# taz.de -- Sammlung Prinzhorn in Heidelberg: Fluch und Gegenfluch | |
> In Heidelberg gewährt eine Ausstellung Einblick in die Kunst von | |
> „Menschen mit Psychiatrieerfahrung“. Lange bekam diese kaum Beachtung. | |
Bild: Hinterließ ihre Werke der Sammlung Prinzhorn: Cornelia Hartkopf „Abend… | |
Das ungewöhnliche Setting des Museums Sammlung Prinzhorn lässt sich | |
bereits vor dem Betreten allein auf der olfaktorischen Ebene wahrnehmen: | |
Gelegen auf dem Gelände des Alt-Klinikums Heidelberg, befindet sich die | |
Sammlung in einem weiterhin für die Dermatologie genutzten Seitenflügel. | |
Die charakteristischen Düfte eines Krankenhauses, dominiert von | |
Desinfektions- und Reinigungsmitteln, stehen im Flur. | |
Die Sammlung selbst wartet hinter einer dieser unscheinbaren, dennoch | |
typischen Klinik-Glastüren, die den Eingang zum bereits 1890 errichteten | |
Hörsaalgebäude gewährt. Man könnte meinen, dass der Kunst unter diesen | |
Bedingungen, die so gar nichts mit den großen Repräsentationsbauten von | |
Museen gemein haben, weniger Wert beigemessen wird. Doch in Heidelberg | |
scheint eher ein ausgeprägter Stolz darüber zu herrschen, dass die Stadt | |
eine der bedeutendsten Sammlungen für Kunst von Menschen mit | |
Psychiatrieerfahrungen beheimatet. | |
Da fällt auch nicht weiter ins Gewicht, dass die sprachliche Konstruktion | |
„Kunst von Menschen mit Psychiatrieerfahrung“ holprig ist. Auf dem | |
Kunstmarkt macht man es sich leichter, subsumiert die in der Sammlung | |
Prinzhorn präsentierten Künstler*innen meist [1][unter dem Label | |
„Outsider Art“.] Der 1972 durch den englischen Kunsthistoriker Roger | |
Cardinal eingeführte und bis heute populäre Begriff führt all jene | |
Künstler*innen zusammen, die aus unterschiedlichen Gründen zu | |
„Außenseiter“ degradiert werden: Behinderungen oder Beeinträchtigungen, | |
Wohnungslosigkeit, Lernschwierigkeiten und eben psychische Erkrankungen – | |
es ist eine hoch disparate Gruppe, die da zusammengeschmissen wird. | |
Dass man sich in Heidelberg auf die spezifische „Psychiatrieerfahrung“ | |
stützt, hat mit der Genese der Sammlung zu tun. Die wurde bereits um 1900 | |
vom ehemaligen Direktor der Psychiatrie, Emil Kraepelin, ins Leben gerufen | |
und später durch den Assistenzarzt Hans Prinzhorn ausgeweitet. [2][Jener | |
Prinzhorn, der heute der Sammlung seinen Namen leiht,] beschrieb als Erster | |
die von den Patient*innen erstellten Bilder, Stoffstücke und Plastiken | |
aus wissenschaftlicher Perspektive. Er fasste diese Erkenntnisse in dem | |
Buch „Die Bildnerei der Geisteskranken“ zusammen, was zwar kaum Anerkennung | |
bei seinen medizinischen Kolleg*innen fand, dafür umso stärker bei | |
Surrealist*innen, Dadas und anderen Avantgardisten resonierte. | |
## Auch die Nazis interessierten sich für die „Fälle“ | |
In den Folgejahren interessierte man sich immer wieder für die „Fälle“, w… | |
Hans Prinzhorn seine Künstler*innen beschrieb – darunter die Nazis, mit | |
deren faschistischer Ideologie Prinzhorn kurz vor seinem Tod 1933 sogar | |
noch in öffentlichen Schriften sympathisierte. Er muss ihren | |
Vernichtungswillen verkannt haben: Die Nazis hielten die von ihm erforschte | |
Kunst für degeneriert und pervers. Viele der Psychiatrie-Künstler*innen | |
wurden in der [3][„Euthanasie“-Aktion T4 ermordet]. | |
