# taz.de -- Zeugnis der Nazi-Vergangenheit: Bildung im Betonmonster | |
> Als letztes Bundesland hat Bremen jetzt eine offizielle NS-Gedenkstätte: | |
> den U-Boot-Bunker „Valentin“, der am Sonntag als „Denkort“ eröffnet | |
> wurde. | |
Bild: Ausstellung im Herzen des Monstrums: Zur Eröffnung kamen sowohl Anwohner… | |
BREMEN taz | Alte Männer in Rollstühlen und kleine Kinder auf den Schultern | |
ihrer Eltern bewegen sich durch die gewaltigen Betonmassen des | |
U-Boot-Bunkers „Valentin“ in Bremen-Farge: Quer durch die Generationen und | |
europäischen Länder sind sie an den Ort gekommen, an den ihre | |
Familienmitglieder als Zwangsarbeiter verschleppt worden waren. Am Sonntag | |
wurde er als Gedenkstätte eröffnet. | |
„Der Name Farge hat bei uns einen schrecklichen Klang“, berichtet eine | |
Französin. Aus ihrem Heimatstädtchen wurden die Männer zum Bunkerbau | |
deportiert, nachdem es im Ort ein SS-Mann erschossen worden war. Vielerorts | |
in Europa ist „Farge“ ein Synonym für das schwarze Loch, in dem Angehörige | |
verschwanden. In Bremen hingegen ist es einfach nur der nördlichste Zipfel, | |
kurz vor der Landesgrenze, wohin man sich selten verirrt. | |
Solche Ungleichzeitigkeiten spiegeln sich auch in der Eröffnungs-Zeremonie. | |
Während der Bremer Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) mit erfreulich | |
klaren Worten schildert, wie lange die Stadt brauchte, um sich zur | |
Einrichtung einer Gedenkstätte durchzuringen, konzentriert sich der nächste | |
Redner auf das Herausstellen seiner persönlichen Verdienste: Es ist | |
Ex-Kulturstaatsminister Bernd Neumann, jahrzehntelanger CDU-Chef Bremens | |
und Protagonist eines der größten, aber nur selten erzählten Treppenwitze | |
der Berliner Republik: Dass jemand deutscher Kulturstaatsminister werden | |
kann, der sich in einer Parlamentsdebatte positiv auf die Bücherverbrennung | |
durch die Nazis bezog. Und dabei bekannte, die Gedichte von Erich Fried am | |
liebsten „verbrannt sehen“ zu wollen, wie im Protokoll der Bremer | |
Bürgerschaft nachzulesen ist: „Das will ich einmal ganz eindeutig sagen.“ | |
Freilich lagen zwischen diesen Ausfällen und Neumanns Ernennung zum | |
Kulturstaatsminister ausreichend viele Jahre, um auf öffentliches Vergessen | |
hoffen zu können. Die Gnade der Amnesie beansprucht Neumann nun offenbar | |
auch bei der Bunker-Eröffnung: Wie sonst kann man in einer groß | |
formatierten Rede (“im Namen der Bundesregierung“) herausstellen, den | |
Bunker schon immer gekannt zu haben (“ich spielte als Junge zwischen seinen | |
Mauern“), sich als dessen später Erwecker aus dem Dornröschen-Schlaf | |
gerieren (“das Projekt wurde mir als Staatsminister zu einer | |
Herzensangelegenheit“) – ohne mit einer Silbe zu erklären, wo er seine | |
Herzensregungen während der 40 Jahre zuvor versteckt hatte? | |
In Wahrheit kämpften sehr lange nur Bürgerinitiativen für die Umwandlung | |
des Bunkers in einen Gedenkort, in denen sich auch einzelne vor Ort | |
stationierte Bundeswehr-Angehörige engagierten. | |
Es ist ein großes Verdienst der hier nun gezeigten Ausstellung, dass sie | |
die Verdrängungsgeschichte des „Valentin“ explizit thematisiert. Schon auf | |
