| # taz.de -- Michèle Callan über den Bunker Valentin: „Es war Sklavenarbeit�… | |
| > Der Ire Harry Callan war inder NS-Zeit als Zwangsarbeiter in Bremen | |
| > versklavt. Jetzt hat seine Schwiegertochter seine Erinnerungen | |
| > veröffentlicht. | |
| Bild: Gedenkort: Bunker Valentin in Bremen-Farge | |
| taz: Warum haben Sie ein Buch über Harry Callan geschrieben, Frau Callan? | |
| Michèle Callan: Harry ist mein Schwiegervater. Er ist jetzt 94 Jahre alt. | |
| Im Zweiten Weltkrieg arbeitete er bei der britischen Handelsmarine und | |
| geriet mit 31 anderen irischen Seeleuten in deutsche Kriegsgefangenschaft. | |
| Über die furchtbaren Erlebnisse hatte er nie gesprochen, er sagte immer | |
| nur, er sei Kriegsgefangener gewesen. Aber er hatte jahrelang Albträume. Im | |
| Januar 2012 war er schließlich der einzige noch Lebende von den 32 irischen | |
| Kriegsgefangenen, und er wusste, dass die Geschichte für immer verloren | |
| wäre, wenn er sie jetzt nicht erzählt. | |
| Wie war es für ihn, darüber zu reden? | |
| Es war für uns beide nicht immer einfach. Ich sagte zu ihm, dass wir uns | |
| gegenseitig vollkommen vertrauen müssten. Ich sagte, er solle vorübergehend | |
| vergessen, dass ich seine Schwiegertochter bin. Ich bin dann sechs Monate | |
| lang jeden Morgen um halb neun mit meinem Tonbandgerät zu ihm gegangen. Ich | |
| musste mich oft seelisch auf seine Erzählungen von den grauenhaften | |
| Erlebnissen vorbereiten. | |
| Irland war ja im Weltkrieg neutral. Wurden die irischen Gefangenen deshalb | |
| nicht besser als andere behandelt? | |
| Harry kam 1923 im nordirischen Derry auf die Welt. Deshalb hatte er das | |
| Anrecht auf einen irischen und einen britischen Pass. Aber er hatte nur | |
| einen Seemannsausweis. Das verkomplizierte die Dinge. Die irische Botschaft | |
| in Berlin wollte sich um die Sache kümmern, doch dann fiel eine Bombe aufs | |
| Gebäude, und die Unterlagen verbrannten. Es verzögerte sich so lange, dass | |
| die Tortur erst durch die Befreiung am 26. April 1945 beendet wurde. | |
| Wurden die irischen Gefangenen während der Nachforschungen der Botschaft | |
| gequält? | |
| Harry durchlief verschiedene Gefangenenlager. Doch dann meinten die | |
| Deutschen, dass die 32 Iren für sie arbeiten könnten. Die Männer weigerten | |
| sich aber. Daraufhin steckte man sie Anfang 1943 in das | |
| Arbeitserziehungslager in Bremen, wo sie geschlagen wurden und kaum etwas | |
| zu essen bekamen. Sie mussten das Fundament für die U-Boot-Fabrik Bunker | |
| Valentin ausheben. Die Arbeit begann um vier Uhr morgens und dauerte bis | |
| sechs Uhr abends. Es war Sklavenarbeit. | |
| Haben alle Iren das Lager überlebt? | |
| Fünf von ihnen starben im Lager. Von den restlichen 27 sprach später keiner | |
| über die furchtbaren Erlebnisse, bis Harry sich öffnete. Ein Belgier wurde | |
| mit einem Gummischlauch zu Tode geprügelt, weil er einen Fluchtversuch | |
| unternommen hatte. Als die Gefangenen einen Damm gruben, sah Harry, wie | |
| einer der Gefangenen vor Schwäche zusammenbrach. Der Aufseher nahm einen | |
| Spaten und erschlug ihn. | |
| Wie hat Harry überlebt? | |
| Er hatte Glück. Der Lagerarzt Walter Heidbreder mochte ihn und zog ihn zu | |
| Gartenarbeiten heran. Dadurch entging er den fürchterlichen | |
| Arbeitsbedingungen auf der Baustelle. Heidbreder wurde in den | |
