# taz.de -- Archäologie der NS-Lager: Das verborgene KZ | |
> In Niederbayern erinnert ein Mahnmal an ein KZ-Außenlager. Aber wo war | |
> dieses Lager? Archäologen haben die Geschichte wieder ans Tageslicht | |
> gebracht. | |
Bild: Direkt an der Autobahnbaustelle der A94 haben Archäologen das KZ-Außenl… | |
FLOSSENBÜRG UND POCKING taz | Der Eingang in den Keller ist mit einem | |
Spezialschloss gesichert. Es geht einen schmalen Gang entlang, dann öffnet | |
Archivarin Annabelle Lienhardt die mit einem weiteren Schloss gesicherte | |
Tür. Der klimatisierte Raum ist von Neonlicht beleuchtet und mit | |
Stahlregalen ausgestattet. Darauf sind Kunststoffwannen | |
übereinandergestapelt. „Fundzettel“ steht dazu auf Papier in einer | |
transparenten Plastiktasche, und „Befundungsnummer“. Es sind Ergebnisse | |
archäologischer Ausgrabungen. | |
In einer der offenen grauen Wannen ist ein verschlungenes Objekt zu | |
erkennen, lang, dünn und rostig-braun. „Fundbezeichnung: Stacheldraht“ | |
steht auf dem Zettel, und dass man den Draht auf dem Gemeindegebiet von | |
Pocking ausgegraben hat. Dort haben vor über 2.000 Jahren schon Kelten | |
gelebt, später Römer, Bajuwaren, Merowinger. Kelten kannten keinen | |
Stacheldraht, so viel ist sicher. | |
Diese Hinterlassenschaften, die alles in allem 66 Kunststoffkisten füllen, | |
stammen aus jüngerer Zeit. Dies hier ist auch kein archäologisches Museum. | |
Wir befinden uns in der [1][KZ-Gedenkstätte Flossenbürg] in der bayerischen | |
Oberpfalz und der Stacheldraht stammt aus einem Außenlager des früheren | |
Konzentrationslagers, einem von mehr als 80. Aus Pocking in Niederbayern, | |
nahe der Grenze zu Österreich, im Rottal. Verlegt vermutlich im Jahr 1945. | |
Ausgegraben vor ein paar Monaten. | |
Man kann Geschichte beschweigen und vergessen, man kann versuchen, mit ihr | |
umzugehen. Irgendwann kehrt sie zurück, so oder so, nicht immer golden | |
glänzend, sondern in diesem Fall rostend und hässlich. Es ist nicht so, | |
dass sie in Pocking vergessen hätten, dass es dort einmal dieses Lager | |
gegeben hat, in dem kurz vor Kriegsende fast einhundert Menschen jämmerlich | |
verreckt sind, an Hunger und Krankheiten. | |
Das mit dem Vergessen ginge schon deshalb nicht, weil da an der | |
Bundesstraße 12 groß und quadratisch dieses Mahnmal steht, mit dem in den | |
Himmel weisenden schlanken Obelisken. Darauf ein stilisierter Gefangener | |
hinter Stacheldraht abgebildet, ein Wachturm im Hintergrund, zwei Jahre | |
nach Kriegsende errichtet von den ehemaligen Gefangenen. | |
„Wir stellen uns dieser Vergangenheit“, sagt Pockings Amtsleiter Christian | |
Hanusch, Chef der Rathausverwaltung der Kleinstadt. Aber ob man es wirklich | |
so genau wissen wollte? | |
## Archäologie dank Autobahnbau | |
Stefanie Berg steht im strömenden Regen auf einer Baustelle, neben ihr ein | |
aufgeweichter Kartoffelacker. Arbeiter machen sich bei diesem Wetter rar. | |
Im Hintergrund ist eine bereits fertiggestellte Brücke zu erkennen, die | |
einmal die Autobahn 94 zwischen Passau und München überspannen wird. Es ist | |
diese Autobahn, die das alles wieder hochgebracht hat, die Geschichte und | |
das KZ-Lager. | |
Wer in Bayern eine solche Trasse bauen will, sei es für eine Stromleitung, | |
eine Bahnlinie oder eben eine Schnellstraße, der hat zuvor bei der | |
Archäologin Stefanie Berg anzuklopfen, Landesamt für Denkmalpflege, | |
Abteilung lineare Projekte. Berg und ihre Kollegen prüfen dann, ob sich am | |
projektierten Bauplatz historisch wertvolle Hinterlassenschaften befinden | |
könnten. Und ob man deshalb Archäologen mit einer Untersuchung beauftragen | |
