# taz.de -- Film über den Künstler Bernhard Hoetger: Völkisch und trotzdem �… | |
> Das Doku-Drama „Bernhard Hoetger – Zwischen den Welten“ erzählt vom | |
> vergeblichen Versuch des Worpsweder Expressionisten, sich den Nazis | |
> anzudienen. | |
Bild: Eher organisch gewachsene als entworfene Kunst: Moritz Führmann als Bern… | |
Er wollte Kunst für Hitler machen, aber Bernhard Hoetgers Werke wurden von | |
den Nazis als „entartet“ verboten. Das ist die bittere Schlusspointe im | |
Leben des wohl produktivsten und einflussreichsten unter den Worpsweder | |
Künstler*innen. | |
Die Stars der norddeutschen Künstlerkolonie waren und sind Paula | |
Modersohn-Becker und Heinrich Vogeler, doch der heutige kulturelle | |
Pilgerort Worpswede ist maßgeblich von Hoetger geprägt: Sein | |
Gebäudeensemble „Kaffee Worpswede“ und „Große Kunstschau Worpswede“ m… | |
seinen organischen Formen und schiefen Winkeln ist heute im doppelten Sinne | |
der Marktplatz des Ortes. Aber auch der scheußlich klotzige | |
„[1][Niedersachsenstein]“ geht auf seine Rechnung. Und dann ist da noch die | |
von expressionistischer Architektur gesprägte Böttcherstraße in Bremen: | |
Hoetger war der Baumeister der Worpsweder Avantgarde. | |
Dabei gehört es zu den Widersprüchen seines Werkes und Lebens, dass seine | |
eher gewachsenen als entworfenen Bauten auch die nordisch-völkische Kultur | |
feiern sollten. Aber davon lässt sich nicht so schön erzählen wie von den | |
Lichtgestalten Paula und Heinrich: Über sie gibt es bereits mehrere | |
biografische Spielfilme, während Bernhard Hoetger erst jetzt seinen | |
Auftritt als Kino-Antiheld bekommt. Sein 150. Geburtstag wird von den | |
Worpsweder Museen derzeit mit der Ausstellung „Bernhard Hoetger – Zwischen | |
den Welten“ gefeiert – dies ist also der Film zur Ausstellung. | |
Mit einem den Konventionen des Genres folgenden „Biopic“ ist Hoetger nicht | |
beizukommen, dachten die Regisseurin Gabriele Rose und der Produzent | |
Matthias Greving – dessen Büroräume übrigens in der Böttcherstraße liege… | |
mit Blick also auf einen der wichtigsten Drehorte. Rose und Greving | |
entschieden sich deshalb dafür, ein sogenanntes Doku-Drama zu drehen, also | |
einen Film mit dokumentarischen und fiktiven Anteilen. Man sieht Original- | |
und Archivaufnahmen von Hoetgers Werken und eine ganze Reihe von | |
Spezialisten erzählen als Talking Heads in die Kamera, was sie von Hoetger | |
wissen und denken. | |
In Interviewpassagen erzählen Zeitzeug*innen wie Paula | |
Modersohn-Becker und Heinrich Vogeler von ihren Begegnungen mit Hoetger und | |
schauen dabei ganz genauso in die Kamera wie die Spezialisten. Hier | |
sprechen natürlich deren Darsteller*innen, aber diese fließende Vermischung | |
der Erzählebenen zeigt, dass Gabriele Rose zwar wenig Geld für ihren Film | |
zur Verfügung hatte und deshalb viele Spielszenen statt mit Kulissen vor | |
extrem vergrößerten Schwarz-Weiß-Fotografien drehte. | |
Inszeniert sind diese Szenen dafür stilistisch sehr einfallsreich. Es gibt | |
sogar eine Rahmenhandlung, in der die Künstlerin Olga Bontjes Van Beek, die | |
in Worpswede viele Jahre lang mit Hoetger unter einem Dach lebte, im Jahr | |
