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# taz.de -- Shoah-Gedenken im Bundestag: Worte der Mahnung
> Beim Gedenken an die NS-Opfer im Bundestag greift Bundespräsident
> Steinmeier die AfD an. Und Israels Staatspräsident lobt Trumps
> Nahostplan.
Bild: Erst deutliche Worte, dann Applaus: Israels Reuven Rivlin im Bundestag
BERLIN taz | Frank-Walter Steinmeier ist qua Amt zu parteipolitischer
Neutralität verpflichtet. Er ist Bundespräsident aller Deutschen, auch der
AfD-Wähler. Wo die Grenzen dieses Korsetts verlaufen, testet Steinmeier
Mittwochvormittag im Bundestag bei der Gedenkstunde zum 27. Januar aus,
[1][dem Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus].
Für „alle Demokraten in diesem Haus“, so Steinmeier, sei die Shoah Teil
deutscher Identität und „die Auseinandersetzung mit der historischen Schuld
eine Selbstverständlichkeit“. Für alle Demokraten – also nicht für
Alexander Gauland, der Hitler und die Nazis einst als Vogelschiss in über
1.000 Jahren deutscher Geschichte bezeichnete. Das sagt Steinmeier nicht –
aber es ist der deutlich wahrnehmbare Oberton.
Fast alle 709 Parlamentarier sind, was selten passiert, am
Mittwochvormittag im Reichstag. Der Termin ist Pflicht, Auschwitz-Gedenken
ist Staatsräson. Steinmeiers Rede ist eine Mixtur aus Vergegenwärtigung der
[2][Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee], von
Reflexion und am Ende auch von Appell. Um erstarrte Erinnerungsroutine zu
meiden, brauche es „neue Formen“ für Jüngere, mahnt Steinmeier. [3][Die
Vergegenwärtigung der Geschichte sei ein Mittel, um der „Verführung des
Autoritären“ zu widerstehen].
Steinmeier wird in Sachen Rechtspopulismus noch deutlicher. Die
Selbstgewissheit „über die Lehren der Vergangenheit war trügerisch“. Heute
würden manche wieder „völkisches, autoritäres Denken als Vision“ anbiete…
Der Angriff eines Rechtsterroristen in Halle am jüdischen Versöhnungsfest
Jom Kippur, der nur zufällig nicht in einem Massaker in der Synagoge
endete, und [4][die Morddrohung gegen einen schwarzen
Bundestagsabgeordneten], so Steinmeier, zeigten, dass das Gift des
Nationalismus keineswegs verschwunden sei.
## Der AfD-Applaus bleibt schütter
Die AfD-Fraktion lässt sich nichts anmerken. Ihr Applaus klingt allerdings
etwas schütter. Die Rechtspopulisten sind bei dieser Gedenkstunde in einer
Bredouille. Zum einen ist Fremdenfeindschaft ihr politisches Lebenselexier
– aber sie buhlen auch um ein Minimum an Reputierlichkeit und vor allen um
Israel, das sie als antimuslimischen Vorposten des Westens schätzen.
Mehrfach betont der Bundespräsident in demütigen Formulierungen die
Freundschaft zu Israel. Der eigens angereiste israelische Staatspräsident
Reuven Rivlin nimmt es mit freundlichem Nicken zur Kenntnis. Das Parlament
applaudiert geschlossen. Israel repräsentiert das jüdische Opferkollektiv,
das ist Konsens.
## Israels Präsident mit doppelter Botschaft
Nach Steinmeier redet Rivlin selbst – der im Ruf steht, ein
unkonventioneller Likud-Politiker zu sein. Zu Recht, wie man merkt. Rivlins
hebräische Rede wird simultan übersetzt – und hat zwei bemerkenswerte
Botschaften. In Halle, sagt Rivlin, wurde nicht nur die Synagoge
attackiert. [5][Der Täter tötete danach in einem von Muslimen betriebenen
Laden]. Rivlin betont, muslimischen Antisemitismus keineswegs
herunterspielen zu wollen – aber der aggressive Nationalismus in Europa
ziele auf alles Fremde. Die rassistische Verachtung gelte Juden wie
Muslimen. Deutschland, „ein Leuchtturm“ der Demokratie, sei der
entscheidende Ort der Auseinandersetzung zwischen Liberalen und Populisten.
„Wenn Deutschland beim Kampf gegen den Populismus scheitert, wird dieser
Kampf überall scheitern“, so der israelische Staatspräsident.
Dieser Aufruf klingt linksliberal, die zweite Botschaft indes wie die eines
israelischen Falken. Denn Rivlin wendet sich auch der Außenpolitik zu. Der
Iran ziele auf die Auslöschung Israels und müsse daher, „aus der
internationalen Gemeinschaft ausgeschlossen“ werden, sagt Rivlin. Diese
Forderung ruft nicht nur bei Außenpolitikern wie SPD-Fraktionschef Rolf
Mützenich Stirnrunzeln hervor. Zudem lobt der israelische Staatspräsident
[6][Trumps gerade vorgelegten Nahost-Plan], „der beiden Seiten komplexe
Zugeständnisse“ abverlange. Auch das ist, angesichts der krassen
Einseitigkeit des US-Plans, keine Position, die im Bundestag mehrheitsfähig
ist.
Amtsvorgänger Schimon Peres sprach 2010 zum Gedenktag im Bundestag über die
NS-Geschichte. Rivlin hält 2020 eine außenpolitische Rede. Eine
bemerkenswerte Veränderung.
29 Jan 2020
## LINKS
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[3] /Gedenken-in-Auschwitz/!5656670
[4] /SPD-Politiker-ueber-Schuesse-auf-sein-Buero/!5656316
[5] /Migranten-in-Halle-nach-dem-Attentat/!5633645/
[6] /Nahost-Friedensplan-ohne-Palaestinenser/!5660780
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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