| # taz.de -- Harzer Tourismusverband feiert Jubiläum: Die NS-Zeit ist kein Thema | |
| > Der Harzer Tourismusverband würdigt sein 120-jähriges Bestehen mit einer | |
| > Chronik, in der der NS fast nicht vorkommt. KZs und Rüstungsfabriken | |
| > fehlen. | |
| Bild: Eine Gedenkstätte informiert über das KZ Langenstein-Zwieberge im Landk… | |
| Göttingen taz | Sein 120-jähriges Bestehen ist für den Harzer | |
| Tourismusverband als Dachorganisation von Kommunen und Tourismusvereinen | |
| ein Anlass, einen Blick auf die eigene Geschichte und die des Harzes zu | |
| werfen. In dem jetzt veröffentlichten „Historischen Abriss“ aber bleibt | |
| eine Phase so gut wie ausgeklammert: die Zeit der NS-Diktatur von 1933 bis | |
| 1945. | |
| Ausgangspunkt für die Gründung des Verbandes war der um die Wende zum 20. | |
| Jahrhundert auch dank der Eisenbahn aufblühende Fremdenverkehr. Auf | |
| Anregung des herzoglichen Badekommissars Ernst Dommes aus Bad Harzburg | |
| fanden sich im März 1904 Vertreter von 25 Kommunen in Bad Lauterberg | |
| zusammen, um für den Harz Reklame zu machen, bis zum Ersten Weltkrieg vor | |
| allem mit Werbeschriften. Die Kriegsjahre 1914 bis 1918 standen unter dem | |
| Motto „Heilung und Erholung im Harz“. Laut Chronik musste sich der Verband | |
| in dieser Zeit intensiv mit kriegsbedingten Versorgungsengpässen | |
| beschäftigen. | |
| Nach dem Ersten Weltkrieg nahm der Fremdenverkehr zu. Ende der 1920er-Jahre | |
| verfügte der Harz sogar über regelmäßige Flugverbindungen. Das Kursbuch der | |
| Deutschen Lufthansa wies 1928 den sogenannten „Harz-Ring“ aus, täglich um | |
| 15.35 Uhr von Hannover über Hildesheim, Goslar, Wernigerode und Quedlinburg | |
| nach Halle. | |
| Zur [1][NS-Zeit] findet sich nur wenig in der Chronik: „Zu den besonderen | |
| Arbeitsbereichen in dieser Zeit gehörte der notwendige Straßenausbau“, | |
| heißt es. Und: „Seit Beginn der 1930er-Jahre wurde der Verband unter dem | |
| 'Führerprinzip’ geleitet.“ | |
| Dieser „Führer“ war der überzeugte Nazi Dietrich Klagges, zugleich | |
| Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig. Klagges befahl mit Erlass | |
| vom 8. August 1936, Jüdinnen und Juden aus dem Harz zu vertreiben. Binnen | |
| einer Woche sollten die örtlichen NSDAP-Chefs und die Leiter der | |
| Kurverwaltungen ihnen jede Bewegungsfreiheit in den Kurorten nehmen. | |
| In einem Brief hatte Klagges bereits ein Jahr zuvor gehetzt: „Das starke | |
| Auftreten der Juden in den Heilbädern, heilklimatischen Kurorten, | |
| Luftkurorten und Sommerfrischen läßt den Verdacht aufkommen, daß der Harz | |
| von den Fremdrassigen als eine Stätte angesehen wird, an der die Juden | |
| unbehelligt ihr Treiben fortsetzen könnten.“ | |
| Dies bleibt in der Chronologie ebenso unerwähnt wie die Munitionsfabriken | |
| und KZ-Außenlager im Harz. Das geheime „Mittelwerk“ im Kohnstein im | |
| heutigen Thüringen war die damals größte unterirdische Rüstungsfabrik der | |
| Welt. Nach dem alliierten Angriff auf Peenemünde und die [2][dortige | |
| V-Waffen-Produktion] war sie 1943 an den Harzrand verlegt worden. | |
| Zeitgleich entstand dort das KZ Mittelbau-Dora. Bis zu 34.000 Häftlinge | |
| mussten im Berg unter grausamen Bedingungen arbeiten. 20.000 starben, | |
| schätzen Experten. | |
| Allein im Raum Nordhausen-Bleicherode-Ellrich gab es mehr als 60 | |
| Rüstungsbetriebe. Aus dem „Werk Kiefer“ in Herzberg sickern nach Angaben | |
| des Goslarer Geologen Friedhart Knolle bis heute Giftstoffe aus der | |
| Sprengstoff-Abfüllung ins Grundwasser, ebenso wie aus der | |
| TNT-Produktionsstätte [3][„Werk Tanne“] in Clausthal-Zellerfeld. Um 1942 | |
| schufteten dort rund 2.500 Menschen, unter ihnen Kriegsgefangene und | |
| Zwangsarbeiter, die die Sprengkörper mit dem hochgiftigen TNT befüllen | |
| mussten. | |
| Auch das KZ [4][Buchenwald] unterhielt Nebenlager im Harz. Im April 1945 | |
| schickte die SS von dort und aus Mittelbau-Dora mehr als 40.000 | |
| KZ-Häftlinge auf Todesmärsche. Vier Wochen später, bei Kriegsende, war rund | |
| ein Viertel von ihnen tot. | |
| Von alldem findet sich nichts in der Chronik. Sie setzt erst danach wieder | |
| ein: „Nach intensiven Gesprächen in den Nachkriegsjahren kam es im Juli | |
| 1946 zur Neugründung des Harzer Verkehrsverbandes (HVV) für den | |
| niedersächsischen Teil des Harzes und damit die Wiederbelebung des | |
| Fremdenverkehrs.“ | |
| 4 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Reimar Paul | |
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