# taz.de -- Forschung zu KZ-Gedenkstätte: Aus Ellrich gab es kein Entrinnen | |
> Jahrzehntelang war das KZ Ellrich-Juliushütte zwischen Niedersachsen und | |
> Thüringen fast vergessen. Jetzt wird seine Geschichte erforscht. | |
Bild: Hat als eines der wenigen Gebäude überdauert: Überreste der Lagerküch… | |
Ellrich taz | „Wenn du ein bisschen buddelst“, sagt Friedhart Knolle und | |
schiebt mit dem Fuß ein paar Zweige zur Seite, „dann findest du hier jede | |
Menge Knochen.“ Knolle ist [1][Geologe] und Naturschützer, Hobby-Historiker | |
und Vorstand des Vereins [2][Spurensuche Harzregion], der seit Jahren die | |
NS-Geschichte im Harz recherchiert und dokumentiert. | |
An diesem Tag führt er über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers | |
Ellrich-Juliushütte. Große Teile des Areals an der Grenze von Niedersachsen | |
und Thüringen sind bewaldet und als Naturschutzgebiet ausgewiesen, mehrere | |
Wanderwege kreuzen sich hier. Gegenüber, hinter den Gleisen und schon auf | |
dem thüringischen Boden, liegt der kleine Bahnhof Ellrich – dort halten | |
stündlich die Züge der Südharzstrecke. | |
Auf dem [3][früheren KZ-Gelände] selbst haben nur wenige Bauwerke die | |
vergangenen Jahrzehnte überdauert. Eines der wenigen verbliebenen markanten | |
Objekte ist die Ruine des ehemaligen Küchentraktes. Auch weil weitere | |
sichtbare Relikte fehlen, war die Existenz des heutzutage weitgehend | |
zerstörten Konzentrationslagers, eines Außenlagers des KZ Mittelbau-Dora, | |
bis vor Kurzem in der Öffentlichkeit kaum bekannt. | |
Jetzt hat ein Forschungsteam erstmals einen Lageplan der Anlage erstellt | |
und die Ergebnisse in einem Buch festgehalten. Die Arbeit erfolgte im | |
Auftrag der Landesdenkmalämter von Niedersachsen und Thüringen, die | |
Wissenschaftler werteten historische Quellen aus, untersuchten den Boden | |
und nahmen vereinzelt auch selbst Grabungen vor. | |
## Wissenschaftler fanden Standort eines Massengrabs | |
Der Plan dokumentiert den baulichen Stand des KZ kurz vor der Räumung im | |
[4][April 1945]. So konnten erstmals der genaue Verlauf des Lagerzauns und | |
die Position der Wachtürme nachvollzogen werden. Ebenfalls identifizierten | |
die Wissenschaftler neben den exakten Standorten der meisten Gebäude auch | |
zwei Areale, in denen die sterblichen Überreste der Opfer abgelegt wurden. | |
Im letzten Monat des Lagerbetriebs hatte die SS im Krematorium und auf | |
Scheiterhaufen bis zu 1.000 Leichen von Häftlingen verbrannt. Vom | |
Krematorium waren bisher nur noch alte Fotos vorhanden. | |
Das Konzentrationslager Ellrich-Juliushütte hatte den Decknamen „Erich“ und | |
bestand nur ein Jahr. Die ersten entkräfteten und aus Mittelbau-Dora | |
abgeschobenen Häftlinge, das geht aus Quellen hervor, wurden in die Gebäude | |
einer aufgegebenen Gipsfabrik getrieben und mussten auf dem nackten | |
Betonboden schlafen. Und sich tagsüber bei kräftezehrenden Arbeiten etwa | |
beim Gipsabbau im dem Harz vorgelagerten Kohnstein buchstäblich zu Tode | |
schuften. | |
Not, Tod und Elend auf engstem Raum: Hunger, Kälte und Krankheiten ließen | |
die Sterbeziffer in dem fast durchgängig mit 8.000 Häftlingen überbelegten | |
Lager dramatisch ansteigen. | |
## Nach 1945 überlagerten Ost-West-Konflikte die Geschichte | |
Lagerkommandant in Ellrich-Juliushütte war SS-Hauptsturmführer Karl | |
Fritzsch. Er hatte sich gerühmt, zuvor in Auschwitz Tausende Häftlinge | |
eigenhändig umgebracht zu haben. Bei den Neuankömmlingen im KZ kursierte | |
der Spruch: „Kamerad, überall hast du eine Chance zum Überleben. Aber | |
kommst du nach Ellrich, so gibt es kein Entrinnen.“ | |
Nach dem Zweiten Weltkrieg überlagerten die deutsche Teilung sowie | |
wechselseitige Schuldvorwürfe von Ost und West eine Auseinandersetzung mit | |
der Lagergeschichte. Das ehemalige KZ-Gelände in den Gipsfabriken wurde von | |
der deutsch-deutschen Grenze durchschnitten. Auf östlicher Seite begannen | |
DDR-Grenzer schon 1952, ehemalige Lagergebäude abzutragen. Die auf | |
westlicher Seite erhaltenen Bauten, darunter das Krematorium, sprengte der | |
Bundesgrenzschutz 1964. | |
Angestoßen wurde das thüringisch-niedersächsische Forschungsprojekt durch | |
die Entdeckung [5][eines lange Zeit unbekannten Massengrabs] auf dem | |
Gelände. Engagierte Bürgerinnen und Bürger drängten darauf, den Ort zu | |
einem Gedenk- und Lernort zu entwickeln. Dafür habe er jedoch zunächst | |
wissenschaftlich erforscht werden müssen, sagen die Behörden. Inzwischen | |
sei die archäologische Suche nach den Gebäuderesten abgeschlossen. Darauf | |
aufbauend könne der Einstieg in die Konzeption eines Gedenkortes beginnen. | |
„Die meisten Todesopfer hier waren Franzosen“, erzählt Knolle. Anders als | |
in Deutschland, wo seine Existenz lange Zeit kaum bekannt war, spielt das | |
KZ Ellrich-Juliushütte in der [6][französischen Erinnerungskultur] eine | |
große Rolle. Jedes Jahr am 6. April, dem Jahrestag der Befreiung des | |
Lagers, legen Überlebende und ihre Nachkommen aus Frankreich auf dem | |
Gelände Kränze und Blumen nieder. | |
7 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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