# taz.de -- Dänisch-deutsches Projekt „Hope & Despair“: Gemeinsames Gedenk… | |
> Das dänisch-deutsche Projekt „Hope & Despair“ versucht, das Gedenken an | |
> die NS-Zeit und an den Zweiten Weltkrieg grenzüberschreitend zu | |
> gestalten. | |
Bild: Direkt an der Grenze: das frühere NS-Internierungslagers Frøslev, fotog… | |
OSNABRÜCK taz | Der 9. April 1940 ist für viele Dänen noch immer ein | |
Trauma, vor allem in Jütland. An diesem Tag überschritt das Deutsche Reich | |
die Landgrenze des neutralen Dänemark, dem Nichtangriffspakt zum Trotz, und | |
stieß nach Norden vor. Die dänische Gegenwehr erlosch nach wenigen Stunden. | |
Die Zeit der Okkupation begann. | |
Das deutsch-dänische Grenzgebiet ist bis heute gezeichnet von dieser | |
dunklen Zeit. Ihre Narben liegen offen vor Augen. Aber um sie zu verstehen, | |
braucht es konzertierte Wegbegleitung. Und hier gibt es Defizite, | |
ungenutzte Potenziale. | |
Wer bei Padborg nach Dänemark einreist und auf der E 45 nach Norden fährt, | |
kommt nach wenigen Kilometern an den Baracken des früheren | |
Internierungslagers Frøslev vorbei. Links der Autobahn liegt es in einem | |
Waldstück. Seine MG-Wachtürme und Stacheldrahtzäune haben Tausenden Dänen | |
die Freiheit genommen. Während des Krieges herrschten hier SS und | |
Sicherheitspolizei, in den Jahren nach 1945 saßen dänische | |
Besatzungskollaborateure ein. Heute ist die Anlage Teil des Dänischen | |
Nationalmuseums. | |
Auch die [1][Bunker] des Atlantikwalls sind vielen ein Begriff. Wer je an | |
der [2][jütländischen Westküste] Strandurlaub gemacht hat, kennt diese | |
verwitterten Betonbauten. | |
Vieles Kleine dagegen, ebenso sprechend, wird oft übersehen. Der Grabstein | |
an der Christianskirche im süddänischen Sønderborg zum Beispiel. Hier | |
liegen sieben der elf Besatzungsmitglieder des deutschen Minensuchboots M | |
612, in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1945 wegen „militärischen Aufruhrs“ | |
von der deutschen Kriegsmarine abgeurteilt und erschossen. Die Leichen | |
wurden mit Torpedoteilen beschwert und versenkt, sieben von ihnen trieben | |
an den Strand. | |
Bisher wird die Geschichte dieser deutsch-dänischen Konfliktlandschaft eher | |
national erzählt, fragmentarisch. Das [3][Forschungs- und | |
Entwicklungsprojekt „Hope & Despair“], Anfang Mai 2023 gestartet, tritt an, | |
die Erinnerungskultur zur NS-Zeit und zum Zweiten Weltkrieg | |
grenzüberschreitend zu bündeln. | |
Initiatorin und Leiterin des auf drei Jahre ausgelegten Projekts ist die | |
Designskole (dt.: Designschule) Kolding aus dem dänischen Jütland. Es sei | |
„sehr sinnvoll, die Geschichten miteinander zu verknüpfen und | |
standortübergreifend zu kommunizieren“, sagt Professor Sune Gudiksen. Bei | |
seinem Team laufen alle Fäden von „Hope & Despair“ zusammen. | |
Die Liste der Kooperationspartner ist lang, namhaft und transdisziplinär. | |
Auf dänischer Seite reicht sie vom Museum Kolding, an dessen Standort | |
Staldgården eine Folterverhör-Zelle aus der Zeit zu sehen ist, in der die | |
Gestapo in Dänemark Widerständler jagte, bis zum Museum Billund und seiner | |
umfangreichen Sammlung zur Besatzungszeit, von Tourismusorganisationen wie | |
Destination Sønderjylland bis zu Bildungseinrichtungen wie UC SYD. | |
Auf deutscher Seite reicht sie von der Fachhochschule (FH) Kiel und der | |
Europa-Universität Flensburg (EUF) bis zum Jüdischen Museum Rendsburg, der | |
Tourismus Agentur Flensburger Förde und der Hamburger [4][KZ-Gedenkstätte | |
Neuengamme], in deren Außenlagern Husum-Schwesing und Ladelund Häftlinge | |
beim Bau der Panzergräben des Nordsee-„Friesenwalls“ zu Tode kamen. | |
Hedwig Wagner, Professorin für Europäische Medienwissenschaft am Institut | |
für Germanistik der EUF, befasst sich in „Hope & Despair“ mit der Frage, | |
„ob transkulturelles Erinnern auf lokaler Ebene möglich ist“, sagt sie der | |
