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# taz.de -- Befreiung Bremens vor 75 Jahren: Als die Briten nach Bremen kamen
> Am 27. April 1945 wurde Bremen befreit. Nach einem Bericht des britischen
> Korrespondenten Harry Ditton freute sich die Bevölkerung damals nicht.
Bild: Zerbombte Häuser und zerstörte Brücken: So sah Bremen im April 1945 aus
Bremen taz | Vor 75 Jahren gab die alliierte Militärregierung das
Befreiungsdatum Bremens offiziell bekannt: 27. April 1945, 18 Uhr. Nur
wenige Tage zuvor befahl Fritz Becker, Kampfkommandant der Wehrmacht, noch
die Sprengung aller Weserbrücken, um das Vorrücken der Alliierten zu
verhindern. Zu diesem Zeitpunkt rückten die britischen und kanadischen
Truppen auf der linken Weserseite durch Huckelriede und Kattenturm in
Richtung Neustadt vor. Rechts der Weser waren die Stadtteile Hemelingen,
Sebaldsbrück und Hastedt von den Alliierten bereits eingenommen.
Die Sprengung der Weserbrücken zeigt, wie sich die im Sinne des NS-Regimes
„wehrhafte Hanse“ Bremen „bis zum letzten Blutstropfen“ gegen den Einzug
der Alliierten verteidigen sollte. In diesem Punkt stand Bremen in den
letzten Kriegstagen anderen Städten in nichts nach.
Die britische Armee stellte in Flugblättern den 290.000 BremerInnen bis zum
22. April 1945 ein Ultimatum – entweder weitere Kriegshandlungen oder
bedingungslose Kapitulation. Die Antwort darauf folgte gleich. Gauleiter
Paul Wegener und NSDAP-Kreisleiter Max Schümann entschieden am 21. April
die Verteidigung der Stadt.
Die lokale NSDAP-Zeitung, die „Bremer Zeitung“, verkündete noch am gleich
Tag: „Kämpferisch gehen wir unseren Weg weiter. Bremen wird leben und mit
ihm das Deutsche Reich.“ Zwar gab es auch Widerstand gegen diese Politik,
doch standen offensichtlich viele BremerInnen hinter der Entscheidung der
Machthabenden.
Die circa 40.000 verbliebenen Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen
begrüßten die einziehenden Alliierten überschwänglich. Der Reporter Wynford
Vaughan-Thomas sendete am 26. April 1945 über die BBC: „Die Fremdarbeiter,
es müssen Tausende davon hier in Bremen gewesen sein, (…) ziehen an unseren
Jungs vorüber und winken ihnen zu.“
Doch machten die Besatzer auch ganz andere Erfahrungen. Der britische
Korrespondent der Tageszeitung „News of the World“, Harry Ditton,
charakterisierte in seinem Bericht vom 29. April 1945 Bremen als eine
ungewöhnliche deutsche Stadt: „Bremen war und ist verschieden von allen
anderen deutschen Städten, die wir eingenommen haben. Sein Todeskampf war
viel schwerer. Es hatte sich entschieden, sich gegen sein Schicksal zu
wehren.“
Die Brückensprengungen oder die gezielten Überflutungen der Ochtum- und
Weser-Niederung bestätigen die Verbissenheit, jedes Mittel zur Verteidigung
Bremens auszuschöpfen. Bemerkenswert sind die Beschreibungen Dittons der
Bremer Bevölkerung: „Da war eine Haltung und eine Atmosphäre unmenschlicher
Ruhe und totaler Gleichgültigkeit gegenüber dem zu verspüren, was
passierte. Da gab es keine Tränen (…) und nicht eine einzige weiße Fahne.“
Somit verstärkte sich Dittons Sorge, dass mit Widerstand der Bremer
Bevölkerung gegen die alliierten Besatzer zu rechnen sei: „[Die
BremerInnen] zuckten nur mit den Schultern, als ob sie sagen wollten: ‚Ihr
habt uns seelisch noch nicht gebrochen, aber es wäre nicht vernünftig,
Ihnen das ins Gesicht zu sagen.‘ Sie können sich jetzt eine Vorstellung
davon machen, wie fanatisch diese Leute sind.“
Am 29. April 1945 wurde die Verwaltung Bremens dann von den Briten an den
US-amerikanischen Militärgouverneur Bion C. Welker übertragen. Das führte
die renommierte Kriegsreporterin Margaret Bourke-White nach Bremen. Ihre
Bildserie „The Living dead of Buchenwald“ gehört zu den bekanntesten
Fotografien des 20. Jahrhunderts. Bourke-White konnte nicht verstehen, wie
schnell die deutsche Bevölkerung mit der Schutzbehauptung „Wir haben von
nicht gewusst“ ihr Wissen und ihre Überzeugungen leugnete. Bei ihrer Suche
nach immer noch nationalsozialistisch denkenden Deutschen wurde sie
schließlich fündig – in Bremen.
