# taz.de -- Archiv über NS-Akten im Netz: Online lesen, was Nazis raubten | |
> Daten über Berliner Jüdinnen und Juden gehen online. Jeder kann sehen, | |
> wen die Deutschen damals enteignet, deportiert und ermordet haben. | |
Bild: Historische Karteikartenschränke im Brandenburgischen Landeshauptarchiv … | |
Berlin taz | Kurt Gumpert war 18 Jahre alt, als ihn die Nazis am 14. | |
Dezember 1942 nach Auschwitz deportierten. Der Berliner lebte davor in | |
einem jüdischen Jugendwohnheim und arbeitete bei Siemens. Sein | |
Monatsverdienst betrug 75 Reichsmark. Kurts Mutter Margarete war schon | |
zuvor in den Osten verschleppt worden, seine Schwester Thea hatte | |
rechtzeitig die USA erreicht. | |
Kurt Gumpert hinterließ kein verwertbares Eigentum. „Sachen nicht | |
vorhanden. Raum leer“, heißt es im Schreiben eines Gerichtsvollziehers vom | |
Februar 1943. Da war Kurt Gumpert schon lange ermordet. Monate später | |
meldete ein Verwandter, es existiere ein Sparkassenbuch von Gumpert mit | |
einer Einlage von 297,35 Mark. Der Betrag wurde zugunsten des Staates | |
eingezogen. | |
Kurt Gumperts Akte des Oberfinanzpräsidenten, aus dem viele dieser | |
Informationen hervorgehen, ist seit dem Dienstag viel leichter einsehbar | |
als zuvor. Die Informationen über seine Ausplünderung, so wie von | |
[1][Tausenden weiteren Berliner Jüdinnen und Juden durch den NS-Staat], | |
stehen online. So kann jeder, der es wissen will, ohne großen Aufwand mehr | |
über jüdische Menschen aus Berlin erfahren. [2][Die Website] kennt nicht | |
nur die Namen der Deportierten, sondern oft auch Straßen und Hausnummern | |
ihrer letzten Adressen. | |
Es handelt sich um 40.460 Akten mit 2,5 Millionen Seiten, so Friederike | |
Scharlau vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Die Digitalisierung | |
geschah im Rahmen eines von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) | |
finanzierten Projekts zur Forschung zu NS-Raubgut. | |
## Letzte Zeugnisse der betroffenen Menschen | |
Die Dokumente, bisweilen nur wenige Seiten lang, andere dick wie ein Buch, | |
dokumentieren die Ausplünderung der deutschen Juden ab 1941 durch den | |
NS-Staat, genauer durch den Oberfinanzpräsidenten und die | |
„Vermögensverwertungsstelle“. Menschen, die deportiert wurden, verloren ab | |
dem Moment, in dem sie die Grenzen Deutschlands überschritten, all ihren | |
Besitz, der an den Staat fiel. | |
„Jeder kann nun selbst nachlesen, was damals geschah“, sagt Dominic | |
Strieder, wissenschaftlicher Archivar des Projekts. Oft seien diese Akten | |
die letzten Zeugnisse der betroffenen Menschen, die der Nachwelt geblieben | |
seien – ihre Unterschrift häufig das letzte auf Papier gebrachte sichtbare | |
Lebenszeichen. Große Teile des Besitzes der Ermordeten wurden bei | |
öffentlichen Auktionen versteigert. So mancher Tisch, so manches Bild und | |
so mancher Kerzenhalter dürfte bis heute in deutschen Wohnstuben vom | |
größten Raub der Geschichte zeugen. | |
Das [3][Brandenburgische Landeshauptarchiv in Potsdam], zentrales Archiv | |
des Bundeslandes, folgt mit der Digitalisierung und Online-Präsentation der | |
Dokumente einem Trend. Auch andere Archive haben in jüngster Zeit große | |
Teile ihrer Bestände über NS-Opfer im Internet verfügbar gemacht und | |
erleichtern damit Historikern wie Laien die Recherche. An erster Stelle ist | |
das Arolsen-Archiv mit Dokumenten über 17,5 Millionen Verfolgte zu nennen, | |
noch vor 20 Jahren eine fest verschlossene Einrichtung. Heute stehen die | |
meisten Informationen online zur Verfügung. Hintergrund dieser Entwicklung | |
ist auch das Ende von Schutzfristen für personenbezogene Daten. | |
14 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Deportationen-im-Nationalsozialismus/!5985402 | |
[2] https://blha-recherche.brandenburg.de/suchinfo.aspx | |
[3] https://blha.brandenburg.de/ | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
## TAGS | |
NS-Straftäter | |
NS-Forschung | |
NS-Opfer | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Digital | |
GNS | |
NS-Gedenken | |
Berlin Ausstellung | |
Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
Homosexuelle | |
Gedenkpolitik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Späte Rehabilitation: Ein mutiger Richter | |
Kritik an der NS-Vergangenheit eines niedersächsischen Ministers brachte | |
Helmut Kramer 1978 eine Disziplinarverfügung ein. Nun wurde sie aufgehoben. | |
Ausstellung über Wohnen in der NS-Zeit: Wo die Shoah anfing | |
Zwangswohnungen für Jüdinnen und Juden sind ein kaum beleuchteter Teil der | |
NS-Zeit. Die digitale Ausstellung „Zwangsräume Berlin“ klärt auf. | |
Bombardierung Dresdens: Umstrittenes Gedenken | |
Wie der Opfer der Bombardierung Dresdens vor 79 Jahren gedenken? Gar nicht, | |
fordern Kritiker:innen – auch weil das für Neonazis anschlussfähig sei. | |
Homosexuelle NS-Opfer: Endlich nicht mehr schweigen | |
Die Ausstellung „Homosexuelle Männer im KZ-Komplex Ravensbrück“ holt | |
unterdrückte Geschichten ans Licht. Den Familien waren sie oft peinlich. | |
Archäologie der NS-Lager: Das verborgene KZ | |
In Niederbayern erinnert ein Mahnmal an ein KZ-Außenlager. Aber wo war | |
dieses Lager? Archäologen haben die Geschichte wieder ans Tageslicht | |
gebracht. |