taz. „Wie kritisch stellt man sich der eigenen Vergangenheit, wie | |
selbstreflexiv?“ Wagner ist überzeugt: Dänemark und Deutschland könnten | |
durch diese „gemeinsame Erzählung“ stärker zusammenwachsen. | |
Aber so weit ist es noch nicht. Das erste gemeinsame Meeting war Mitte | |
Juni. Jetzt beginnt die Phase des gegenseitigen Kennenlernens. Wo liegen | |
Differenzen? Welche Informationen werden bereits jetzt an Besuchende | |
vermittelt, und auf welchem Wege? Welche Orte besitzen sie noch, die Kraft | |
der Authentizität? „Das ist Freude und Herausforderung zugleich“, sagt | |
Wagner. „Es ist hoch spannend, das alles zu erkunden, sich gemeinsam auf | |
den Weg zu machen.“ | |
Die Zielgruppen sind so breit gefächert wie die Expertisen und Interessen | |
der Projektbeteiligten. Das macht das Ganze höchst komplex. 1,3 Millionen | |
Euro aus dem EU-Proramm Interreg 6A Deutschland-Danmark stehen dafür zur | |
Verfügung. Gelder, die auch auf touristische Breitenwirksamkeit zielen. Ein | |
Spagat zwischen Geschichtsforschung, Pädagogik und Reiseverkehr, der | |
Training und Vorsicht erfordert, wenn er nicht schmerzhaft werden soll. | |
Aber Wagner ist guten Mutes. „Auch andere Projekte könnten daraus | |
entstehen“, überlegt sie. „Zu anderen Zeitschichten, etwa zum Thema Kalter | |
Krieg.“ | |
Wenn „Hope & Despair“ fertig ist, transnational und multisperspektivisch, | |
motiviert das Projekt zum grenzüberschreitenden Reisen, für Deutsche und | |
Dänen entlang einer gemeinsamen Vergangenheit. | |
„Es gilt, zwischen Orten Verbindungen zu schaffen, eine Narration zu finden | |
und zu etablieren“, sagt Medienwissenschaftler Eckard Pabst, FH Kiel. Er | |
arbeitet an Storytelling-Konzepten. „Es geht darum, Brücken zu schlagen, | |
niedrigschwellig, medial, und das nicht linear zu denken, sondern als | |
Netzwerk.“ Derzeit, sagt er, „liegen dazu viele Ideen auf vielen Tischen“. | |
Das Ziel sei das „Auslegen von Spuren“. | |
## Lehren für Gegenwart und Zukunft | |
Eines dieser Medien könnte das Smartphone sein, über das sich per App vor | |
Ort VR aufrufen lässt. Man dürfe dabei aber „nicht in Richtung Hollywood | |
gehen“, sagt Pabst. Das brauche Takt, Respekt. Auch bei Reenactments gelte | |
es, vorsichtig zu sein. | |
„Hope & Despair“ wird kein reiner Blick in die Vergangenheit sein. Teil des | |
Konzepts sind die Lehren für Gegenwart und Zukunft, die sich aus der | |
NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg ziehen lassen. Neue erinnerungskulturelle | |
Wege sind hier zu beschreiten, denn die Zahl der Zeitzeugen nimmt ab. | |
Schulen wie Einzelreisende werden in den Blick genommen, Tourguides | |
ausgebildet, innovative Kommunikationstechniken erprobt, das Marketing | |
findet Berücksichtigung, die Hotel- und Restaurantbranche. Ein Projekt, das | |
Neuland betritt, indem es historische Verbindungslinien zieht. Eine | |
Titanenaufgabe. | |
Keine Sorge übrigens: Gestrig-Braune oder Neo-Rechte werden an „Hope & | |
Despair“ keine Freude haben. Klar, NS-Junkies bieten sich im Grenzgebiet | |
viele Ziele. Flensburg etwa, die Sportschule nahe der Marineschule Mürwik, | |
der Standort der Dönitz-Reichsregierung der letzten Kriegstage 1945. Aber | |
der Ansatz des Interreg-Projekts ist klar: „Wir wollen keinen [5][dark | |
tourism]“, sagt Wagner. „Wir wollen auch nicht, dass es hier nur um die | |
Faszination am Militärischen geht.“ | |
25 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Publikation-ReBunker/!5571063 | |
[2] /Archiv-Suche/!5454118&s=d%C3%A4nemark+k%C3%BCste+bunker&SuchRahmen… | |
[3] https://nachrichten.idw-online.de/2023/05/03/hope-despair-hoffnung-und-verz… | |
[4] /Neuengamme/!t5009762 | |
[5] /Gedenkstaettenleiter-ueber-rechte-Besucher/!5588946 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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