| # taz.de -- Marine-Ehrenmal in Laboe: Ausblicksturm und Grusel-Keller | |
| > Zur Würdigung der deutschen Marine wurde 1936 ein Turm an der Kieler | |
| > Förde errichtet. Inzwischen erinnert die Ausstellung nicht mehr nur an | |
| > Siege. | |
| Bild: Weithin sichtbar: Wer vom Ehrenmal spricht, meint meist seinen Turm | |
| Laboe taz | Es macht einen Unterschied, ob man das „Marine-Ehrenmal“ bei | |
| Laboe, am Ende der Kieler Förde, kennt. Oder das erste Mal davorsteht. Ist | |
| man bewandert, ein wenig, in der Geschichte, auch Ideologie-Geschichte der | |
| deutschen Marine – oder ist das Neuland? | |
| In jedem Fall aber nimmt man das Schiff, nicht den Bus, es wäre die Linie | |
| 102 vom Kieler ZOB. Denn die gut einstündige Fahrt vom Fähranleger, auch | |
| nur ein paar Schritte vom Kieler Hauptbahnhof weg, ist klassisch | |
| entschleunigend und einfach schön. Steht man an Deck, sieht man bald | |
| steuerbordseits in Richtung des offenen Meeres an Land diesen | |
| backsteinroten Turm aufragen. | |
| In seiner Form soll er eine Flamme symbolisieren, das war der Gedanke, als | |
| in den späten 1920er-Jahren in [1][Marine]-Kreisen damit begonnen wurde, | |
| Geld für seinen Bau zu sammeln. Eingeweiht wurde die Anlage dann am 30. Mai | |
| 1936, zum Jahrestag der verlorenen Skagerrak-Schlacht zwanzig Jahre zuvor – | |
| und an Deck der Fähre stehend, ahnt man: Den Krieg wird man jetzt erst mal | |
| nicht mehr los. | |
| Der gut 85 Meter hohe Turm mit Aussichtsplattform ist das eine zentrale | |
| Element der Anlage, die tatsächlich bis heute „Ehrenmal“ im Namen trägt. | |
| Was die Frage aufwirft nach der Ehre: Um wessen Ehre geht es, wer setzt da | |
| warum welche Maßstäbe – und was ist das überhaupt: Ehre? | |
| ## Neuer Schwerpunkt | |
| Gestalterisch-bauliches Element Nummer zwei ist die flache | |
| Ausstellungshalle. Darin kann anhand von Schiffsmodellen, mehr aber noch | |
| mittels Texttafeln die Geschichte der deutschen Marine nachverfolgt werden. | |
| Und dann gibt es noch, drittens, die sogenannte Gedenkhalle, lange Zeit | |
| offensiv „Weihehalle“ genannt. Die heben wir uns für den Schluss auf. | |
| Träger der Anlage, die Mahnmal, Trauerort, auch Begegnungs- und | |
| Gedenkstätte sowie – aber das sagen heute ja alle – „Lernort“ sein wil… | |
| ist der [2][Deutsche Marinebund; eine Mischung aus Traditions- und | |
| Lobbyverein]. Laboe ist gewissermaßen das Ausstellungsstück mit Blick | |
| zurück, das dem Marinebund 1954 die Alliierten überreichten – die zuvor | |
| durchaus erwogen hatten, das Ehrenmal zu sprengen. | |
| Es war hier auch mal richtig schlimm. Noch in den 1990er-Jahren fand man | |
| zwischen aufgebockten Torpedos wandfüllende Seekarten ausgestellt, auf | |
| denen mit unverhohlenem Stolz verzeichnet war, wo man welches Schiff | |
| versenkt hatte, gegnerische Kriegsschiffe wie auch zivile Handelsschiffe. | |
| Da war auch nachzuverfolgen, welches reichsdeutsche U-Boot bis in welchen | |
| fernen Winkel der Erde vorgedrungen war, und überhaupt war da noch die | |
| unübersehbare Botschaft: Mag auch Deutschlands Marine den Ersten wie auch | |
| den Zweiten Weltkrieg verloren haben, so blieb man doch stets unbesiegt im | |
| Geiste; daran sei festzuhalten. Darauf könne man stolz sein. Und mit diesen | |
| Nazis, also, nein – mit denen hatte man nun wirklich nichts zu tun. | |
| Dieser Muff wurde in den vergangenen Jahren hinweggefegt, Verdienst auch | |
| des Marinehistorikers Jann M. Witt, angestellt beim Marinebund. Die | |
| Organisation beruft sich heute auf die Idee einer demokratisch intendierten | |
| Marine von 1848. Heute wird in Laboe auch erwähnt, dass die [3][Kaiserliche | |
| Marine die Eroberung und dann Ausbeutung der Kolonien absicherte]. | |
| Es wird nicht mehr verschwiegen, dass es Marinesoldaten waren, die an der | |
| Grenze zu Dänemark die jüdischen Häftlinge des Außenlagers Ladelund | |
