# taz.de -- Rügen vor der Wahl in MV: Die Last mit dem Koloss | |
> Auf Rügen beleben Investoren den von Nazis erbauten „Koloss von Prora“ | |
> neu. Ob das für die Zukunft der Insel gut ist, ist fraglich. | |
Bild: Der Koloss (Ausschnitt) | |
BINZ taz | In Proras „Gerüchteküche“ bekommt der Kunde was für sein Geld. | |
Eine große Portion Backfisch, Pommes und Salat kostet 8,50 Euro. Zubereitet | |
wird der Klassiker von Enrico Howe, der Koch kennt sich mit Fischen aus, er | |
angelt auch selbst. | |
An diesem Mittwoch brät er in der Mittagszeit für zwei Gäste. Mehr haben | |
den schmalen Weg in das etwas abseits gelegene Restaurant nicht gefunden. | |
Trotz der Flasche Dornfelder, die auf einem kleinen Tischchen an der Straße | |
steht, umrahmt von Tafeln mit Sonderangeboten. Zum Monatsende wird alles | |
geräumt, die kleine Stube schließt. Weil sich nur rund 100 Meter entfernt | |
Richtung Strand ein Nazi-Bau zu neuer Größe erhebt: der, wie es die Nazis | |
einst selbst verstanden, „Koloss von Prora“ auf Rügen. | |
Ende der dreißiger Jahre errichteten das Naziregime – auch mithilfe von | |
Zwangsarbeitern – den Kraft-durch-Freude-Bau. Diese Zeit ist längst vorbei, | |
die Einheimischen sprechen heute immer noch vom „KdF-Bad“. „Prora“ sagen | |
die Auswärtigen. Ein imposantes Stück Architektur vom Aufstieg und Fall | |
politischen Größenwahns. Über 4,5 Kilometer zieht sich der Bau an der Küste | |
entlang, unterteilt in fünf gewaltige Blöcke. | |
Bis zu 20.000 deutsche Arbeiter sollten dort gleichzeitig Ferien machen. | |
Sich an der Ostsee erholen, Kraft durch Freude tanken eben. Das klingt | |
harmlos, aber das „arische Volk“ sollte hörig gehalten werden – auch mit | |
einem Strand, wie er für eine „Herrenrasse“ nicht würdiger sein könnte. | |
## Abriss zwecklos | |
Prora band die Wankelmütigen ans System. Urlaub machten dort nur wenige. | |
Als das NS-Regime seinen Weltkrieg begann, war Prora noch unvollendet. Nach | |
1945 nutzte das DDR-Militär den Bau. Teile der Nationalen Volksarmee wurden | |
dort ausgebildet, Menschen unter härtesten Bedingungen zu Grenzschützern | |
herangezogen. Prora war für diese Aufgabe der perfekte Platz. In | |
Sichtweite, von Saßnitz aus, fahren von jeher die Fährschiffe ins freie | |
Schweden. | |
Seit der Wende gammelt das Monstrum vor sich hin – und hätte abgerissen | |
werden sollen. Aber das klappte nicht, allzu massiv war der Bau angelegt. | |
Der Faschismus schuf den Giganten, der Sozialismus baute ihn für seine | |
Zwecke aus. Jetzt nutzt ihn der Kapitalismus. Er tut dies im großen Stil. | |
Schicke Eigentumswohnungen und mondäne Hotelanlagen entstehen, inklusive | |
Restaurants, Bäckereien, Eisdielen. | |
Im Nutzungskonzept des Berliner Investors „Irisgerd“, der Block I für 2,75 | |
Millionen Euro erworben hat, ist alles enthalten, um Autarkie zu | |
gewährleisten. Selbst ein Dialysezentrum, „geführt von einem renommierten | |
Ärzteehepaar“, wird entstehen, verrät der Verkaufsleiter Rico Gierke. Bis | |
ins kleinste Detail kann er erklären, warum das Projekt „Neues Prora“ so | |
grandios ist. Entscheidend aber sei: „Die Bausubstanz ist sensationell gut. | |
Die Architekten haben damals klasse gearbeitet, es sitzt Stein auf Stein.“ | |
Nichtsdestotrotz, und das ist Verkaufsleiter Gierkes Botschaft, geht etwas | |
in Prora, Ortsteil vom Ostseebad Binz. Und doch haben die Bewohner den | |
Eindruck, dass irgendwie nichts geht, und wenn, dann eher rückwärts, trotz | |
des Riesenbauvorhabens – oder gerade deswegen. | |
Der Riesenkomplex steht für das Potenzial Rügens. Einerseits. Andererseits | |
steht er auch für den scheinbar verschwenderischen Umgang damit. In Block I | |
investiert Irisgerd, Block II realisiert ein holländisches Unternehmen. | |
Lokale Firmen sind vereinzelt zwar mit eingebunden, der Gewinn wird aber | |
woanders hinfließen. Und während vor allem deutsche Urlauber nach Rügen | |
reisen, ist die Insel für die heimische, junge Generation perspektivisch | |
