| # taz.de -- Ungewohnt verknüpfte Erzählungen: Stell dir vor, dein Körper ist… | |
| > Autorin Regina Dürig erzählt in ihrem Erzählungsband „Frauen und Steine�… | |
| > von Bildhauerinnen und Wissenschaftlerinnen. Selbst Sexpuppen kommen vor. | |
| Bild: Als Symptom einer Krankheit aufgefasst: Camille Claudels Bedürfnis, Lebe… | |
| Das Steinsein, das lässt sich mitnehmen aus diesen sprachlich virtuosen | |
| Erzählungen, wäre wohl bedeutend einfacher als das Menschsein. Oder als das | |
| Frausein. Aber um spezifisch weiblich gefühlte Körperlichkeit geht es gar | |
| nicht so sehr in diesen Erzählungen, die nicht einfach zufällig in einem | |
| Buch vereint sind, sondern sämtlich Bezug nehmen auf das im Titel genannte | |
| Thema, wie lose auch immer. | |
| Die Formulierung „Frauen und Steine“ ist ja schon ziemlich weit gefasst. | |
| Die Autorin umrahmt den Band mit zwei Erzählungen, in denen es sehr | |
| explizit um Frauen und Steine geht, noch genauer um das Bemühen von Frauen, | |
| Steine zum Leben zu erwecken. | |
| In der Eingangserzählung „Fragmente“ reflektiert ein Erzählerinnen-Ich die | |
| eigenen, laienhaften Erfahrungen mit mineralischer Materie in einem | |
| Bildhauer-Kurs („jetzt sind die Muskeln müde. Ich sage: Meine Arme sind | |
| halt nur das Halten eines Stifts gewohnt“). | |
| In der letzten, langen Erzählung „Landschaft ohne Wolf“ spricht [1][die in | |
| eine psychiatrische Anstalt eingewiesene Bildhauerin Camille Claudel] in | |
| einem langen (inneren) Monolog mit einer gewissen Jessie (die Bildhauerin | |
| Jessie Lipscomb war eine enge Freundin Claudels). Ihr Bedürfnis, Leben aus | |
| Stein zu schaffen, glaubt Camille nicht mehr ausleben zu dürfen, da dies | |
| als Symptom ihrer Krankheit aufgefasst würde: „… wenn meine Hände auch nur | |
| eine einzige Gestalt hervortreten lassen, werden sie beharren darauf, dass | |
| ich noch immer nicht auskuriert, dass noch immer Wille ist in mir.“ | |
| ## Die Recherche wird Teil der Erzählung | |
| Neben Claudels tragischem Schicksalsmonolog gibt es im Band eine weitere | |
| Lebenserzählung über eine (etwas weniger) prominente Frau: Die | |
| US-amerikanische Altphilologin Alice Kober leistete in den vierziger Jahren | |
| Bahnbrechendes bei der Entzifferung eines antiken Schriftsystems, das als | |
| Linearschrift B in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist. Die | |
| aufwendige Recherche, die Regina Dürig für diese längere Erzählung | |
| unternommen hat – Reisen, Bibliotheksbesuche, Archivrecherchen –, geht | |
| ebenso in den Text ein wie fiktionale Passagen, in denen die Autorin Szenen | |
| in Kobers wissenschaftlichem Umfeld oder aus dem weitgehend unbekannten | |
| Privatleben der Forscherin imaginiert. | |
| Dass der Schlusssatz dieser Erzählung lautet „Der Schlaf traf sie wie ein | |
| Stein“, darf wohl als ironisch-pflichtschuldige Anspielung an den Titel des | |
| Bandes verstanden werden. Denn die Schrift, die Alice Kober untersuchte, | |
| war nicht auf Stein, sondern auf Tontäfelchen geschrieben worden. | |
| Unter dem losen Label seines Titels versammelt der Band eine erstaunliche | |
| textliche Formenvielfalt. Es wirkt fast so, als habe die Autorin sich | |
| selbst eine breit auslegbare Spielanleitung gegeben, die der schreibenden | |
| Kreativität Ankerpunkte für Assoziationen bietet, ohne durch überflüssiges | |