Die Sammlung ist nach 1945 fast in Vergessenheit geraten, die Kunstwerke | |
lagerten lange auf dem Dachboden der Klinik, ehe die Ärztin Inge Jarchow | |
eine wissenschaftliche Aufarbeitung forcierte. Die mündete 2001 in dem | |
heutigen Museum. Seit 2002 wird das Prinzhorn-Museum von dem | |
Kunsthistoriker und Psychologen Thomas Röske geleitet, der in der | |
Zwischenzeit das weltweite Renommee und das enorme Wachstum des Bestands | |
verantwortete. Die Sammlung bietet heute weit mehr als nur Kunst des frühen | |
20. Jahrhunderts, wie eine aktuelle, höchst sehenswerte Schau, aufzeigt: | |
„Neues aus der Sammlung (1835–2024)“. | |
Kuratorin Ingrid von Beyme gewährt einen abwechslungsreichen, obwohl nur | |
kleinen Einblick in das mittlerweile 40.000 Werke umfassende Konvolut. | |
Betritt man den kubischen alten Hörsaal, ist man schon auf Kollisionskurs | |
mit zentral gestellten Wänden, die die ältesten Exponate aus dem frühen 19. | |
Jahrhundert zeigen. Das in Bleistift gefertigte romantische Frauenportrait | |
„Hony soit qui mal y pense“ (1897) einer Blanche Warburg, von der man | |
abgesehen von einer wahnhaften Episode wenig weiß, hängt unweit von den | |
surrealistischen Illusionen des Patienten Josef Reis. Die sind alle vor dem | |
Jahr 1920 entstanden. Nur skizzenhaft führte er mit dem Bleistift seine | |
Pareidolie „Zum Festplatz Weinhalle Festplatz“ (sic!) aus, man meint ein | |
Gesicht aus der Anordnung von Gegenständen zu erkennen. | |
Warum Warburg und Reis diese Blätter hinterließen und warum Ärzt*innen | |
diese aufgehoben haben, kann nicht abschließend geklärt werden. Die Frage | |
nach der künstlerischen Motivation steht ohnehin im Raum: Während die | |
Papierarbeiten aus der Heil- und Pflegeanstalt Gugging in Niederösterreich | |
vor allem nach Aufforderung produziert wurden – der behandelnde Psychiater | |
Leo Navratil hatte bereits 1954 seine Patient*innen DIN-A6-Zettel | |
beschriften und bemalen lassen, um sich „ein Bild“ machen zu können –, s… | |
die karikaturesken Aquatinta-Drucke auf Bütten von Rolf Hausberg deutlich | |
Ausdruck eines (selbst-)bewussten Künstlers. | |
## Zwischen Kunst und Selbsttherapie | |
Einige der Werke in der Ausstellung sind exzellent: Cornelia Hartkopfs | |
Linolschnitt „Ground Zero oder Meine Angst in der Kölner U-Bahn“ zeigt ein | |
symbolistisches Formenarsenal, das um eine zentrale Frauenfigur | |
einstürzende Häuserblöcke platziert und hiermit an den Einsturz des Kölner | |
Stadtarchivs gemahnt. Hartkopf hat ihre Werke selbst der Sammlung Prinzhorn | |
überlassen. | |
Andere – vor allem die historischen – Fundstücke werfen die Frage auf, ob | |
die bekritzelten Schnipsel in einer künstlerischen Motivation entstanden | |
oder doch bloß einen (selbst-)therapeutischen Wert besaßen. Es ist die | |
zentrale Frage der Ausstellung: Sicher sind alle ausgestellten Werke auch | |
Kunstwerke, aber sind sie von Künstler*innen geschaffen worden? | |
„Neues aus der Sammlung (1835–2024). Entdeckungen und Erwerbungen“: | |
Sammlung Prinzhorn, Heidelberg, bis 15. September 2024 | |
15 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kunst-von-Aussenseiterinnen-in-Koeln/!5896579 | |
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[3] /Dunkles-Kapitel-in-Neuruppin/!5984559 | |
## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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