tot. „Gibt ja nix hier außer ein paar Verkaufsläden und Rügenfisch“, sagt | |
Howe, der Koch. | |
## Investitionen in Millionenhöhe | |
Fische fangen und verkaufen will aber keiner mehr, selbst wenn alle | |
Backfische so lecker wären wie der von Howe. Die Insel hat ökonomisch außer | |
Tourismus nichts zu bieten. Davon zehren alle. Diejenigen, die von | |
außerhalb kommen – „die Wessis“, sagen die Rüganer – profitieren aber… | |
Jetzt wird, so das Gefühl vieler, ein Stück Tafelsilber vollständig | |
verscherbelt: Block V, der letzte im Besitz des Landkreises | |
Vorpommern-Rügen, soll verkauft werden. Im Mai ist das entschieden worden, | |
zwei bis drei Investoren signalisieren großes Interesse. Es geht um etliche | |
Millionen, Genaueres verrät der Landkreis nicht. | |
Was das für die heimischen Hotelbetreiber und Restaurantbesitzer bedeutet, | |
ist klar: Die Wiederbelebung des Nazibaus frisst das Kleingewerbe. | |
Bücherläden, Restaurants, Cafés beispielsweise – aber deren Zukunft ist | |
ohnehin ungewiss, es fehlt einfach der Nachwuchs, der deren Länden | |
übernehmen möchte. | |
Enrico Howe, der Koch, ist nun auf Arbeitssuche. Den neuen alten Komplex | |
lehnt er ab. „Da drüben möchte ich einfach nicht anfangen.“ Warum? „Nur… | |
ein Gefühl.“ Trotzdem findet er gut, was in Prora geschieht. „Warum sollten | |
die alten Ruinen denn stehen bleiben?“ fragt er. Alexander Tietböl, Howes | |
Kellner, denkt ähnlich. „Ist doch gut, dass was geht, so werden dort | |
Arbeitsplätze geschaffen.“ | |
## NPD und AfD | |
Tietböl ist 26 Jahre alt. Oder besser gesagt: jung. Aus seiner ehemaligen | |
Schulklasse sind von 26 Schülern genau zwei auf Rügen geblieben. „Der Rest | |
ist weg von hier, auch weg aus Meck-Pomm.“ Zurückgeblieben sind vor allem | |
ältere Menschen. Die noch arbeiten, gehen auf die 50 zu oder haben sie | |
schon überschritten; da ändert man nicht mehr viel, harrt in den erlernten | |
Berufen aus und will das Ersparte sinnvoll verwalten. | |
Weil die Jugend wegzieht, fehlen Antriebskräfte für neue Ideen. Die | |
Parteien reagieren auf ihre Art, wenn überhaupt. Präsent ist die NPD in | |
dieser Gegend, in manchen Straßen hängen ausschließlich ihre Wahlplakate. | |
„Heimat braucht Jugend“ steht auf einem. Darunter, etwas kleiner: „Gegen | |
Homo-Ehe.“ Im nächsten Straßenzug sieht die Welt hellblau aus. „Heimat | |
bewahren – AfD wählen“, heißt es hier. Jens Kühnel, der AfD-Kandidat des | |
hiesigen Wahlkreises 33, lächelt herunter. | |
Während die ganz Rechten um den Einzug in den Landtag bangen, könnte | |
Kühnels AfD noch vor der CDU landen und zweitstärkste Kraft werden. Wer | |
wissen möchte, warum das so ist, fragt am besten im „Highway 96“ nach, | |
einer kleinen Imbissbude am Ende von Block V von Prora. Der Mann, der dort | |
krosse Pommes in Fish-and-Chips-Tüten verkauft, heißt Sven Schulz. Er lebt | |
seit 1996 auf Rügen. „Der Familie wegen und weil ich die Insel liebe“, sagt | |
er. Ursprünglich komme er aus Berlin, Weißensee vielmehr, verrät er, | |
nachdem er sich eine Kippe angesteckt hat. | |
Dann dringt die Hauptstadt-Schnauze durch: „Die Prora-Pläne finde ich | |
scheiße. Es ist wie immer: Jeder macht sich hier die Taschen voll, während | |
das Land vor die Hunde geht. Und der Landkreis schaut zu, wie alles von den | |
Investoren wegrasiert wird. Die können doch machen, was sie wollen.“ Schulz | |
wählt AfD, „nicht weil die es besser machen, sondern weil die anderen nix | |
gebacken bekommen. Die CDU-Plakate kann Merkel persönlich abhängen“. | |
Alexander Tietböl wählt auch, er wird im Spektrum der etablierten | |
Demokraten sein Kreuzchen setzen. „Gar nicht hinzugehn, ist ja auch doof, | |
aber eigentlich ist es egal, wen man wählt.“ Und eigentlich hat er auch | |
andere Dinge im Kopf. Morgen ist sein erster Arbeitstag im Solitaire, dem | |
neuen Hotel in Block II. Er hat sich für das Naheliegende entschieden. | |
30 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
David Joram | |
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