# taz.de -- Denkort Bunker „Valentin“: Ein Bauwerk, das Menschen frisst | |
> Die Wahrnehmungs-Geschichte des Bunkers „Valentin“ ist ein Slalom | |
> zwischen Stolz und Scham. Nun hat Bremen im Ringen um einen angemessenen | |
> Umgang endlich die letzte Kurve genommen | |
Bild: Viel Platz zum Erinnern: Im Inneren des Bunkers Valentin herrscht so gro�… | |
BREMEN taz | „Ich wäre sehr gerne bei Ihnen“, sagt der alte Mann mit den | |
freundlichen Augen. Aber er ist in Sidney, Australien, maximal entfernt von | |
Bremen. Marian Hawling, 90 Jahre alt, schafft die Reise nach Bremen zum | |
U-Boot-Bunker Valentin nicht mehr – in dem morgen, endlich, eine | |
Gedenkstätte eröffnet wird. | |
Hawling war einer der bis zu 12.000 Zwangsarbeiter, die in den eigens für | |
den Bunkerbau eingerichteten Lagern härtesten Bedingungen ausgesetzt waren. | |
Schätzungen zufolge starb die Hälfte von ihnen während der zweijährigen | |
Bauzeit. | |
Bei seiner Befreiung war der gebürtige Pole Marian Hawling, der beim | |
Schleusen von verfolgten Landsleuten nach Spanien aufgeflogen und verhaftet | |
worden war, 20 Jahre alt. Ganze 70 Jahre hat es gedauert, bis aus dem | |
Leidensort Valentin ein „Denkort“ wurde, wie die Bremer Landeszentrale für | |
politische Bildung den Bunker nun nennt. Lange war das Bauwerk, obwohl es | |
mit einer Länge von 419 Metern der größte Hochbunker Deutschlands ist, | |
weitgehend vergessen. Und wenn nicht, dann überwog der Blick auf seine | |
technische Dimensionen. | |
Von Albert Speer als bombensichere Werft geplant, sollte der Bunker die | |
Reichsmarine ab Ende 1944 in die Lage versetzen, alle 56 Stunden ein neues | |
U-Boot des Typs XXI in den verlorenen Krieg zu schicken: die | |
Wasser-Variante in Hitlers Wunderwaffen-Arsenal. „Valentin“ war ein | |
Deckname: Das „V“ stand für Vegesack, die damals nächstgelegene Stadt. | |
Militärisch war das Projekt von Anfang an völlig chancenlos. Die Alliierten | |
waren über jeden Baufortschritt genauestens im Bilde – und warteten mit dem | |
Bombardement bis kurz vor der Fertigstellung der Anlage. Das Kalkül | |
dahinter: Die Baustelle band ungeheure Mengen an Material und menschlicher | |
Arbeitskraft, die das NS-Regime folglich nicht andernorts einsetzen konnte. | |
Die täglichen Todesopfer auf der Baustelle und in den Lagern waren kein | |
Grund, früher einzugreifen. Erst im März 1945 beendete ein Bombenangriff | |
das mörderische Projekt. | |
Aber was kam dann? „Evakuierung“ genannte Todesmärsche für die | |
Arbeitssklaven, oftmals zurück ins KZ Neuengamme und von dort auf die in | |
der Lübecker Bucht liegende „Cap Arcona“, die dann versehentlich von den | |
Alliierten bombardiert wurde. | |
Marian Hawling gehörte zu den wenigen Überlebenden. „Wir alle hatten | |
jahrelang in den Konzentrationslagern um unser Leben gekämpft, unter | |
ständigen Schlägen, dauerndem Hunger, Demütigung und Erschöpfung“, sagt er | |
im Hinblick auf die Tausenden seiner Mitgefangenen, die kurz vor der | |
Befreiung verbrannten oder ertranken. Viele wurden auch, im Wasser | |
schwimmend, von den in Rettungsbooten sitzenden Wachmannschaften | |
erschossen. | |
## Karriere alsPostkarten-Motiv | |
Das Verhältnis der Nachkriegs-Bremer zum „Valentin“ oszilliert zwischen den | |
Polen Stolz und Scham. Stolz? Reichlich! Da war zunächst der Stolz des | |
Bunker-Bauleiters Arnold Agatz, der gleichzeitig Bremens Hafendirektor war, | |
noch 1970 als Sonderbeauftragter des Senats für die Errichtung des | |
Container-Terminals Bremerhaven fungierte und vehement Einspruch erhob | |
gegen die zunächst geplante Sprengung seines Werkes. Die verbot sich | |
allerdings schon wegen der zu befürchtenden Nebenwirkungen: Die | |
zusammenstürzenden Betonmassen, warnten Experten, würden in der Umgebung | |
