Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nazi-Fabrikruine soll Gewerbepark werden: Solarstrom statt Sprengst…
> In der ehemaligen NS-Rüstungsfabrik „Werk Tanne“ im Harz wurde TNT für
> die Wehrmacht produziert. Nun soll dort eine Öko-Modellregion entstehen.
Bild: Drohnenblick auf das Areal des ehemaligen „Werk Tanne“
CLAUSTHAL-ZELLERFELD taz | Viele Rüstungsfabriken der Nazis hatten
Tarnnamen, Anlagen zur Sprengstoffproduktion waren nach Bäumen benannt.
Mehrere davon lagen im Harz. Im „Werk Kiefer“ im Siebertal wurden
Tellerminen und Granaten produziert. „Werk Tanne“ bei Clausthal-Zellerfeld
war das drittgrößte Sprengstoff- und Munitionswerk im Deutschen Reich.
Das Betreten des Geländes ist bis heute verboten. „Stop! Gefahrenbereich!“
steht auf einem am Maschendrahtzaun befestigten Schild. „Kameraüberwachung.
Verstärkte Polizeibestreifung. Hausfriedensbruch wird zwingend zur Anzeige
gebracht.“
So viel Warnung weckt Neugier. Durch ein Loch, das andere vor uns in den
Zaun gerissen haben, schlüpfen wir auf die andere Seite. Wir stolpern einen
von Brennnesseln und anderen Pflanzen überwucherten Abhang hinunter und
stehen plötzlich vor einer rostigen Eisentür. Durch leichten Druck gibt sie
nach – und den Blick frei in das Innere einer verwüsteten Halle. Überall
liegen Trümmer herum. Trübes Licht fällt durch eine Auslassung unter dem
kuppelförmigen Dach, ein tiefes Loch im Boden ist nur notdürftig abgedeckt.
Das Gebäude ist eines von ursprünglich mehr als 200, die zum „Werk Tanne“
gehörten. Die Fabrik war von 1939 bis 1944 in Betrieb und diente den
Nationalsozialisten vor allem zur Produktion von Trinitrotoluol (TNT).
Schon unmittelbar nach ihrer „Machtübernahme“ hatten die Planungen für
einen massiven Ausbau der Spreng- und Kampfstoff-Produktion in Deutschland
begonnen.
## Zwangsarbeiter*innen aus der Sowjetunion
Anfang 1934 hielten Experten im Oberharz Ausschau nach einem geeigneten
Gelände – und wurden im dichten Wald bei Clausthal-Zellerfeld fündig. 1936
war die Anlage, die aus Tarnungsgründen „Werk Tanne“ genannt wurde,
fertiggebaut. Neben der TNT-Herstellung wurden dort auch Bomben, Minen und
Granaten befüllt. Um 1942 schufteten rund 2.500 Menschen im „Werk Tanne“.
Unter ihnen waren auch viele Kriegsgefangene und viele aus der Sowjetunion
verschleppte Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, weiß der Geologe und
Umweltschützer Friedhart Knolle aus Goslar. Vor allem sie hätten die
gefährlichsten Arbeiten ausführen und die Sprengkörper mit dem hochgiftigen
TNT befüllen müssen. Bei einer schweren Explosion im Juni 1940 starben 61
Menschen. In Clausthal-Zellerfeld barsten damals die Scheiben, der Rührstab
der Nitrierungsanlage flog knapp zwei Kilometer weit bis zum Klepperberg.
Knolle, Co-Autor des kürzlich erschienenen Buches „Tarnname ‚Tanne‘“,
lüftet seit Jahren die Geheimnisse um die Fabrik, warnt vor den anhaltenden
Belastungen für die Umwelt.
Von draußen dringt Baulärm durch die zerborstenen Fenster in die Halle.
Schon seit vielen Jahren läuft die Sanierung des insgesamt 74 Hektar großen
Areals. Die Arbeiten gestalten sich schwierig, denn die Altlasten und
Schadstoffe liegen an vielen Stellen. So führte die Abwasserleitung der
Fabrik bis ins zwölf Kilometer entfernte Osterode, wo die Rückstände im
Boden versenkt wurden. Auch sind nur wenige Dokumente von damals erhalten.
Zudem sollen neue Eingriffe keine zurzeit stabil lagernden Stoffe
aufwirbeln.
