# taz.de -- Der Niedersachsenstein in Worpswede: Kolossal bröckelig | |
> Mit dem Niedersachsenstein wollte Bernhard Hoetger das völkische | |
> Wiedererwachen Deutschlands 1922 herbeimauern. Für die Sanierung fehlt | |
> noch Geld. | |
Bild: Lässt sich nicht pazifistisch umdeuten: der Niedersachsenstein in Worpsw… | |
Zutritt verboten – der Aussichtsbalkon des maroden Niedersachsensteins im | |
pittoresken Künstlerdorf Worpswede ist mit Sperrgittern verbarrikadiert. | |
Der Zahn der Zeit nagt hartnäckig an dem 1922 eingeweihten, auf dem | |
Weyerberg im Teufelsmoor thronenden Ziegelkoloss mit der seltsamen | |
Vogelform. Steinbrocken platzen ab, Risse zeigen sich im roten Mauerwerk. | |
Die letzte Sanierung liegt keine 25 Jahre zurück. | |
Vorbei die Zeit, in der sich die Dorfjugendlichen auf dem Balkon des | |
wuchtigen expressionistischen Kriegerdenkmals von Bildhauer Bernhard | |
Hoetger bei Kippen, Kaltgetränken und Graffiti vergnügen konnten. Ein | |
schönes Plätzchen am Westhang ist das, mit Blick der Abendsonne entgegen – | |
so wie die polymorphe Steinvogel-Skulptur, die ihre mächtigen Schwingen um | |
die 15 Meter darüber ausbreitet. | |
„In die Ferne wirken“, „sich zur Sonne erheben“, der „Gestaltung eines | |
Gefühls“ Ausdruck geben, hat das spätere NSDAP-Mitglied Hoetger das damals | |
genannt, geprägt von esoterisch-nordischer Gesinnung. Wobei letztere wohl | |
weniger im Sinne des Rassenterrors der Nazis zu verstehen war, sondern | |
einer nordeuropäisch-gotischen Mystik und einem leidenschaftlichen | |
Heimatgefühl entstammte. | |
Ursprünglich hätte vor über 100 Jahren auf dem Weyerberg nach den Plänen | |
des Worpsweder Verschönerungs- und Kriegervereins Otto von Bismarck auf den | |
Sockel gehoben werden sollen. Dann zog Deutschland mit nationalem Getöse in | |
den Krieg und man wollte lieber ein „Siegesmal im Heldenhain“ errichten. | |
## Jüngling wird Phoenix | |
Au[1][f Empfehlung des örtlichen Malers Fritz Mackensen], ebenfalls | |
strammer Patriot, [2][bekam Bernhard Hoetger den Auftrag]. Sein erster | |
Entwurf war ein drei Meter großer Jüngling, der mit übergroßen Flügeln dem | |
Licht der Sonne entgegenstrebte. | |
Mit dem weiteren Verlauf des 1. Weltkrieges verdunkelte sich allerdings die | |
Sonne im Rauch der Kanonen und in [3][Worpswede] entschied man sich, ganz | |
nach preußischer Tradition, statt des Siegesmals für „ein nordisches | |
Zeichen für die gefallenen Krieger“, wie es Hoetger erklärte. | |
Aus dem Jüngling wurde die immer höher wachsende und schon damals | |
umstrittene Phoenix-Figur. Der Vers aus dem Johannes-Evangelium auf der | |
Ostseite des Denkmals „Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein | |
Leben lässet für seine Freunde“ stellt die Verbindung zu den 172 | |
Gedenksteinen für Gefallene zu Füßen der Bauskulptur her, glorifiziert aber | |
auch den Opfertod. | |
Für Hoetger-Experte Arie Hartog, Direktor des [4][Bremer Gerhard Marcks | |
Hauses], bekommen die toten Soldaten nur „Sinn im Zusammenhang mit der | |
Zukunft Deutschlands. Das ist der Phoenix, Deutschland wird wieder | |
erwachen“. Was es dann ja auch tat. | |
## Nicht pazifistisch lesbar | |
Die in den 80er Jahren aufgekommene pazifistische Umdeutung des | |
Niedersachsensteins angesichts der Grauen des 1. Weltkrieges hält der | |
Niederländer Hartog für eine Mär. Verfallen lassen würde er das Denkmal | |
trotzdem nicht. „Es zeigt, wie widersprüchlich und kompliziert die deutsche | |
Geschichte ist.“ | |
Die auf den Bannern an den Sperrgittern beschriebene Hoffnung einer | |
abgeschlossenen Sanierung des Niedersachsensteins in 2024, pünktlich also | |
zum 150. Geburtsjahr seines Schöpfers Hoetger, dürfte unrealistisch sein. | |
Die Anträge für Gelder aus öffentlichen und privaten Quellen in Höhe von | |
500.000 Euro sind nach aktuellem Stand noch offen. | |
7 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Fotografieausstellung-im-Focke-Museum/!5892030 | |
[2] /Colani-der-Desruptive/!5837962 | |
[3] /Youtube-Esoteriker-Jo-Conrad/!5905246 | |
[4] https://marcks.de/de/startseite/ | |
## AUTOREN | |
York Schaefer | |
## TAGS | |
Denkmal | |
Deutsche Geschichte | |
Worpswede | |
Schwerpunkt Erster Weltkrieg | |
Worpswede | |
Dokumentarfilm | |
Deutsche Geschichte | |
Denkmal | |
Opfer rechter Gewalt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
150 Jahre Künstler Bernhard Hoetger: Es war nicht alles schlecht | |
Bernhard Hoetger ließ sich erst sozialistisch, dann nationalsozialistisch | |
leiten. Worpswedes Museen beleuchten die Widersprüche seines Schaffens. | |
Film über den Künstler Bernhard Hoetger: Völkisch und trotzdem „entartet“ | |
Das Doku-Drama „Bernhard Hoetger – Zwischen den Welten“ erzählt vom | |
vergeblichen Versuch des Worpsweder Expressionisten, sich den Nazis | |
anzudienen. | |
Marine-Ehrenmal in Laboe: Ausblicksturm und Grusel-Keller | |
Zur Würdigung der deutschen Marine wurde 1936 ein Turm an der Kieler Förde | |
errichtet. Inzwischen erinnert die Ausstellung nicht mehr nur an Siege. | |
Besonderes Kriegerdenkmal in Hamburg: Tod statt Triumph | |
An der Fontenay in Hamburg steht ein einzigartiges Kriegerdenkmal: Es | |
feiert nichts Heroisches, sondern zeigt die Drastik des Sterbens. | |
Gedenkpavillon in Bremen: Das mahnende Trafohäuschen | |
An die Opfer rechter Gewalt erinnert in Bremen ein umgestalteter Zweckbau. | |
Pietätlos? Von wegen: Dieses Mahnmal ist zukunftsweisend. |