschied erkennen: „Irgendetwas stimmt nicht und das spürt man.“ | |
## Trockener Donner | |
Wenn Wasserfall einen Klang nicht von den Tontechniker*innen bei den | |
Dreharbeiten aufnehmen lassen kann und ihn auch nicht in seinem vier | |
Terabyte großen Archiv findet, dann muss er ihn bei großen Datenbanken | |
kaufen. Stehlen ist dabei übrigens kaum möglich, denn die Files haben ein | |
akustisches Wasserzeichen in einer Frequenz, die menschliche Ohren nicht | |
hören können. | |
Als ein Beispiel für solch eine Datei, nach der eine große Nachfrage | |
besteht, nennt Wasserfall den sogenannten „trockenen Donner“, also das | |
Geräusch eines Gewitters ohne Regen. Das sei schwer zu finden, aber für | |
Sounddesigner wichtig, weil sie den Donner ohne die Regengeräusche viel | |
besser modifizieren und abmischen können. | |
Bei einem Imagefilm für einen professionellen Skateboarder, an dem er | |
gerade arbeitet, mischt Wasserfall unter die authentischen Roll- und | |
Sprunggeräusche ein paar Klicks und „Whooshes“ – und schon wirken dessen | |
Tricks in der Halfpipe noch cooler. | |
Anders Wasserfall ist in Norwegen aufgewachsen. Er hat in Oslo Audio | |
Engineering und Sounddesign studiert. 2006 ging er nach er Berlin und | |
machte dort in einer Band Musik. 2011 zog er aus privaten Gründen nach | |
Bremen und begann, bei Filmproduktionen zu arbeiten – oft zusammen mit dem | |
Filmkomponisten André Feldhaus und dem Geschäftsführer der Produktionsfirma | |
Cine Complete, Andreas Hellmanzik. In Bremen machte er sich mit der Zeit | |
einen Namen als ein sehr sorgfältig und einfallsreich arbeitender | |
Sounddesigner. So etwa bei den Filmen von Beatrix Schwehm, Jule Körperich, | |
Daniel Tilgner und Annette Ortlieb. | |
## Keine Klischees | |
Sein Ziel ist ein möglichst minimalistischer Sound; ein Klangbild, bei dem | |
alles Überflüssige herausgeschnitten wird, sodass ein emotionales Erzählen | |
auch auf der Tonebene möglich wird. Bei Aufnahmen von einem Raum kann zum | |
Beispiel durch einen nuanciert eingesetzten Ton eine drückende | |
klaustrophobische Atmosphäre verstärkt werden. | |
Dabei vermeidet Wasserfall Klischees wie etwa den bei Stresssituationen | |
immer wieder gern untergemischten Herzschlag oder den Sinuston eines | |
Tinnitus nach Explosionen oder Schüssen. Wenn man diese Tricks kennt, | |
wirken sie nicht mehr – doch gerade bei Fernsehproduktionen sind dies gern | |
verwendete akustische Ausrufungszeichen. | |
Bei Kinofilmen ist das anders. Hier arbeitet man mit Surround-Sound, hat | |
also mehrere Kanäle im Raum verteilt, während man beim Fernseher nur den | |
Stereoton mit zwei Lautsprechern hat. Wasserfall hat so viel mehr | |
Möglichkeiten, mit den Sounds zu arbeiten. | |
Aber es gibt noch mehr audiovisuelle Medien als den Film. Anders Wasserfall | |
arbeitet seit einigen Jahren mit der Bremer Produktionsfirma Urbanscreen | |
zusammen, die für ihre Bildprojektionen auf Gebäude und Installationen | |
international bekannt ist. So war er der Sounddesigner und einer der | |
Komponisten bei deren Großprojekt „30 Years of the Peaceful Revolution – | |
Fall of the Berlin Wall“, für das im Jahr 2019 historische Bilder von der | |
Geschichte der Mauer auf sechs Berliner Wahrzeichen projiziert wurden. | |
## Symbiose von Ton und Bild | |
Seine neueste Zusammenarbeit mit Urbanscreen wurde in diesem Jahr mit dem | |
„European Design Award“ in Gold ausgezeichnet. Die Installation steht im | |
Wittenberger „MehlWelten“-Museum. In ihr wird in einer abstrakt | |
stilisierten Animation dargestellt, wie aus dem Getreide in einer Mühle | |
Mehl gewonnen wird. Anders Wasserfall hat dafür ein kongeniales Sounddesign | |
entwickelt, bei dem etwa die Klangbilder vom Rascheln des reifen Getreides | |
auf den Feldern oder vom Fallen der Körner in die Silos ständig zwischen | |
Geräusch und Musik oszillieren. | |
Hier wirkt das Sounddesign alles andere als unterschwellig, denn was man | |
sieht und was man hört, ist in der Wirkung ebenbürtig. Anders Wasserfall | |
hat hier sehr eindrucksvoll sein Ideal von einer stimmigen Symbiose von | |
Bild und Ton verwirklicht. | |
18 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.anderswasserfall.com/ | |
[2] /Dokudrama-ueber-Heinrich-Vogeler/!5850235 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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