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# taz.de -- Holocaust-Gedenken: Es braucht mehr als Floskeln
> Das Versprechen „Nie wieder“ ist 75 Jahre nach der Befreiung von
> Auschwitz brüchig geworden. Menschenrechte sind auch in Europa bedroht.
Bild: Polens Präsident Duda und Israels Präsident Rivlin bei der Kranzniederl…
Ursprünglich war das „Nie wieder“ eine Selbstverpflichtung: „Nie wieder
werden wir gleichgültig zusehen, wenn Minderheiten ausgegrenzt, beleidigt
und ihrer Menschenrechte beraubt werden.“ Das „Nie wieder“ sollte weitere
Völkermorde nach dem Holocaust verhindern. Eine bessere Welt sollte
entstehen: Die Vereinten Nationen (UNO) sollten den Weltfrieden bewahren,
die entwickelten Demokratien wollten Flüchtlinge nicht mehr vor ihren
Grenzen abweisen, so wie sie es vor dem Krieg gegenüber den europäischen
Juden getan hatten.
Viele Holocaust-Überlebende wollten in Israel, dem 1948 gegründeten
jüdischen Staat, ein neues Leben beginnen. Deutsche und Österreicher
wollten verstehen – erst widerwillig, dann immer drängender -, wie so viele
„normale Menschen“ zu verrohten Sadisten und gefühlskalten Mördern hatten
werden können.
Doch die Bilanz des „Nie wieder“ fällt nach 75 Jahren niederschmetternd
aus. Völkermorde gab und gibt es auch [1][nach Auschwitz]. Trotz des
Versprechens schauen die meisten Menschen weg, wollen das Leid der
Verfolgten nicht sehen. Egal ob es Syrer sind, Kongolesen, Rohingya in
Myanmar oder Uiguren in der Volksrepublik China. Schlimmer noch: Fast
überall ziehen Politiker neue Mauern und Zäune hoch, um die Flüchtlinge von
den eigenen Grenzen fernzuhalten. „Wir können schließlich nicht alle
retten“, heißt es dann.
Die Vereinten Nationen waren unfähig, ein weltumspannendes System der
Friedenssicherung auszubilden und den Schutz der Menschenrechte überall zu
garantieren. Aber auch die Europäische Union, die nach dem Zweiten
Weltkrieg gegründet wurde, um den Frieden zu bewahren, bekommt immer mehr
Risse. Fast überall in den Mitgliedstaaten kommen Nationalismus, Rassismus
und Demokratieverachtung wieder an die Oberfläche. „Die Wahrheit über den
Holocaust darf nicht sterben“, sagte Polens Präsident [2][Andrzej Duda] auf
der Gedenkfeier zur Befreiung des nazideutschen Konzentrations- und
Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Doch zur Wahrheit von heute gehört
auch: Die Demokratie und ihre Werte müssen immer wieder neu verteidigt
werden – damit sich Verbrechen aus Hass nicht wiederholen.
In Deutschland haben Hetze und allgemeine Verrohung der Umgangsformen so
zugenommen, dass sich Juden immer öfter fragen, ob sie hier noch sicher
leben können. Lokalpolitiker geben ihr politisches Engagement auf, weil der
Staat sie nicht vor Morddrohungen und Attentätern – wie [3][in Kassel] –
schützen kann. Die Erosion des Rechtsstaats ist mit Händen zu greifen. In
Polen und Ungarn zerstören Politiker sogar ganz bewusst die Grundlagen der
demokratischen Grundordnung und hetzen offen gegen einzelne Gruppen wie
Richter, Ausländer oder Homosexuelle. Wenn in diesen Tagen das „Nie wieder“
erneut in aller Munde ist, sollte es mehr sein als nur eine
Erinnerungsfloskel. Wir sollten uns erneut darüber klar werden, was es für
jeden von bedeutet und was es uns abverlangt.
28 Jan 2020
## LINKS
[1] /Film-ueber-Holocaust-Ueberlebende/!5656551
[2] /Gedenken-in-Auschwitz/!5656670/
[3] /Verdaechtiger-im-Mordfall-Luebcke/!5658857
## AUTOREN
Gabriele Lesser
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Holocaust
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