muss. | |
Verhindern könnte sie vom Landesamt die neuen Trassen nicht, sagt Berg. | |
Aber immerhin darunter nachschauen lassen, was dort einmal war. Das | |
geschieht etwa siebzigmal im Jahr. | |
„Die A94 verfolgt mich seit Jahren“, sagt Stefanie Berg. 150 Kilometer wird | |
die Strecke einmal lang sein. Sie führt durch eine eher flache Gegend ohne | |
großartige Berge. So etwas wird landläufig gerne als Kulturlandschaft | |
bezeichnet, mit versunkenen keltischen Siedlungen, römischen Gutshöfen und | |
frühmittelalterlichen Anlagen. Oder eben einem deutschen | |
Konzentrationslager. | |
Wo sich das KZ-Außenlager Pocking einmal befand, das wussten sie selbst in | |
der Gedenkstätte Flossenbürg nicht so genau, bekennt deren Leiter Jörg | |
Skriebeleit. Man kannte nur das Mahnmal, aber das liegt in Wahrheit ein | |
paar Hundert Meter weit entfernt. Tatsächlich war es erst eine Kollegin | |
Bergs im Landesamt für Denkmalpflege, die auf US-Luftbildaufnahmen vom | |
April 1945 Baracken entdeckte. Genau dort, wo künftig die Autos nach Passau | |
rasen sollen. | |
Also beauftragte Berg die auf Grabungen spezialisierte Firma ArcTron mit | |
einer Untersuchung. Und so rückte Grabungsleiter Patrick Hillebrand dort im | |
Mai 2022 mit sechs Leuten und einem Baggerfahrer an. | |
Vorher allerdings gab es eine geophysikalische Voruntersuchung, mit deren | |
Hilfe Bodenstrukturen erkennbar sind, ohne das Areal zu tangieren. „Wir | |
planen so, dass wir nichts Überraschendes finden“, sagt Stefanie Berg. Man | |
will so früh wie möglich Klarheit darüber haben, was einen bei einer | |
Grabung erwartet. | |
Die Archäologin stapft neben der Autobahnbaustelle durch den Matsch. Sie | |
steht jetzt auf dem Grabungsgelände, Umfang 180 mal 100 Meter. Eisenrohre | |
liegen rechts von ihr. Gelochte Ziegelsteine sind zu einem Haufen | |
zusammengeworfen, dazwischen Betonbrocken, etwas abseits liegen Reste einer | |
Abwasserleitung. Es sind die Hinterlassenschaften der Ausgrabung, durchaus | |
Teile des Lagers, aber aufgrund ihrer seriellen Herstellung nicht der | |
Erhaltung für wert befunden.Den Humus haben sie mit einem kleinen Bagger | |
entfernt, erzählt Hillebrand am Telefon. Direkt darunter entdeckten die | |
Archäologen das KZ-Lager von Pocking. Die Fußböden der Baracken. Die | |
Ziegelsteine. Die Wasser- und Abwasserleitungen. | |
Sie konnten die Grundrisse der Baracken rekonstruieren, deren Holz sich | |
nicht erhalten hat. Sie bargen jede Menge Bierflaschen von örtlichen | |
Brauereien, dazu ungarische Uniformknöpfe. Zahnpastatuben. Nazi-Orden. | |
Einen Kamm. Den Stacheldraht hatten die Nazis unter der Erde vergraben, um | |
eine Flucht der Gefangenen durch einen Tunnel zu verhindern, berichtet | |
Stefanie Berg. | |
Die gefundenen gläsernen Ampullen musste das Landesamt gleich an die | |
Polizei weitergeben – [2][Verdacht auf illegale Betäubungsmittel.] | |
Tatsächlich konnten Experten darin Morphine nachweisen, damals beliebt bei | |
der deutschen Luftwaffe zur Leistungssteigerung. | |
Und dann ist da noch dieses Zigarettenetui aus Aluminiumblech, das ein | |
Unbekannter mit viel Liebe verziert hat. Er hat auch einen Namen | |
hinzugefügt, „Tasja“ steht da in kyrillischen Buchstaben. Wer der Mann, | |
höchstwahrscheinlich ein Gefangener, war, ist nicht bekannt. So eine | |
Zigarettendose kann einiges erzählen, sagt Stefanie Berg. Sie stellt ein | |
persönliches Stück aus der Zeit dar und macht damit das Geschehen vor 80 | |
Jahren [3][viel fassbarer] als die umfangreichsten Statistiken. | |
## Ein Außenlager in der Kriegsendphase | |
Ein Mann wird in jedem Fall Besitzer der Dose gewesen sein, denn das | |
