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# taz.de -- Kolumne Unter Leuten: In Prora, Rügen
> Wer zum Teufel kauft sich eine Eigentumswohnung in Prora? Also in einer
> der größten architektonischen NS-Hinterlassenschaften.
Bild: Umbau von Prora zur Wohn- und Hotelanlage
Ein sonniger Vormittag im Juni. Bauarbeiter heben mit Baggern Sand aus dem
Boden, direkt vor einem frisch verputzten fünfstöckigen Häuserblock [1][des
ehemaligen Nazi-Seebads Prora auf Rügen]. Ich stehe daneben, gemeinsam mit
dem 49-jährigen Sozialpädagogen Christian Schmidt.
Über ein Jahr war er in Prora als DDR-Waffenverweigerer zwangskaserniert.
Genau dort, wo die Jugendherberge mit 400 Betten eröffnet wurde. „Ich war
am Ende des Gangs“, sagt Schmidt und zeigt auf eine besonders trostlose
Lücke im Betongerippe. „Das dritte Fenster von rechts in der vorletzten
Etage, dort war mein Zimmer.“
Was mit dem Ferienkoloss an der Ostsee geschehen soll, war schon lange ein
Streitthema auf Rügen. Während Investoren an einer touristischen Verwertung
des Ortes interessiert waren, forderten Historiker und Zeitzeugen, das
Gelände als Gedenkort zu nutzen. Denn Prora ist nicht irgendein Seebad.
Es ist aus Beton gegossene Geschichte. Im Auftrag der Nazi-Organisation
„Kraft durch Freude“ wurden zwischen 1936 und 1939 Wohnblöcke auf einer
Länge von 4,5 Kilometern hochgezogen – direkt am Prorer Wiek, einem
Traumstrand. 20.000 Menschen sollten hier gleichzeitig Urlaub machen, ganz
im Sinne der Rassenideologie der NS-Propaganda. Fertig wurde der Koloss
nie.
Stattdessen zog nach dem Krieg die Nationale Volksarmee auf das Gelände.
Prora wurde zur Kaserne. Und in den 80er Jahren zum größten Standort der
„Bausoldaten“, so nannte man die Kriegsdienstverweigerer in der DDR. Statt
an militärischen Manövern teilzunehmen, leistete auch Christian Schmidt
Ersatzdienst.
Er half beim Aufbau des Fährhafens Mukran bei Prora. Bei den Anwohnern
brachte ihm das Anerkennung, von den Vorgesetzten wurde er schikaniert.
„Die waren der Meinung, wir sind alle Staatsfeinde in Uniform“, sagt er. Ob
an diese Zeit genügend erinnert wird, daran hat Schmidt so seine Zweifel.
Sieben Jahre ist es her, dass ich Christian Schmidt getroffen habe. Seitdem
hat sich in Prora einiges getan. Privatinvestoren haben Teile der Gebäude
neben der Jugendherberge saniert, Hunderte Ferien- und Eigentumswohnungen
sind entstanden.
Vor wenigen Wochen wurde die ehemalige Nazianlage von
Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsministerium sogar zum staatlich
anerkannten Erholungsort ernannt. Immerhin informiert ein kleines
Dokumentationszentrum über die NS-Vergangenheit des Baus.
Würde Christian Schmidt das wohl reichen? Und wer zum Teufel kauft sich
eine Eigentumswohnung in einer der größten architektonischen
NS-Hinterlassenschaften, neben dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände und
dem Berliner Olympiastadion? Prora wird immer Fragen offenlassen.
23 Sep 2018
## LINKS
[1] /Ruegen-vor-der-Wahl-in-MV/!5331506
## AUTOREN
Philipp Eins
## TAGS
Rügen
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Wehrmacht
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Rügen
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