| bewachten und drangsalierten. Und dass auch die angeblich so sauber | |
| gebliebene Marine Zwangsarbeiter ausbeutete, etwa beim Bau von | |
| U-Boot-Bunkern. Ausdrücklich erinnert man auch an einen wie Oskar Kusch: | |
| U-Boot-Kommandant, wegen kritischer Äußerungen über die NS-Führung | |
| verhaftet und im Mai 1944 hingerichtet, drüben in Kiel-Holtenau, sozusagen | |
| von den eigenen Leuten. | |
| Doch zugleich trifft man immer wieder auf eine rätselhafte Unschärfe, bei | |
| der man nicht recht weiß: schlichtes Ungeschick oder unterströmend doch | |
| eher Geschichtsvergessenheit, ja: -leugnung? | |
| „Die Schüsse des Linienschiffes SCHLESWIG HOLSTEIN auf die polnischen | |
| Stellungen auf der Westerplatte bei Danzig eröffnen am 1. September 1939 | |
| den Zweiten Weltkrieg“ ist da ein Fotodokument betextet. „Auch die | |
| Kriegsmarine verstrickt sich in die NS-Verbrechen“ ist zu lesen – als wären | |
| damals der Admiralität unglücklicherweise ein paar Maschen von der Nadel | |
| gefallen. | |
| Es geht hier nicht um Wortklauberei, sondern um eine anhaltende Weigerung, | |
| das NS-Regime als ein komplexes politisches, wirtschaftliches wie | |
| militärisches System zu begreifen: „Hitler und die NS-Führung haben | |
| endgültig jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren“ wird offenbar | |
| kopfschüttelnd auf einer Tafel kommentiert, dass auch die Marine bis | |
| zuletzt in aussichtslose Kämpfe geschickt wurde; was ja vielmehr im Konzept | |
| eines totalen Eroberungs- und Vernichtungskrieges von Anfang an angelegt | |
| war. | |
| ## Pauschales Gedenken | |
| Gewiss: Für die Bauten selbst, das steinerne Gelände, den schlicht | |
| martialischen Charakter der Anlage, dessen man sich während des Besuchs | |
| erwehren muss und der aufs Gemüt schlägt, kann der Marinebund nichts. | |
| Wobei: Er könnte etwas machen. Mehr Licht zum Beispiel, was die | |
| unterirdisch angelegte Gedenkhalle betrifft. Ja, für die muss man unter die | |
| Erde, es wird düster und noch etwas schauriger. | |
| Pauschal soll darin aller „auf See Gebliebenen“ gedacht werden; über dem | |
| Eingang allerdings ist bis heute unkommentiert die barsche Zeile „ENTBLÖSSE | |
| DEIN HAUPT UND SCHWEIGE“ zu lesen. Und im Inneren dann eine fatale Mischung | |
| aus wuchtigen Kränzen der Marine-Kameradschaften und persönlichen | |
| Abschiedsbriefen, aus individueller Trauer und kollektiv vereinnahmtem | |
| Totengedenken, aus Tod und aus Trotz. | |
| Sicher ließe sich der einst als Aufmarschplatz konzipierten Freifläche | |
| zwischen den einzelnen Gebäuden zu Leibe rücken. Die aktuelle | |
| Gedenkstätten-Architektur hätte da bestimmt temporär ausgerichtete | |
| Vorschläge und Angebote, würde sich der Marinebund dafür interessieren. Und | |
| das sollte es ihn, nur so als Tipp. | |
| Schaut man zurück, wie sich das Marine-Ehrenmal in den vergangenen 20 | |
| Jahren sehr langsam, aber doch gewandelt hat, gibt das Grund für | |
| vorsichtigen Optimismus, das da noch manches in Richtung Kontextualisierung | |
| passieren könnte. | |
| So [4][wie auch der Ort Laboe selbst sich mittlerweile als Ferienörtchen | |
| anbietet], auf dass man gerne noch die eine und andere Stunde im Sand am | |
| Strand herumlümmelt, während man einst nur schnell wieder weg wollte. Unten | |
| an der Promenade im „Strandkiosk“ wird heute Aperol Spritz angeboten, | |
| stehen Veggie-Burger auf der Karte. Früher wurden hier Reichskriegsflaggen | |
| verhökert, und man traf auf Leute, die so was kauften. | |
| 24 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /175-Jahre-Marine-und-Thyssenkrupp/!5937575 | |
| [2] https://deutscher-marinebund.de/ | |
| [3] /Wilhelmshavens-Last-der-Vergangenheit/!5844372 | |
| [4] /Streit-um-Schwimmbad-in-Laboe/!5918427 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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