KZ-Außenlager Pocking, gegründet am 6. März 1945, beherbergte nur männliche | |
Häftlinge, 400 an der Zahl. Sie kamen aus halb Europa, viele von ihnen aus | |
der Sowjetunion und Polen, andere aus Jugoslawien, Frankreich und | |
Tschechien. Es waren Menschen aus Griechenland unter ihnen, aber auch | |
Deutsche. | |
Ein Teil von ihnen waren Juden. Sie seien mit dem Zug in tagelanger Fahrt | |
von Flossenbürg nach Pocking gekommen, erinnerten sich später ehemalige | |
Häftlinge. Der Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit geht davon aus, dass | |
die Männer zuvor aus anderen Konzentrationslagern im Osten, besonders aus | |
Groß-Rosen in Niederschlesien, nach Flossenbürg gekommen waren, weil die | |
Rote Armee Anfang 1945 [4][auf dem Vormarsch war]. „Pocking ist ein | |
Beispiel für die Außenlager in der Kriegsendphase“, sagt Skriebeleit. | |
„Rüsele, Georg“, ein „Reichsdeutscher“ von „Beruf Betonierer“, geb… | |
2. März 1906, steht an erster Stelle einer Liste mit den 400 Namen. Es | |
folgen Krakowaka, Roman; Michalski, Stefan; Abraskin, Konstantin; Schmidt, | |
Wilhelm; Radon, Wladyslaw. Und so weiter und so fort, exakt 400 Namen, acht | |
Seiten lang.Datiert ist das bräunlich verfärbte Papier auf den 6. März | |
1945. „Überstellung männlicher Häftlinge vom K.L. Flossenbürg nach dem | |
Arbeitslager Kirchberg“ steht darüber. Jemand hat aus „Kirchberg“ | |
handschriftlich „Kirchham“ gemacht, so lautet der Name einer | |
Nachbargemeinde von Pocking, deren Grund unmittelbar hinter dem Lager | |
beginnt. | |
Zwei Monate später war jeder vierte Gefangene tot. | |
Überlebende berichteten, dass es in den Baracken nicht einmal Betten für | |
sie gegeben habe. Die Häftlinge [5][mussten auf dem Fußboden schlafen]. | |
Viele von ihnen waren schon bei ihrer Ankunft krank, sie litten an Ruhr, | |
Typhus oder Durchfallerkrankungen. | |
Der polnische Jude Heinrich Feinberg erinnerte sich: „Die Hygiene war | |
unbeschreiblich, und auch das Essen kaum nennenswert. Etwas Brot in der | |
Frühe und irgendeine heiße Brühe, dann mussten wir zu Fuß zum Flughafen. | |
Abends nach der Arbeit bekamen wir eine Suppe, in der weniger enthalten war | |
als uns zustand, denn die Lagerleiter, die Kapos, die Häftlingsverwalter, | |
das Küchenpersonal u. a. nahmen für sich selbst das meiste.“Ein anderer | |
Häftling berichtete, dass es für die Häftlinge eine eigene Küche gegeben | |
hätte, das Wachpersonal sei dagegen von der Luftwaffe versorgt worden. Es | |
habe auch Misshandlungen durch das Wachpersonal gegeben. | |
Bewacht wurden die Gefangenen sowohl von SS-Männern als auch von Soldaten | |
der Luftwaffe. Dazu kamen ungarische Einheiten, die sich in der Region | |
aufhielten – daher die ungarischen Knöpfe. | |
Lagerführer war der lang gediente SS- und KZ-Wachmann Paul Landgräbe aus | |
Flossenbürg. In den 1970er Jahren verliefen Ermittlungen gegen ihn im | |
Sande. Man konnte keine konkrete Tötung nachweisen – dies aber galt damals | |
als zwingend notwendig für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord. | |
Heute, da kaum noch ein Täter am Leben ist, [6][wäre das anders] – es hieße | |
etwa Tötung durch Herbeiführung lebensfeindlicher Verhältnisse. | |
## Zwangsarbeit für die Wehrmacht | |
Bis Ende März 1945 waren in Pocking schon 17 der Häftlinge gestorben. Sie | |
wurden auf dem Friedhof von Kirchham ohne Teilnahme eines Geistlichen | |
begraben. Am 13. April sind 37 Todesfälle verzeichnet. Angaben zu den | |
Todesursachen gibt es nicht. | |
Ein nur schwer lesbares Dokument vom 20. März 1945 über die „Lagerstärke | |