dem Info-Weg, der um den Bunker herum führt, sehen die Besucher das große | |
Reprint einer Postkarte, mit der man in den 1960ern, mit dem „Valentin“ als | |
Attraktion, „Grüße aus Bremen“ verschicken konnte. Im Bunker selbst ist e… | |
großformatiges Ölgemälde zu sehen, das der leitende Bunker-Ingenieur Erich | |
Lackner im Büro hängen hatte: Es zeigt die Bunker-Baustelle als Sonne | |
beschienenes Technik-Stilleben. Lackner, der als einer der bedeutendsten | |
deutschen Ingenieure des 20. Jahrhunderts gilt, wurde schon 1945 vom | |
US-Militär mit dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Häfen betraut. Junge | |
Ingenieure können sich seit 1993 für den Erich-Lackner-Förderpreis | |
bewerben. | |
Klug konzentrieren sich die Denkort-Macher von der Landeszentrale für | |
Politische Bildung auf wenige Exponate, die entscheidende Schlaglichter bis | |
in die Gegenwart werfen. Auch der Modellbausatz eines U-Boots, wie man ihn | |
heute im Spielzeuggeschäft kaufen kann, gehört dazu: Er bildet exakt den | |
Boots-Typ „XXI“ ab, der als Hitlers Wasser-Wunderwaffe in Farge gebaut | |
werden sollte. | |
Zugleich ist die Ausstellung so konkret wie möglich: Sie listet | |
beispielsweise sämtliche Bremer Firmen auf, die seinerzeit am Bunkerbau | |
mitverdienten. | |
„Eine gute halbe Stunde“, so erinnern sich Zeitzeugen, habe es gedauert, | |
bis die Häftlingskolonnen aus den verschiedenen Lagern auf ihrem Weg zur | |
Baustelle vorüber gezogen seien. Eine ältere Anwohnerin, die auch zur | |
Denkort-Eröffnung gekommen ist, erzählt, ihre Mutter habe gelegentlich | |
gekochte Kartoffeln an die Straße gelegt – „das war aber sehr riskant“. | |
Andere Eltern hingegen, so zeigt es die Ausstellung, stifteten ihre Kinder | |
dazu an, die Häftlinge mit Steinen zu bewerfen. | |
Die Forschungsarbeiten am „Valentin“ sind noch längst nicht abgeschlossen. | |
Am und im Bunker selbst gibt es noch immer unerforschte Ecken, auch der | |
weitgehend unbekannte „Valentin 2“ wird die Wissenschaftler beschäftigen: | |
So sollte ein zweiter, ebenso gewaltiger Werft-Bunker heißen, für den noch | |
im Februar 1945 die Erdarbeiten begannen. Derzeit sucht die | |
niedersächsische Landesarchäologie, auf deren Gebiet die in Vergessenheit | |
geratene ehemalige Baustelle vermutet wird, mit speziellen Luftaufnahmen | |
nach den Spuren. | |
Beide „Valentins“ waren Teil einer veritablen „Rüstungslandschaft“, zu… | |
auch das in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene Tanklager Frage gehört, | |
das noch immer weltgrößte künstlich angelegte unterirdische Öl- und | |
Benzindepot. Die US-Streitkräfte nutzten es unter anderem für die Berliner | |
Luftbrücke, dann wurde es nahtlos von der NATO übernommen. Noch heute ist | |
das erst vor Kurzem stillgelegte Tanklager eine kaum zu kalkulierende | |
ökologische Bombe. | |
Auch als historische Altlast macht das ab 1935 gebaute Tanklager noch | |
Arbeit: Einer der unterirdischen Tankräume diente als „Unterkunft“ für bis | |
zu 2.500 der täglich 12.000 Häftlinge, die beim U-Boot-Bunker-Bau | |
eingesetzt wurden. | |
9 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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