# taz.de -- Rechte Parteien in Meck-Pomm: Eine Stadt wählt Frust | |
> Wenn in Mecklenburg-Vorpommern gewählt wird, will die AfD stärkste Kraft | |
> werden und die NPD wieder in den Landtag einziehen. Was ist da los? | |
Bild: „Freiheit ist die Freiheit der Andersdenkenden“: Die rechte AfD beruf… | |
ANKLAM/PASEWALK/KARLSBURG taz | Als die NPD auf dem Marktplatz vor dem | |
Anklamer Rathaus mit zwei Transportern vorfährt, als sie ihren roten | |
Schirm aufspannt, da hat Michael Galander gerade seinen Eisbecher nebenan | |
im Café ausgelöffelt. „Jetzt könnte es doch mal regnen, schön aus Eimern�… | |
sagt der Bürgermeister. Dann spaziert er zurück zu seinem Rathaus und | |
begrüßt die gut 20 eintreffenden NPD-Gegner. „Trillerpfeife?“, fragt die | |
Frau von der SPD. Galander nimmt eine. | |
Auf der anderen Seite des Markts greift wenig später Udo Pastörs zum | |
Mikrofon, der NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag. Eine | |
„Verbrecherclique“ regiere das Land, die das deutsche Volk austauschen | |
wolle. Dann schlurft ein Mann in beiger Jacke zum Mikro, die Hose viel zu | |
kurz, die Füße in Sneakers. Es ist Michael Andrejewski, die NPD-Lokalgröße. | |
„Hier schimmelt die ganze Südstadt weg, aber denen wirft man alles | |
hinterher.“ Die, das sind die Flüchtlinge. „Sogenannte Flüchtlinge“, sa… | |
Andrejewski. Wenn der 57-Jährige spricht, verzieht er keine Miene, lässt | |
die Schultern hängen. Die „tollsten Kurse“ gebe es für Flüchtlinge. „U… | |
Arbeitslosen kriegen gar nichts.“ Die gut 15 Parteianhänger, die sich am | |
Marktbrunnen niedergelassen haben, nicken. Die Gegenprotestler pfeifen. | |
Galander verschwindet durch die schwere Holztür im Rathaus. | |
Von morgens bis abends tourt die NPD derzeit durch Dörfer und Kleinstädte | |
in Mecklenburg-Vorpommern, mehr als 65 will sie bis zum nächsten Sonntag | |
insgesamt ansteuern. Für die Neonazi-Partei geht es dann um alles: Wenn in | |
Mecklenburg-Vorpommern gewählt wird, steht für die NPD nicht nur der dritte | |
Wiedereinzug in den Schweriner Landtag auf dem Spiel, in das letzte | |
Landesparlament, in dem die Rechtsextremen überhaupt noch vertreten sind. | |
Fliegt sie raus, versiegt die letzte größere Finanzquelle der mehr als | |
klammen Partei. NPD-Fraktionschef Pastörs rief denn auch den „größten | |
Wahlkampf aller Zeiten“ aus. Die Rechtsextremen plakatieren an jedem | |
zweiten Laternenmast im Land, veranstalten Kinderfeste, fahren mit | |
Lautsprecherwagen durch Dörfer. | |
## Hartz-IV-Beratung in der NPD-Zentrale | |
Anklam, das an diesem Nachmittag Mitte August auf dem Tourplan steht, galt | |
lange als Heimspiel für die Rechtsextremen. Gut 12.000 Einwohner gibt es | |
hier, zwei mächtige Kirchen überragen die Altstadt, 15 Kilometer weiter ist | |
man an der Ostsee. Anklam, das heißt aber auch: 14 Prozent | |
Arbeitslosenquote, viel Wegzug, viel Leerstand. Und: eine seit Jahren | |
festgesetzte NPD. | |
In Anklam hat die Partei ihre Landeszentrale. Hier holte sie bei der | |
Stadtvertreterwahl vor zwei Jahren 9,3 Prozent – fast genauso viel wie die | |
SPD. Hier ist der NPD-Mann Michael Andrejewksi seit Jahren eine | |
stadtbekannte Größe. Nur: Plötzlich gibt es für die Neonazis Konkurrenz. | |
Von der AfD. | |
Die Rechtspopulisten wollen stärkste Kraft in Mecklenburg-Vorpommern werden | |