männlicher Häftlinge“ hat sich erhalten. Es listet akribisch genau für | |
jedes Nebenlager von Flossenbürg die Namen der jüngst Verstorben auf. Bis | |
Anfang Mai waren es 96 Todesopfer. Dann kam der 2. Mai 1945 und die 65. | |
Infanteriedivision der 3. US-Armee. Da waren die Gefangenen endlich frei. | |
Das Hauptlager Flossenbürg befand sich schon seit zwei Wochen in der Hand | |
der Amerikaner. | |
Ein kleinerer Teil der KZ-Gefangenen arbeitete bis dahin am Bahnhof von | |
Pocking und musste Baracken errichten. Die meisten Männer waren aber | |
[7][zur Zwangsarbeit] auf dem nahen Flugplatz der Wehrmacht beim Bau einer | |
Rollbahn eingesetzt. Sie trafen dort auf andere inhaftierte Männer, | |
Kriegsgefangene des „Arbeitskommandos 902“, die schon seit 1943 im Einsatz | |
waren. Dort schufteten etwa 800 sowjetische Gefangene und 400 politische | |
Häftlinge aus dem Gefängnis München-Stadelheim. | |
Ja, ein ehemaliges Konzentrationslager sei schon etwas anderes als eine | |
Untersuchung auf frühmittelalterliche Spuren, sagt Ausgräber Patrick | |
Hillebrand. „Die Befunde sehen völlig anders aus. Die Menge an Fundmaterial | |
ist extrem hoch“, sagt der 41-Jährige. „Vor allem aber der Kontext!“ Die | |
Erinnerung an die Taten der SS sei schließlich immer präsent. Schließlich | |
gebe es heutzutage keine Verbindung mehr zu Menschen aus der Römerzeit oder | |
dem Mittelalter, ergänzt Stefanie Berg. Wohl aber gebe es Überlebende aus | |
Konzentrationslagern. | |
Auch wenn die Ausgrabung selbst beendet ist – noch sind nicht alle | |
Ergebnisse abgeklärt. Geschichte ist bekanntlich nie ganz abgeschlossen. | |
Etwas Neues entwickelt sich aus dem Alten. In diesem Fall geht es um die | |
unmittelbaren Folgen der Nazibarbarei mit ihren Millionen Ermordeten und | |
Vertriebenen. Und damit um das 1947 eingeweihte Denkmal für das KZ, den | |
Obelisken an der B 12. | |
## Das Mahnmal an der Autobahn | |
Während des bundesdeutschen Wirtschaftswunders ist man nicht eben pfleglich | |
mit der Anlage umgegangen. Auf der einen Seite hat man die Bundesstraße 12, | |
diese schnurgerade Rennstrecke in Richtung Passau, verbreitert. Sie | |
verläuft jetzt so unmittelbar an dem Mahnmal vorbei, dass der ursprüngliche | |
Ein- und Ausgang zentimetergenau an einer Leitplanke endet, hinter der die | |
40-Tonner brüllen. Auf der anderen Seite sind Bagger gefährlich nahe an das | |
Denkmal herangerückt. | |
Man muss nur wie Stefanie Berg die Stufen links des Obelisken aus der Senke | |
hinaufsteigen, in der das Mahnmal liegt, und man blickt auf eine | |
gigantische Kiesgrube, die Abbruchkante verläuft vielleicht zehn Meter | |
entfernt. Zwischen dieser Kante und der Treppe zum Denkmal ist ein großer | |
Davidstern in den Boden eingelassen. Es ist ein Denkmal im Denkmal, denn | |
der Stern erinnert nicht an die KZ-Opfer, sondern an Kinder. Genauer an | |
ganz kleine Kinder, die hier begraben sein könnten. | |
Nach der Befreiung entstand anstelle des Fliegerhorstes wieder ein Lager, | |
aber ein ganz anderes. Die Vereinten Nationen und die US-Army kümmerten | |
sich um die Insassen. Es waren überlebende Jüdinnen und Juden, vertrieben | |
aus halb Europa, heimatlos, in Bayern gestrandet. Bis zu 8.000 Menschen | |
lebten bis 1949 im jüdischen DP-Lager Waldstadt bei Pocking. Auch ein Teil | |
der befreiten KZ-Häftlinge aus Pocking kam dort unter. | |
Kinder wurden geboren, viele Kinder. Auf den Holocaust folgte unter den | |
jungen Überlebenden ein Babyboom, auch als Zeichen für einen Neuanfang. Und | |
weil viele der Mütter extrem geschwächt waren, starben häufig Babys kurz | |