Bourke-White suchte in der Stadt ihre alte Bekannte aus der gemeinsamen
Studienzeit in New York, Hildegard Roselius, auf. Letztere machte bei einem
Treffen in ihrer zerbombten Wohnung in der Böttcherstraße als eine
„Deutsche, die das zugibt“ keinen Hehl aus ihrer Hochachtung für Adolf
Hitler: „Der Führer hatte einen kräftigen, männlichen Händedruck, die Art
von Händedruck, die man mag.“ Diese Verehrung war in der Handelsfamilie
Roselius verbreitet. Ihr Vater Ludwig, Gründer der Kaffee-HAG, war frühes
Parteimitglied der NSDAP und traf bereits in den 1920ern auf Hitler, den er
ab diesem Zeitpunkt bewunderte.
Die Böttcherstraße ließ er 1926 im „Willen, eine neue und größere Zeit f…
Deutschland zu erwecken“ errichten. Mit der wirren Ästhetik der
Böttcherstraße und seinen Bemühungen um die völkische Bewegung fiel
Roselius bei Hitler in Ungnade. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, sich
Hitler weiterhin anzudienen und dem Nationalsozialismus bis zu seinem Tod
1943 verbunden zu bleiben.
Hildegard Roselius ließ keinen Zweifel an ihren nationalsozialistischen
Vorstellungen. Angefangen beim Abstreiten der deutschen Kriegsschuld, über
Verschwörungstheorien eines international operierenden Judentums,
kommentierte sie selbst den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion
lediglich mit: „Fairer Handel und faire Wirtschaftsbeziehungen.“ Die
Verfolgung und Ermordung der Bremer JüdInnen stellte sie in die Bremer
Tradition: „Wir hatten schon 700 oder 800 Jahre genauso empfunden. (…) Die
Juden wurden hier freundlich behandelt, aber Kontakt mit ihnen gab es
nicht. (...) Hier in Bremen haben wir die Juden gar nicht so ernst
genommen. (…) Wir haben seit Jahrhunderten an die Grundsätze der Partei
geglaubt.“ Und so erklärte Hildegard Roselius ihrer ehemaligen
Studienkollegin Bourke-White: „Ich würde es wieder genauso machen.“
Diese Kontinuität im Denken bei einigen Deutschen wie Hildegard Roselius
erklärt das Unbehagen gegenüber der Bremer Bevölkerung, welches der
Reporter Ditton beschrieb. In den folgenden Monaten war es an den
amerikanischen Besatzern, sich mit den plötzlich zahlreichen
Unschuldsbeteuerungen der BremerInnen in Entnazifizierungsverfahren
auseinanderzusetzen.
27 Apr 2020
## AUTOREN
Ines Dirolf
Elias Angele
## TAGS
Bremen
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Schwerpunkt Tag der Befreiung
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Kriegsende
Schwerpunkt Tag der Befreiung
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Kriegsende
Lesestück Recherche und Reportage
Holocaust
Zwangsarbeit
Bunker
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