– und das, obwohl die Partei in der Fläche kaum verankert ist und ihr | |
Redner wie Björn Höcke aus Thüringen oder Alexander Gauland aus Brandenburg | |
fehlen. Man könne „Geschichte schreiben“, frohlockt die AfD-Führung | |
bereits. Von einem zweiten 1989 ist die Rede, von einer zweiten Wende. | |
Ausgeschlossen ist es nicht, dass beiden Parteien ihr Vorhaben gelingt. Die | |
NPD liegt laut Umfragen zwar nur bei 3 bis 4, die AfD bei 19 Prozent – und | |
damit einige Prozentpunkte hinter SPD und CDU. Doch die beiden rechten | |
Parteien schneiden bei Wahlen meist besser ab als in Umfragen. Am Ende | |
könnten Rechtspopulisten wie Rechtsextreme ins Parlament einziehen und ein | |
Viertel aller Mandate erhalten – ein Novum. Was ist da los in | |
Mecklenburg-Vorpommern? | |
## Ein Schwarzwälder NPDler in Anklam | |
Wer Erklärungen sucht, kann nach Anklam schauen. Eine heißt Michael | |
Andrejewski. Seit 13 Jahren wohnt der NPD-Mann in der Stadt, in einem | |
Plattenbau, anfangs noch als Arbeitsloser. Das Bundesland kennt er gut: | |
Schon 1992 stand er in Rostock-Lichtenhagen und verteilte bei den | |
Anti-Asyl-Pogromen Flugblätter. Der gebürtige Schwarzwälder, der lange in | |
Hamburg gewohnt hat, zog bewusst nach Anklam. „Weil hier die Wahlergebnisse | |
gut waren.“ Anders als im Westen sahen Andrejewski und seine Kameraden hier | |
für die NPD noch Potenzial. Die Strategie ging auf. | |
Andrejewski ist Jurist, in Anklam war er im Förderverein für die örtliche | |
Nikolaikirche. Seit Jahren bietet er kostenlose Hartz-IV-Beratung an. | |
Immer montags, in der NPD-Zentrale, einem früheren Einkaufsmarkt nahe dem | |
Bahnhof. | |
Seit zwölf Jahren sitzt Andrejewski in der Stadtvertretung, genauso lange | |
im Kreistag. Seit 2006 ist er auch Landtagsabgeordneter. „Andrejewski | |
spielt hier den Kümmerer“, sagt Bürgermeister Galander. Als Stimme der | |
kleinen Leute. „Der ist hier akzeptiert.“ In der Stadtvertretung heißt es, | |
juristisch kenne sich Andrejewski aus, da könne man wenig sagen. | |
Nun aber ist in Anklam auch AfD-Mann Matthias Manthei unterwegs. Manthei, | |
44 Jahre, zwei kleine Kinder, ist Familienrichter in Greifswald. Manthei | |
ist hier aufgewachsen, er hat Fußball bei Lok Anklam gespielt. Sein Vater | |
war Tierarzt, ein CDU-Mann, allen in der Stadt bekannt. | |
## Die Umfragewerte der AfD steigen | |
Ein Mittwochnachmittag Mitte Juli, Manthei sitzt in der Schloßschänke in | |
Karlsburg, 17 Kilometer von Anklam entfernt. Eine Wirtschaft, wie es viele | |
im Land gibt, auf dem Sims an der Wand steht eine Kaffeekannensammlung. Für | |
den Abend hat Manthei hierher zum Vortrag eingeladen. Jetzt erzählt er, wie | |
er 1989, kurz vor der Wende, als 17-Jähriger montags mit der Kerze durch | |
Anklam lief. Wie er die örtliche Junge Union mit aufbaute, zum Studium nach | |
Münster ging und später zurückkehrte. Lange hat sich Manthei in der CDU | |
engagiert, nun ist er Direktkandidat der AfD in Anklam. | |
Die CDU sei erstarrt, sagt er. So wie die anderen Parteien auch. „Alle sind | |
gleich. Einwanderung, Kernkraft, Wirtschaftspolitik – da gibt es keine | |
Unterschiede mehr.“ Im Herbst 2013 trat er in die AfD ein, ein halbes Jahr | |
später war er Ko-Chef des Landesverbands. Der Landtagseinzug ist ihm | |
sicher: Manthei ist Zweiter auf der Liste. | |