nach ihrer Geburt. Hier, am Obelisken, so heißt es, habe man sie beerdigt, | |
nahe bei den Toten aus dem KZ, weil es keinen anderen jüdischen Friedhof | |
gab. | |
Eine Art Einfriedung oder Zaun soll es damals um die Gräber gegeben haben. | |
Er verschwand und machte einem Kartoffelacker Platz, wie sich überhaupt die | |
Deutschen mäßig interessiert an der unmittelbaren Vergangenheit zeigten. | |
Zur Einweihung der KZ-Mahnmals hagelte es 1947 Absagen. Der Kultusminister | |
verwies auf eine andere Veranstaltung. Der Generalvikar des Bistums Passau | |
musste eine Kirche einweihen. Der Passauer Bischof war auf einer Kirchweih | |
im Bayerischen Wald. Der Herr Ministerpräsident musste zum Länderrat. Tja. | |
Den Deutschen fehlte einfach die Zeit, um sich um ihre Verbrechen zu | |
kümmern. | |
Die Toten aus dem Konzentrationslager Pocking waren 1945 zunächst am Lager | |
beigesetzt worden, im Jahr 1947 kamen sie auf das Gelände des Denkmals. Von | |
dort wurden sie 1957 umgebettet, zum größten Teil auf den Ehrenfriedhof der | |
Gedenkstätte Flossenbürg. Aber was ist mit den Kindern, die zwischen 1947 | |
und 1949 hier beerdigt wurden? | |
Jetzt hat das bayerische Landesamt für Denkmalpflege eine Radar- und | |
Geomagnetikprospektion des Geländes veranlasst, berichtet Stefanie Berg. | |
Dabei werden die Bodenschichten nicht angetastet, nur vermessen, eine | |
angemessene Vorgehensweise, gelten jüdische Gräber doch als unantastbar. In | |
einigen Wochen dürften die Ergebnisse der Untersuchung vorliegen, dann wird | |
man sehen. | |
Die Grabung an der Autobahnbaustelle ist abgeschlossen, die A 94 kann | |
kommen. Die Geschichte ist archiviert, sie steckt in den Plastikwannen in | |
Flossenbürg. Hillebrand muss seinen Grabungsbericht noch fertigstellen, | |
aber darin wird kein Detail fehlen. Er nennt die Grabungsergebnisse schon | |
jetzt „einen Glücksfall für die Forschung“. | |
Man besitze jetzt eine sehr gute Datenlage über eine solche Anlage, viel | |
besser als zuvor. Er plant seine Dissertation über Pocking zu schreiben. | |
Tatsächlich wurden die allermeisten KZ-Außenlager in Deutschland so wie in | |
Pocking nach Kriegsende hastig abgerissen, sodass heute die Kenntnisse über | |
deren Strukturen Lücken aufweisen. | |
Die rund 17.000 Einwohner zählende Stadt Pocking möchte gern einige der im | |
KZ-Lager gefunden Objekte präsentieren, vielleicht in einer | |
Dauerausstellung, sagt Amtsleiter Christian Hanusch. Stefanie Berg erinnert | |
sich lebhaft an eine Bürgerversammlung im Frühjahr, auf der die Archäologen | |
ihre Funde präsentierten. Über 200 Menschen seien in die Stadthalle | |
gekommen. Junge, darunter ein Lehrer und einige seiner Schüler, die schon | |
bedachten, wie man die Fundstücke in den Unterricht einbauen könnte, und | |
ältere, die erzählten, was ihre Eltern ihnen von dem Lager berichtet | |
hatten. | |
Die Geschichte in Pocking hat sich gewandelt. Lag sie bisher unentdeckt | |
unter einem Acker, so ist sie nun sichtbar geworden, wenn auch nicht mehr | |
am Ort des Geschehens. Der rostige Stacheldraht, das Zigarettenetui, die | |
Uniformknöpfe, sie werden bleiben, als Beweis für das, was 1945 in der | |
bayerischen Provinz geschehen ist. Das ehemalige KZ-Außenlager ist nun ein | |
eingetragenes Bodendenkmal. | |
Stefanie Berg steht auf dem aufgeweichten Grabungsgelände und deutet auf | |
den nahen Kartoffelacker. Man habe nur ein Drittel des ehemaligen | |
KZ-Außenlagers ausgegraben, sagt sie, nämlich den, der von der Autobahn | |
zerstört werden würde. Der Rest bleibt unter der Erde. Für künftige | |
Forschungen. | |
19 Aug 2023 | |
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