# taz.de -- Claudel-Hoetger-Ausstellung in Bremen: Endlich zu zweit allein | |
> In Bremen kommen Bildhauerwerke von Camille Claudel und Bernhard Hoetger | |
> zusammen. Wie 1905 in Paris, bevor sie vergessen wurde und er zum Nazi. | |
Bild: Blick in die Ausstellung von Dezember 1905: Alle der in der Galerie Blot … | |
Wie nur kann Camille Claudel ihren gehassten Geliebten Auguste Rodin | |
loswerden? Indem man ihr mit Bernhard Hoetger einen anderen Mann ans Bein | |
bindet, heißt die Antwort des Bremer Paula Modersohn-Becker Museums. | |
„Emanzipation von Rodin“ lautet der programmatische Untertitel der schlicht | |
„Camille Claudel & Bernhard Hoetger“ benannten Ausstellung. | |
Beide zusammen zu zeigen, mag überraschen. Sie sind zwar Zeitgenossen, aber | |
in der Kunstgeschichte unterschiedlich verortet. Der Deutsche Hoetger | |
(1874–1949) [1][ist für seinen eigenwilligen, regional geprägten | |
Expressionismus bekannt], der in den 1920ern ins Völkische abdriften | |
konnte. Die Französin Claudel (1864–1943) ist eine der wenigen bedeutend | |
gewordenen Frauen in der Geschichte der Bildhauerei. | |
Ihre schwungvollen, oft theatralisch inszenierten Figuren, stilistisch auf | |
der Schwelle von Impressionismus zu Art Nouveau, entstehen zwischen 1881 | |
und 1906. [2][Berühmt ist sie aber eben als Geliebte Auguste Rodins.] Sie | |
war kurz seine Schülerin, dann seine Mitarbeiterin. Nach der Trennung von | |
ihm ist sie offenbar psychisch erkrankt. | |
## Rekonstruktion einer historischen Ausstellung | |
In der ungewöhnlichen Bremer Gegenüberstellung der beiden bekommt Hoetgers | |
sonst wenig beachtetes, impressionistisches Frühwerk etwas von Claudels | |
Glanz ab. Und die Schau löst das Œuvre der Bildhauerin aus dem kitschigen | |
Kokon des Biografischen, der es seit seiner Wiederentdeckung in den 1970ern | |
durch Romane und Spielfilme [3][verhüllt]. | |
Die Bremer Ausstellung reinszeniert ein historisches Ereignis. Vor 120 | |
Jahren hatte der gemeinsame Galerist Eugène Blot die zwei in Paris schon | |
einmal zusammengebracht. Die Ausstellung 1905 war kurz, fand aber ein | |
großes Echo, nicht nur in den Periodika der damals etwa 30.000-köpfigen | |
deutschen Gemeinde in Paris. In Blots Galerie zu sehen waren 12 Plastiken | |
von Claudel, 33 von Hoetger, den der Kunstkritiker des Gil Blas als „einen | |
derjenigen, deren Namen Künstler mit Bewunderung, manchmal auch mit Neid | |
wiederholen“ rühmte. | |
In Bremen konnte man fast die gesamte Pariser Schau von 1905 rekonstruieren | |
– nur eine Hoetger-Bronze, die verschollen ist, fehlt, und auch Claudels | |
„La Vague“ ist nicht dabei. Die an Hokusais Welle erinnernde, fragile Form | |
aus Bronze und Onyx mochte das Pariser Musée Rodin nicht schon wieder | |
verleihen. | |
Sie war gerade erst [4][als Teil einer großen Claudel-Schau] auf Tournee in | |
den USA [5][unterwegs] gewesen. Die scheint das derzeit große Interesse an | |
der Bildhauerin befeuert zu haben. Und als vergangenen [6][September in | |
einer verwaisten Pariser Wohnung] der vermutliche Erstguss der | |
Figurengruppe „L’âge mûr“ („Das reife Alter“) wiederentdeckt wurde, | |
erreicht die Begeisterung für Camille Claudels Oeuvre bisher unbekannte | |
Dimensionen. | |
## Erstguss für bis zu 2 Millionen Euro | |
Das schlägt sich auch im Marktwert nieder: Bis zu 2 Millionen Euro erwartet | |
[7][das Auktionshaus Philocale] zu erlösen, wenn das Werk im Februar | |
versteigert werden soll, ein Rekord. | |
„L’âge mûr“ – ein anderer Guss natürlich als der Pariser Fund – is… | |
Bremen zu sehen: Sanft, aber unerbittlich, geführt von einem zu seiner | |
Rechten schwebenden Dämon, schreitet ein Mann voran. Keinen Blick hat er | |