1963 als letzte noch lebende Zeitzeugin einem Journalisten ein Interview | |
gibt. Man sieht das Frage- und Antwortspiel der beiden Darsteller*innen, | |
das Mikrofon und das Tonbandbandgerät (natürlich von BASF), mit dem das | |
Interview aufgezeichnet wurde. Das Interview wird wortwörtlich | |
wiedergegeben – aber es ist ein Nachbau im Stil eines historischen | |
Kostümfilms. | |
Diese Art des quasi-dokumentarischen Erzählens – die Regisseurin | |
versichert, dass jedes Wort in den Spielszenen tatsächlich von den | |
Protagonist*innen gesagt oder geschrieben wurde –, ermöglicht es, die | |
verschiedenen Lebens- und Schaffensphasen von Hoetger zu behandeln, ohne | |
dass der Eindruck entsteht, hier würde durch ein halbes Jahrhundert | |
gehechelt. Ein paar Schlüsselszenen, ein paar Kommentare und ein paar | |
Bilder von Hoetgers wichtigsten Werken aus der jeweiligen Schaffensperiode | |
– und schon geht es weiter. | |
Dass die Darsteller*innen wie Moritz Führmann als Hoetger oder | |
Katharina Stark als Paula Modersohn-Becker kaum Gelegenheit bekommen, ihre | |
Charaktere lebendig werden zu lassen, ist allerdings ein Manko dieser eher | |
illustrativen als dramatischen Inszenierung. Das lässt sich jedoch | |
verschmerzen, denn so bekommt man etwa einen zwar kurzen, aber im | |
Gedächtnis bleibenden Eindruck von Hoetgers Lehrjahren in Paris, wo er in | |
einer Kneipenwirtin, die ihn durchfütterte, die erste von vielen | |
Mäzen*innen fand. | |
Zurück in Deutschland hatte Hoetger eine expressionistische und | |
anschließend eine von der antiken ägyptischen Kunst beeinflusste Phase. | |
Eine seiner Büsten sieht beispielsweise der Nofretete verdächtig ähnlich. | |
Schließlich wurden seine Werke immer erdverbundener und völkischer. Hoetger | |
habe ein Talent dafür gehabt, sich immer den jeweiligen Zeitströmungen | |
anzupassen, sagt einer der vielen klugen Kunstexperten im Film. | |
Die Freundschaft zu Modersohn-Becker und Vogeler bringt Hoetger nach | |
Worpswede, wo er zuerst mit den kommunistischen Ideen Vogelers | |
sympathisiert, aber von reichen Förderern bald in eine andere Richtung | |
gelockt wird. Denn ein weiteres seiner Talente bestand darin, sehr reiche | |
Männer für sich einzunehmen. | |
Schon 1911 berief der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein | |
Hoetger in seine Künstlerkolonie in Darmstadt. Im Folgenden der | |
[2][Hannoveraner Keksmagnat Hermann Bahlsen] und schließlich der Gründer | |
der Bremer Firma Kaffee Hag, [3][Ludwig Roselius], für den Hoetger große | |
Teile der [4][Böttcherstraße] entwarf und baute. | |
Dieser gute Draht zu den Mächtigen mag Hoetger zu der Hoffnung verleitet | |
haben, [5][Adolf Hitler] würde sein nächster Förderer werden. So war er | |
völlig überrascht darüber, von diesem abgelehnt zu werden. Im Film hört man | |
einen Teil aus Hitlers Rede auf dem Nürnberger Parteitag von 1936, die | |
Hoetgers Schicksal besiegelt. Darin spricht Hitler verächtlich von der | |
„Böttcherstraßen-Kultur“. Hoetger floh in die Schweiz, kehrte aber ins | |
Hitlerdeutschland zurück, wo er zurückgezogen lebte und vergessen wurde. | |
28 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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