als Erdbeben spürbar werden – wovon dann auch das Kraftwerk Farge betroffen | |
wäre. | |
Bausenator Emil Theil, selbst ehemaliger KZ-Häftling, wollte den Bunker | |
stattdessen unter Trümmerschutt und Erde begraben – scheiterte aber | |
ebenfalls an den schieren Dimensionen des Gebäudes: 800.000 Kubikmeter | |
Material hätte man für die Errichtung dieses „Bunkerbergs“ gebraucht. | |
Zudem gewann der Stolz schon wieder die Oberhand: Der Valentin wurde in den | |
50er-Jahren Postkarten-Motiv, die heimische Presse adelte ihn zum „Achten | |
Weltwunder an der Weser“ und geizte auch nicht mit groß dimensionierten | |
Verwendungsvorschlägen: Atomreaktor etwa, oder wenigstens Mega-Kühlhaus. | |
Auch als Depot für US-Atomwaffen war der Bunker im Gespräch. Schließlich – | |
1966 – langte es dann doch nur zum Materiallager für die Bundesmarine. Dass | |
kurz zuvor noch die Leiche eines Zwangsarbeiters im Bunkerfundament | |
gefunden wurde, nahm man achselzuckend zur Kenntnis. | |
Für die Kinder aus Farge und Rekum, Bremens nördlichsten Ortsteilen, war | |
der Bunker ein spannender Abenteuerspielplatz. An der Weserseite wurde | |
campiert, geangelt und gebadet, die Mutigsten kletterten zwischendurch bis | |
auf das stellenweise 33 Meter hohe Dach hinauf – was ziemlich gefährlich | |
war: Die britische Luftwaffe hatte es geschafft, zwei große Löcher in das | |
sieben Meter dicke Dach zu bomben. | |
Der Bunker verschwand dann doch noch von der Landkarte – auch ohne | |
„Verhügelung“. Die Bundeswehr bestand aus Gründen militärischer | |
Geheimhaltung auf Karten-Retuschen, auch Luftaufnahmen fälschte sie | |
entsprechend. Für zwei Jahrzehnte wurde der Valentin zum doppelt blinden | |
Fleck: kartografisch und historisch. | |
Es ist das Verdienst eines Bremer Verwaltungsbeamten, dass die monströse | |
Geschichte des Bunkers langsam wieder ins Bewusstsein kam: Rainer Habel, | |
als Sohn eine Marineoffiziers biografisch involviert, stieß auf Unterlagen | |
über Massengräber in der Farger Heide, recherchierte auf eigene Faust und | |
vermittelte das Material schließlich an einen Journalisten: Die 1981 | |
gesendete Rundfunk-Reportage „Niemand verlässt lebend das Lager“ wurde zum | |
Ausgangspunkt einer kritischen „Wiederentdeckung“ des Bunkers. Ebenso | |
wichtig war freilich, dass Habel mit der Initiative „Blumen für Farge“ | |
Kontakt zu früheren Zwangsarbeitern aufnahm. Die waren, zunächst vor allem | |
aus Frankreich, schon seit 1967 in kleinen Gruppen zum Bunker gereist – um | |
dort dann vor hohen Zäunen zu stehen. Die Bundeswehr gewährte den | |
ehemaligen Zwangsarbeitern erst ab 1986 Zutritt – aber nur denen aus West- | |
und Südeuropa. Ehemalige Häftlinge aus den Ostblock-Staaten mussten noch | |
länger darauf warten, aufs Gelände gelassen zu werden. | |
Zwar entstanden weitere wichtige Bürgerinitiativen wie der | |
„Geschichtslehrpfad Lagerstraße“ oder der Verein „Erinnern für die | |
Zukunft“, doch als Thomas Mitscherlich und Barbara Johr Ende der 80er den | |
Film „Der Bunker“ drehten, gab es noch immer nur wenige Anwohner, die sich | |
interviewen lassen wollten. Die, die es taten, mussten sich von ihren | |
Nachbarn einiges anhören. | |
## Das verhinderteTeppichlager | |
Wieder zehn Jahre später kam das Theater: Bremens Generalintendant Klaus | |
Pierwoß ließ ab 1999 fünf Spielzeiten lang unter großen Mühen „Die letzt… | |
Tage der Menschheit“ im Bunker aufführen. 40.000 BremerInnen kamen. Und die | |
sahen nicht nur Karl Kraus’ zuvor als unspielbar geltendes Weltkriegsdrama, | |
inszeniert von Johann Kresnik, sondern, die allermeisten zum ersten Mal, | |
auch das Bunker-Monster an der Landesgrenze. Nun konnte es endgültig nicht | |
mehr unter dem Deckel gehalten werden. | |
2010 verließ die Bundeswehr den Bunker, der heute der Bundesanstalt für | |