Aber es gibt Fortschritte. Der vorherige Grundstückseigentümer, die aus der
bundeseigenen Industrieverwaltungsgesellschaft hervorgegangene Firma IVG
Immobilien, ließ ein Pufferbecken und eine Aktivkohleanlage errichten, die
belastetes Wasser speichern und reinigen soll. In den drei benachbarten
Pfauenteichen haben die Niedersächsischen Landesforsten in den vergangenen
Jahren nahezu alle Altablagerungen entfernt. Die belasteten Schlämme
mussten auf Sondermülldeponien entsorgt werden. „In den oberen beiden
Teichen würde ich inzwischen wieder angeln“, sagt Knolle. Im unteren ist
das Fischen und Baden bis heute verboten.
Seit dem Februar 2018 besitzt die Halali Verwaltungs GmbH mit Sitz in
Liebenau (bei Nienburg) das Gelände. Die Geschäftsführer Jens Jacobi und
Alexander Schönburg-Hartenstein haben angekündigt, das ehemalige „Werk
Tanne“ zu einem „ökologischen Zukunftsstandort“ umzubauen. Eine
Pflanzenkläranlage mit Speicherbecken – die größte dieser Art in
Deutschland – soll auf natürliche Weise giftige Verbindungen aus den
Sickerwässern filtern. Sie könnte schon im Herbst in den Probebetrieb
gehen, sagt Jacobi.
## Gedenktafel-Einweihung im September
Auch eine Photovoltaikanlage ist geplant. Sie soll jährlich rund 17
Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen und 5.000 Haushalte in
Clausthal-Zellerfeld mit erneuerbarer Energie versorgen. Auf Dauer, hofft
Jacobi, könnten sich kleine und mittlere Unternehmen ansiedeln. Im
aktuellen Bebauungsplan ist der künftige „Gewerbepark Tanne“ bereits
ausgewiesen.
„Um in eine erfolgreiche Zukunft zu starten, ist zuerst eine
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unabdingbar“, sagt der
Geschäftsführer aber auch. Am 7. Oktober 1944 hatten Flugzeuge der
US-Luftwaffe die Sprengstofffabrik angegriffen und 70 Gebäude zerstört.
Fast 100 Menschen kamen dabei ums Leben, in der Mehrheit Zwangsarbeiter.
Für sie gibt es jetzt erstmals eine Gedenk- und Erinnerungstafel an der
Kriegsgräberstätte an den Pfauenteichen, dem sogenannten Russenfriedhof.
„Für eine solche Gedenktafel habe ich viele Jahre gekämpft“, sagt Knolle.
Die feierliche Einweihung folgt im September.
25 Aug 2020
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Wehrmacht
Schwerpunkt Nationalsozialismus
NS-Gedenken
Zwangsarbeit
Gewerbegebiet
Harz
NS-Gedenken
Konzentrationslager
NS-Forschung
Rügen
Gedenkort
Bunker
## ARTIKEL ZUM THEMA
Harzer Tourismusverband feiert Jubiläum: Die NS-Zeit ist kein Thema
Der Harzer Tourismusverband würdigt sein 120-jähriges Bestehen mit einer
Chronik, in der der NS fast nicht vorkommt. KZs und Rüstungsfabriken
fehlen.
75 Jahre Befreiung von Buchenwald: Jeder Name ein Schritt
An einem Septembersonntag laufen 200 Menschen von Weimar zum KZ Buchenwald.
Sie gehen auf den Spuren der damals Inhaftierten und Ermordeten.
Reifenfabrikant im Dritten Reich: Die Kriegsgewinnler
Continental legt eine Studie zur eigenen Nazi-Vergangenheit vor – als
NS-Musterbetriebsstätte, Rüstungszulieferer und Ausbeuter von
Zwangsarbeitern.
Kolumne Unter Leuten: In Prora, Rügen
Wer zum Teufel kauft sich eine Eigentumswohnung in Prora? Also in einer der
größten architektonischen NS-Hinterlassenschaften.
Offener Brief zu Gestapo-Gedenkort: 70 Quadratmeter sind nicht genug
Zum Wirrwarr um den Hamburger Gedenkort Stadthaus haben Historiker einen
offenen Brief verfasst. Und fragen: Was macht ihr da bloß?
Zeugnis der Nazi-Vergangenheit: Bildung im Betonmonster
Als letztes Bundesland hat Bremen jetzt eine offizielle NS-Gedenkstätte:
den U-Boot-Bunker „Valentin“, der am Sonntag als „Denkort“ eröffnet wu…
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.