# taz.de -- Avantgarde-Künstler Paul Goesch: 20 Kuratoren und ein Leben | |
> Paul Goesch war eine prägende Gestalt der Avantgarde in Deutschland, 1940 | |
> brachten ihn die Nationalsozialisten um. Eine Ausstellung zeigt seine | |
> Werke. | |
Bild: „Schmiert nur wertlose Sachen auf abgerissene Fetzen Papier“ heißt e… | |
Man könnte es sich leicht machen. Dann nimmt man die expressionistischen | |
Zeichnungen und Gemälde des Künstlers Paul Goesch, hängt sie an diverse | |
Wände, schreibt die Titel der Werke darunter, stellt vielleicht noch seinen | |
Lebenslauf daneben, und fertig ist die Kunstausstellung. Denn Goesch ist | |
bekannt genug, um Publikum anzuziehen, auch in einem etwas abseits | |
gelegenen Museum. | |
Das Stadtmuseum in Brandenburg an der Havel wollte es sich aber nicht | |
einfach machen. Deshalb hängen zwischen den farbintensiven Bildern Goeschs | |
viele kleine Texttafeln, die nicht zur Erklärung der Gemälde dienen. | |
Deshalb gibt es nicht nur ein oder zwei Kuratoren, sondern deren 20, die um | |
das Konzept der Schau rangen. | |
Diese Kunstausstellung ist nicht nur eine Kunstausstellung, und das liegt | |
auch am Lebensweg des Künstlers. Paul Goesch, Maler und Architekt, der vor | |
einhundert Jahren zu einem prägenden Gestalter der Avantgarde in | |
Deutschland wurde, litt schon damals unter psychischen Erkrankungen wie | |
schizophrenen Schüben, die zu unregelmäßigen Einweisungen in Kliniken | |
führten. | |
Die Krankheit berührte selbstverständlich auch sein Werk, und doch würde | |
man diese wohl nicht zu sehr in den Mittelpunkt stellen, wäre er deshalb | |
nicht von den Nationalsozialisten ermordet worden. | |
Die Nazis starteten bekanntlich auf Hitlers Befehl im Herbst 1939 ein | |
Mordprogramm an Menschen, die nicht ihrer Norm vom „Volksgenossen“ | |
entsprachen, und [1][nannten es „Euthanasie“]. Zehntausende Menschen mit | |
Behinderung und Kranke wurden Opfer dieses Programms, auch im Städtchen | |
Brandenburg an der Havel. | |
Im alten Zuchthaus hat man Menschen in der „Tötungsanstalt“ in einer | |
Gaskammer umgebracht. Dort starb auch Paul Goesch am 22. August 1940. Er | |
war mit 22 weiteren Patienten aus einer Klinik in Teupitz nach Brandenburg | |
gebracht worden. Sie alle wurden noch am gleichen Tag ermordet. | |
## Vertuschter „Euthanasie“-Mord | |
Deshalb hängt in der Ausstellung ein maschinenschriftliches Schreiben. Dort | |
steht eine große Lüge: „Antwortlich Ihres Schreibens teilen wir Ihnen mit, | |
dass der Regierungsbaumeister a. D. Paul Goesch, geb. 30.8.1885 in | |
Schwerin, Mecklg. auf ministerielle Anordnung gemäss Weisung des | |
Reichsverteidigungskommissars aus mit der Reichsverteidigung in | |
Zusammenhang stehenden Gründen hierher verlegt wurde, jedoch am 5.9.1940 | |
unerwartet infolge einer Lungenentzündung gestorben ist.“ | |
In den Räumen des Stadtmuseums hängt eine Zeichnung Goeschs, die der | |
Ausstellung ihren Namen gab. Darauf zu sehen ist im Mittelpunkt ein Mann | |
mit Hut. Um ihn herum sind Dutzende Litfaßsäulen und Reklametafeln | |
angedeutet. Auf allen steht „Goesch“. „Ich werde berühmt“ heißt die | |
Zeichnung, und wir wissen nicht, ob dies ernst oder heiter gemeint sein | |
sollte. | |
Verbunden ist Goeschs Zitat von der Berühmtheit mit einem Selbstporträt des | |
Malers, wo er, ausgestattet mit rotem Haupthaar und Nickelbrille, den | |
Besucher anschaut. Wie bei vielen der Gemälde Goeschs strahlen auf dem Bild | |
die Farben. Da sind Häuser in bunter Vielfalt zu sehen, Menschen und immer | |
wieder Marienbildnisse. Eine von 20 ehrenamtlichen Mit-Kuratoren der | |
Ausstellung ist Jutta Melber. Die Rentnerin ist sich sicher: „Goesch wollte | |
als Künstler berühmt werden. Nicht als Patient und nicht als Opfer.“ | |
„Ausstellungsmacher:innen gesucht!“ hatte Melber im Internet gelesen und | |
sich gemeldet. Die Initiatoren um den pädagogischen Mitarbeiter der Schau, | |
Maximilian Vogel, wollten Menschen in die Vorbereitung miteinbeziehen, für | |
die Museen nicht zum selbstverständlichen Alltag gehörten. Dazu zählten | |
auch Menschen mit Behinderung, von denen einige als Guides in dem zur | |
Gedenkstätte Opfer der Euthanasie-Morde umgewandelten ehemaligen Zuchthaus | |
von Brandenburg arbeiten. | |
## Er malte auch in der Klinik weiter | |
Die 20 Ehrenamtlichen fungieren in der Goesch-Ausstellung nicht nur als | |
Staffage. „Dieser großartige Maler, der in der,Euthanasie'-Tötungsanstalt | |
Brandenburg ermordet wurde, darf nicht vergessen werden“, schreibt etwa | |
eine von ihnen auf einer Tafel. | |
„Interessant und faszinierend“ findet ein anderer, dass Goesch auch in den | |
Kliniken, in die er eingewiesen wurde, weitermalte: Karikaturen, | |
[2][abstrakte Ansichten von Gebäuden]. „Schmiert nur wertlose Sachen auf | |
abgerissene Fetzen Papier“, heißt es 1928 in Goeschs Krankenakte. Die | |
Kommentare der Brandenburger Mitarbeiter ziehen sich durch die Schau, Paul | |
Goeschs Kunst bleibt trotz all der Anmerkungen immer im Mittelpunkt. | |
Dass Kunst politisch ist, wusste man schon vorher. Wie man aber | |
Kunstausstellungen einen politischen Rahmen gibt, das führen die | |
Museumsmacher in Brandenburg vor. Es ist nicht nur die ungewöhnliche Zahl | |
der ehrenamtlichen Mitarbeiter, die diese Schau anders als üblich macht, es | |
sind auch die Träger der Ausstellung, darunter die Gedenkstätte für die | |
Opfer der Euthanasie-Morde und die Stiftung Erinnerung Verantwortung | |
Zukunft. | |
Dass die Schau überhaupt und ausgerechnet in Brandenburg an der Havel | |
stattfindet, ist schon ein Statement. Paul Goeschs Leben ist mit der Stadt | |
nicht verbunden. Einzig sein Tod. | |
2 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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