Immobilienaufgaben gehört. Deren Verkaufs- und Vermietabsichten, etwas als | |
Teppichlager, mussten mühsam durch die Landeszentrale für Politische | |
Bildung ausgebremst werden. Mit 3,8 Millionen Euro – hälftig getragen von | |
Land und Bund – konnte sie schließlich den Denkort aufbauen, der diesen | |
Sonntag eröffnet wird. | |
Ein Viertel der 400 Einweihungsgäste werden Nachkommen früherer | |
Zwangsarbeiter sein. Es gibt nur noch sechs Menschen, die damals den | |
Valentin überlebten, heute noch leben und Kontakt zur Gedenkstätte halten. | |
Sie alle sind in ihren Neunzigern. „Ich bin so furchtbar enttäuscht, dass | |
ich der Einladung zur Eröffnung nicht Folge leisten kann“, sagt Marian | |
Hawling in einer Videobotschaft, die morgen abgespielt wird. | |
Dass Hawling so weit weg ist, in Sidney, ist kein Zufall. Nach seiner | |
Befreiung habe er sich entschlossen, „so weit fortzugehen, wie nur | |
möglich“, berichtet er. Er wollte „alles aus dem Gedächtnis streichen: | |
Würde ich den Rest meines Lebens damit verbringen, über mein Leid zu | |
sprechen, über die schrecklichen Dinge, die ich erduldet habe, dann würde | |
das mein Hirn vergiften“. Nicht einmal Hawlings Ehefrau wusste von dessen | |
Zeit im KZ, erst die Nachfragen seiner erwachsenen Söhne brachten ihn zum | |
Erzählen. | |
## Nackter Beton, baumelnde Armierungen | |
Der Koloss, für den Hawling und seine Leidensgenossen Tag für Tag die | |
Zementsäcke schleppten, die mit 50 Kilo Gewicht meist schwerer waren als | |
die unterernährten Häftlinge, ist heute in zwei sehr unterschiedliche | |
Bereiche geteilt: Der vordere wurde von der Bundeswehr als Lagerraum | |
saniert und wirkt entsprechend nüchtern, sachlich, langweilig und beliebig, | |
die hintere Hälfte ist der rohe Bunker: nackter Beton, herabhängende | |
Armierungen, Pfützen, Löcher, Wasserbecken. | |
Durch die Löcher, die die Briten mit ihren über zehn Tonnen schweren Bomben | |
gerissen haben, fallen Sonnenstrahlen wie gewaltige Scheinwerfer in die | |
riesige Halle. Dieser Teil ist nicht öffentlich zugänglich, zu groß sei das | |
Risiko herabfallender Betonbrocken, sagen die Denkort-Verantwortlichen. | |
Dafür haben sie einen Glas-Tunnel gebaut: Vom „sicheren“ Teil des Bunkers | |
führt er, vorbei an einem großen Raum mit eine Dauerausstellung, ein paar | |
Meter auf die andere Seite hinüber. So kann man zumindest einen | |
Raumeindruck bekommen. | |
Um den Bunker herum führt nun ein Info-Pfad mit 25 Stationen, vorbei an den | |
ausgegrabenen Resten der riesigen Beton-Mischanlage. Der frühere | |
französische Kriegsgefangene Raymond Portefaix nennt sie in seinen | |
Erinnerungen eine „Bestie, deren Hunger niemals gestillt wurde“. | |
Bremen war bislang das einzige Bundesland ohne offizielle NS-Gedenkstätte. | |
Und Deutschland ein Land, das es sich leistete, keinen Ort der kritischen | |
Darstellung der NS-Kriegsmarine zu haben. Und nirgends ist die Komplexität | |
des NS-Lagersystems so greifbar wie am Valentin: Gestapo, Wehrmacht, SS und | |
zivile Betreiber unterhielten jeweils eigene Lager, um sich am größten | |
Marinerüstungsprojekt des „Dritten Reichs“ zu beteiligen. | |
Heute stehen auf dem Dach des sanierten Bunkerteils Photovoltaik-Anlagen. | |
Und noch immer ist die zugeschüttete U-Boot-Ausfahrt an der Westseite des | |
Bunkers der weit und breit beste Weserstrand. Der Unterschied zu früher | |
ist: Auch der Umgang mit der Geschichte des menschenfressenden | |
Monster-Bauwerks ist in der „Normalität“ angekommen. Er ist – endlich – | |
annähernd angemessen. | |
Den ganzen Schwerpunkt „Der Bunker“ lesen Sie in der gedruckten Ausgabe der | |
taz.nord oder [1][hier]. | |
6 Nov 2015 | |
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## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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