| Regelwerk einzuengen. (Sicher nicht zufällig ist Regina Dürig Dozentin für | |
| kreatives Schreiben.) | |
| Der Weg ist hier das Ziel; es geht um die vielfältigen poetischen | |
| Ausdeutungs- und Ausformungsmöglichkeiten, die sich aus dem Zusammenwirken | |
| der Titelbegriffe ergeben. „Frauen“ und „Steine“ sind als Gegensatzpaar | |
| ebenso gut vorstellbar wie als ineinander verschmelzende Einheit. Der | |
| Assoziationsraum ufert weit und in unterschiedlichen Gestalten aus. | |
| Mit „Asteria, nach ihr selbst“ ist ein Langgedicht in die Mitte des Bandes | |
| platziert. „Um den heißen Brei“ imitiert die Dialogform eines Podcasts. | |
| „Abgeschiedenheit. Übungen“ ist eine poetische Parodie auf Anleitungen zur | |
| Achtsamkeit: Auf jeder Seite stehen nur wenige Zeilen Text – mensch kann | |
| das als Einladung verstehen, den papierenen Weißraum zum „Üben“ zu | |
| verwenden, so zum Beispiel: „Stelle dir vor, dein Körper ist von Fell | |
| umhüllt. Wen würdest du bitten, es zu striegeln?“ | |
| Die Erzählung „Ellipse in der Dämmerung“ umfasst eine sanft surrealistisc… | |
| Rahmenhandlung und eine Binnenerzählung, in der ein Kind, das von seinen | |
| vielbeschäftigten Eltern nie beachtet wird, erst sich selbst und dann die | |
| gesamte Familie in Steine verwandelt. | |
| Und eigentlich ist es kaum zu glauben, dass die Texte in „Katalog der | |
| Frauen“, einer Montage von Beschreibungen lebensgroßer Lovedolls, die von | |
| ihren Besitzern zum Verkauf angeboten werden, von einer realen Website | |
| „annähernd unverändert“ übernommen worden sein sollen, wie die Autorin in | |
| einer Nachbemerkung schreibt. „Ich bin zwar Raucher, aber ich habe aus | |
| Respekt nicht vor ihr geraucht und sie nie mit ungewaschenen Händen | |
| angefasst.“ Oder: „Für 100 € gebe ich noch einen zusätzlichen Kopf dazu… | |
| Wer würde denken, dass so viel absurde Komik in so kläglichen Gelüsten | |
| stecken kann? Bedeutung und Wirkung von Sprache ist eben immer auch eine | |
| Frage der Rahmung. Das und noch viel mehr wäre hier mit viel Stil, Witz und | |
| Sprachgefühl bewiesen worden. | |
| 11 Aug 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Claudel-Hoetger-Ausstellung-in-Bremen/!6061779 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
| ## TAGS | |
| Literatur | |
| Erzählungen | |
| Sprache | |
| Recherche | |
| wochentaz | |
| Autorin | |
| Märchen | |
| Bildhauerei | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Erzählband „Auf dünnem Eis“: Von den Problemen, einen Menschen zu brauchen | |
| Der Autor Peter Stamm nähert sich sonderbaren Figuren auf sachte Weise. In | |
| seinem neuen Erzählband „Der Lauf der Dinge“ bricht er aus diesem Verfahren | |
| aus. | |
| Katharina Hagena über das Schreiben: „Man erreicht Menschen über Schicksale… | |
| Bestsellerautorin ist Katharina Hagena schon, jetzt wird sie außerdem | |
| Naturführerin. Ein Gespräch über Krötentunnel und ihren Blick auf | |
| Literatur. | |
| Kopenhagens „Porno-Meerjungfrau“: Versteinerte Männerfantasien | |
| In Dänemark tobt ein Kulturstreit über die Statue einer Meerjungfrau. | |
| Dieser verrät mehr über den Male Gaze als über die betreffende Statue. | |
| Claudel-Hoetger-Ausstellung in Bremen: Endlich zu zweit allein | |
| In Bremen kommen Bildhauerwerke von Camille Claudel und Bernhard Hoetger | |
| zusammen. Wie 1905 in Paris, bevor sie vergessen wurde und er zum Nazi. |