für die Frauenfigur, die hinter ihm kniet, ihn mit ausgestreckten Armen | |
zurückhalten will. Klein ist der Abstand zwischen ihnen, aber er wirkt | |
unüberwindlich. | |
Zweimal hat Paul Claudel über die Kunst seiner Schwester geschrieben, 1905 | |
und 1951. Vor allem „L’âge mûr“ hat seine elegante Prosa eine verführe… | |
simple Deutung aufgedrückt. In der ist [8][Rodin der schurkige Mann], | |
Camille die flehende Verlassene. | |
Das Feuilleton hört nicht auf, das [9][aufzuwärmen], und verdunkelt so, | |
dass der erzkatholische Großdramatiker und Superdiplomat Paul 1913 | |
alleiniges Oberhaupt der Familie Claudel war – [10][und damit für die | |
Psychiatrisierung seiner Schwester verantwortlich.] Nach 30 Jahren in | |
Verwahranstalten krepiert sie schließlich elendig in der Klinik von | |
Montdevergues, infolge von Unterernährung. | |
Anhand eines alten Fotos hat man im Paula Modersohn-Becker Museum | |
nachempfunden, wie Bernhard Hoetger und Camille Claudel 1905 in der Galerie | |
Blot präsentiert waren, mit Art-Déco-Sockeln und Fächerpalme. | |
## Kein Reenactment | |
Das hat Charme, ohne in Reenactment abzugleiten. In der Betonung des | |
historischen Moments gelingt der Ausstellung, die zwei in ihrer bloßen | |
Zeitgenossenschaft als Künstler*innen erfahrbar zu machen. Gerade | |
dadurch lässt sich erkennen, wie weit sie sich damals vom gemeinsamen | |
Bezugspunkt Auguste Rodin entfernt hatten: Anders als Rodin, arbeitete | |
Claudel die raumgreifende Bewegung schon immer aus. Und Hoetgers Plastiken | |
weisen früh einen Zug ins Monumentale auf, den eigentlich auch Rodin | |
angestrebt habe. | |
Hoetger, der hier noch naturalistisch-inspirierte Arbeiterfiguren zeigt, | |
wird, 1907 aus Paris nach Deutschland zurückgekehrt, [11][gigantische | |
Backstein-Phönixe entwerfen, monumentale Odins sowie | |
verwegen-expressionistische Baukörper] wie eben auch das Paula | |
Modersohn-Becker Museum. Erfolglos dient er sich den Nazis an. | |
Claudel dagegen stellt die Produktion ein, zerstört viel und schreibt | |
[12][paranoide Briefe] über den bevorstehenden großen Austausch, die bösen | |
Juden, [13][Freimaurer, Hugenotten und den teuflischen Rodin]. | |
In ihrer Kunst aber findet sich die Krankheit nicht. Eine ihrer letzten | |
Arbeiten ist die „Petite Sirène“. Diese Frauenfigur ist in der Ausstellung | |
zentral: sitzend, den Blick in den Himmel, eine Querflöte wenige Millimeter | |
vor den Lippen, ihr nackter Körper eine einzige, glatte, ganz auf den | |
Klang, der da kommen wird, gerichtete Bewegung – und doch zugleich völlig | |
in sich ruhend. | |
29 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Warnhinweis-fuer-Nazi-Kunst/!5055086 | |
[2] /Kolumne-Cannes-Cannes/!5409655 | |
[3] https://tuttle.taz.de/!514617&s=camille+Claudel&SuchRahmen=Print// | |
[4] https://www.artic.edu/exhibitions/9714/camille-claudel | |
[5] https://www.getty.edu/art/exhibitions/claudel/index.html | |
[6] https://france3-regions.francetvinfo.fr/centre-val-de-loire/loiret/orleans/… | |
[7] https://drouot.com/de/v/161001-camille-claudel-nr-1 | |
[8] https://www.sueddeutsche.de/kultur/skulptur-von-camille-claudel-nationalgal… | |
[9] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunstmarkt/wiederentdeckt-auktion-vo… | |
[10] https://psychiatrie.crpa.asso.fr/1838-06-30-Loi-Esquirol-sur-les-alienes-d… | |
[11] /150-Jahre-Kuenstler-Bernhard-Hoetger/!6027571 | |
[12] https://www.gallimard.fr/catalogue/correspondance/9782070143252 | |
[13] https://www.gallimard.fr/catalogue/correspondance/9782070143252 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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