| # taz.de -- Aufarbeitung der NS-Geschichte: Zu Ehren des Führers | |
| > Das Paula Modersohn-Becker-Museum zeigt im Sommer eine kleine Ausstellung | |
| > zur völkisch-nationalistischen Idee der beliebten Böttcherstraße. | |
| Bild: Der später nicht wieder aufgebaute "Lebensbaum" von Bernhard Hoetger (Au… | |
| Es könnte eine solide Dauerausstellung sein. Also der nötige Gegenpol zur | |
| hübschen Touristenmeile, deren Idee doch immer noch so vielen verborgen | |
| bleibt. Doch die gestern im Paula Modersohn-Becker-Museum (PMBM) eröffnete | |
| Ausstellung „Die Böttcherstraße als Idee“ füllt nur das Sommerloch und w… | |
| im Herbst wieder verschwinden. | |
| Was sie referiert, ist keine neue Erkenntnis, die hier dargestellte | |
| Geschichte der 1922 bis 1931 erbauten Gasse ist schon länger bekannt, neue | |
| Forschungen wurden für diese Schau nicht betrieben. PMBM-Direktor Frank | |
| Laukötter nennt es eine „Kabinettausstellung“ – sie ist, etwas versteckt, | |
| im dritten Stock des Hauses angesiedelt und will anhand der Böttcherstraße | |
| ein „Symptom für das Deutschland der Weimarer Republik“ ausleuchten, wie | |
| Laukötter sagt. | |
| Dazu zeigt sie neben allerlei Texttafeln in erster Linie alte | |
| Schwarz-Fotos, dazu drei Gemälde der Hausmalerin. Inhaltlich konzentriert | |
| sie sich dabei auf das Paula Modersohn-Becker-Haus und das Haus Atlantis | |
| mit seinem 1933 zur Huldigung der Nazis umgebauten Himmelssaal. Zwei | |
| neuralgische Punkte also, beide erbaut vom völkisch-nationalistisch | |
| gesinnten Bildhauer Bernhard Hoetger, im Auftrag von Ludwig Roselius | |
| (1874-1943), jenem Kaufmann, der mit Kaffee HAG und Kaba in Bremen reich | |
| geworden war. Und der schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts angefangen | |
| hatte, Häuser in der damals alten, verfallenen Böttcherstraße aufzukaufen. | |
| Die Gasse, die heute ein wenig wie ein Relikt aus dem Mittelalter | |
| daherkommt, wollte Roselius als Reaktion auf die „Schmach des Versailler | |
| Vertrags“ verstanden wissen, als den „Versuch, deutsch zu denken“. | |
| Bei Hitler fiel die expressionistische Böttcherstraße indes durch, ja, er | |
| lehnte sie „schärfstens“ ab, obwohl ihm hier an der einen und anderen | |
| Stelle eine Huldigung zuteil wurde. Roselius besserte deshalb mehrfach nach | |
| und blieb, auch wenn er bei Hitler an Ansehen und Einfluss verlor, ein | |
| glühender Anhänger des Nationalsozialismus und Förderer der SS. „Nichts | |
| aber kann sich vergleichen mit dem deutschen Kampf des Führers um die | |
| deutsche Seele“ hatte er 1933 geschrieben. Als „entartet“ verfemte | |
| KünstlerInnen wie Modersohn-Becker oder Hoetger förderte er aber trotzdem. | |
| Er ist „wenig zu fassen“, sagt Laukötter über Roselius. | |
| Auch der heute gerne fotografierte goldene „Lichtbringer“ – ein | |
| Hoetger-Relief von 1936 – ist eine Allegorie auf Hitler, ein nachträglicher | |
| eingebauter Versuch, ihm mit der Böttcherstraße zu gefallen, ein Beweis, | |
| „wie sehr ich unseren Führer und seine Taten verehre“, wie Roselius | |
| schrieb. „Das schwarze Korps“, eine Zeitung der SS, fand die Böttcherstra�… | |
| gleichwohl „unzeitgemäß“ und „verschandelt“. | |
| Wie sehr sie eine Verkörperung des nordischen Geistes sein sollte, wird | |
| jedenfalls an einer Stelle heute nicht mehr sichtbar: Der „Lebensbaum“ von | |
| Hoetger wurde beim Wiederaufbau der 1944 weitgehend zerstörten Gasse nicht | |
| wieder rekonstruiert. Sie zeigte inmitten zweier Kreuze eine Erlöserfigur, | |
| die aber nicht Christus, sondern Odin darstellte, denn Roselius | |
| sympathisierte mit der These, dass die Kultur von dem untergegangenen | |
| Atlantis ausging. | |
| Doch auch diese Idee fiel bei Hitler in Ungnade. Die Böttcherstraße wurde | |
| dennoch 1937 als Beispiel der „Verfallskunst“ der Weimarer Zeit unter | |
| Denkmalschutz gestellt. Und dann nochmal, 1973. | |
| ## Bis 6. Oktober | |
| 7 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Zier | |
| ## TAGS | |
| Dokumentarfilm | |
| Adolf Hitler | |
| Ausstellung | |
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