| Entnazifizierungsverfahren nach dem Krieg als entlastet eingestuft. | |
| Ist Ihr Schwiegervater seitdem in Deutschland gewesen? | |
| Im Jahr 2005, 60 Jahre nach der Befreiung, wurde er von der Royal British | |
| Legion eingeladen, an dem Programm „Rückkehr der Helden“ teilzunehmen. | |
| Ehemalige Kriegsgefangene konnten mit Hilfe dieses Programms an den Ort | |
| ihrer Gefangenschaft zurückkehren, zu den jährlichen Gedenkfeiern. | |
| Wie war die Wiederbegegnung mit dem Ort seiner Tortur für ihn? | |
| In Bremen stellte Harry fest, dass niemand etwas von den 32 irischen | |
| Kriegsgefangenen wusste. Es gab gar keine Unterlagen, in den offiziellen | |
| Aufzeichnungen gab es keine Spur von ihnen. Er hatte anfangs das Gefühl, | |
| dass man ihm nicht glaubt. Als er durch das ehemalige Lager lief, das | |
| inzwischen völlig überwuchert war, deutete er auf eine Stelle, wo früher | |
| der Zementmischer gestanden hatte. Bei den Ausgrabungen stellte man fest, | |
| dass es stimmte. Fortan lädt man ihn jedes Jahr zur Feier der Befreiung des | |
| Lagers am 26. April ein. | |
| Es gibt ja sogar ein Wettrennen, das nach ihm benannt ist. | |
| Ja, den Harry-Callan-Lauf. Harry gibt den Startschuss am Denkmal. Das Ziel | |
| ist das ehemalige Arbeitserziehungslager, die Strecke ist rund fünf | |
| Kilometer lang. Harry hat auch [1][engen Kontakt zu einer lokalen Schule], | |
| die sich gegen Rassismus engagiert. | |
| Warum ist er als Ire 1939 überhaupt zur britischen Handelsmarine gegangen? | |
| Als Harry 15 war, ging er zum Arbeitsamt, und die schickten ihn zur | |
| Handelsmarine nach England. Er hatte keine Ahnung, welchen Job man ihm | |
| geben würde. Er landete in der Bordküche und musste Teller waschen. Es war | |
| kein guter Zeitpunkt im Herbst 1939. Das erste Jahr verlief zwar relativ | |
| ruhig, doch 1941 wurde das Schiff Afric Star, das aus Montevideo unterwegs | |
| war, vor der Küste Afrikas von einem deutschen Handelsstörer unter Feuer | |
| genommen. Die Besatzung floh in Rettungsbooten und wurde gefangen genommen. | |
| Wie kam Ihr Schwiegervater nach Dublin? | |
| Er kam 1950 nach Dublin, weil er auf einem Schiff arbeiten sollte, das dort | |
| lag. Am Abend ging er zu einem Tanz in der Innenstadt. Dort traf er Anne, | |
| und die beiden heirateten später. Er bekam einen Job bei einer Reederei in | |
| Dublin, wo er bis zu seiner Pensionierung 1987 arbeitete. | |
| Seine Geschichte ist Ihr erstes Buch. Wie waren die Reaktionen auf die | |
| Veröffentlichung? | |
| Ich hatte vorher ja noch nie etwas geschrieben. Ich saß nervös am Computer | |
| und hörte mir die Tonbandaufzeichnungen an. Ich fing mit seiner Kindheit | |
| und seiner Anfangszeit als Seemann an. Schließlich hatte ich ein Gerüst. | |
| Ich bat eine Freundin, die kreatives Schreiben unterrichtete, mir zu | |
| helfen. Wir arbeiteten zwei Jahre an dem Manuskript, und dann wurde es | |
| veröffentlicht. Seitdem haben sich die Familien von sechs irischen | |
| Mitgefangenen gemeldet. Sie sagten, es sei wunderbar, dass sie nun endlich | |
| wüssten, wie es den Männern damals ergangen sei, denn auch die anderen | |
| hätten nicht über ihre Erlebnisse gesprochen. Allein dafür hat sich der | |
| ganze Aufwand gelohnt. | |
| 25 Apr 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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