Aber er will mehr. Vor zwei Jahren, bei der Europawahl, holte die AfD im | |
Landkreis ihre höchsten Ergebnisse. Bis zu 16 Prozent in einigen Dörfern, | |
in Anklam selbst 7,7 Prozent. Seitdem klettern die Umfragewerte für die AfD | |
immer höher. So hoch, dass Matthias Manthei in Anklam das Direktmandat | |
bekommen könnte, das ein CDU-Mann seit 14 Jahren hält. | |
„Klare Begriffe im Asylrecht“ heißt der Vortrag, den Manthei am Abend häl… | |
18 Leute sind gekommen, darunter Leif-Erik Holm, der Spitzenkandidat der | |
AfD, ein früherer Radiomoderator. Als die AfD jüngst im benachbarten | |
Greifswald ihren Mitbegründer Konrad Adam, einen ehemaligen | |
FAZ-Journalisten, zum Vortrag lud, saßen fast 100 Leute im Saal. | |
Manthei trägt dunklen Anzug und dunkle Krawatte, das kurze Haar ist akkurat | |
gescheitelt. Der promovierte Jurist spricht von der Genfer | |
Flüchtlingskonvention, von Kontingentflüchtlingen, von subsidiärem Schutz | |
und klickt sich dabei durch eine schlichte Powerpoint-Präsentation. Über | |
weite Strecken klingt es wie eine Univorlesung. | |
## Selbst der Bürgermeister fühlt sich abgehängt | |
Doch Manthei weiß auch, welche Knöpfe er drücken muss, um seine Zuhörer zu | |
bedienen. Die Dublin-Regelung auszusetzen, nach der Flüchtlinge dorthin | |
abgeschoben werden, wo sie zuerst Europa betreten haben, das gehe gar | |
nicht, sagt er. „Das ist wie wenn ein Ladendieb sagt, ich setze das | |
Strafgesetzbuch außer Kraft.“ Immer wieder ruft Manthei das Bild von weiter | |
steigenden Flüchtlingszahlen auf – obwohl die Balkanroute geschlossen ist | |
und weniger Geflüchtete nach Deutschland kommen. „Es wird dieses Jahr einen | |
neuen Höchststand geben, lassen Sie sich nichts erzählen.“ Oder: „Wir | |
wissen nicht, wie viele Lkws mit Menschen über die Grenze kommen, während | |
wir hier zusammensitzen.“ Es sind kalkulierte Sätze, die Manthei einstreut. | |
Sätze, für die er Applaus bekommt. | |
Michael Galander, Anklams Bürgermeister, weiß um diesen Applaus. Er sitzt | |
in seinem Büro, erster Stock im Rathaus, Blick auf den Marktplatz. Auf dem | |
Schreibtisch des 50-Jährigen steht ein Schild: „Jammern und meckern | |
verboten“. An der Wand hängt zwischen Vereinswimpeln auch ein „Kein Ort f�… | |
Nazis“-Plakat. Seit Jahren kämpft der Parteilose gegen die NPD in der | |
Stadt. „Unsere Region ist die Hochburg, da müssen wir uns nichts | |
vormachen“, sagt Galander. Und nun kommt auch noch die AfD. „Hier in | |
Vorpommern bekommen die bestimmt nochmal 3 bis 4 Prozent mehr als sonst.“ | |
Warum gerade hier? Galander lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Hier ist | |
eine Menge im Pulverfass, wo wir den Deckel nicht draufkriegen.“ | |
Bis heute ist in Anklam die Arbeitslosenquote doppelt so hoch wie im | |
Bundesdurchschnitt, viele leben dauerhaft von Hartz IV. Reihenweise haben | |
nach der Wende Betriebe dichtgemacht. Gut ein Viertel seiner Bewohner hat | |
Anklam seitdem verloren. Und während andere Regionen im Land sich vor | |
allem mithilfe von Tourismus langsam von dem Wendeknick erholen, geht diese | |
Entwicklung hier noch sehr langsam. | |
Auch wenn Galander sich mit fast allen Mitteln abmüht. Zwei Jahre war er | |
wegen Untreue-Vorwürfen suspendiert. Bei einem Projekt soll er eine | |
Anklamer Baufirma bevorzugt haben, obwohl ein um mehrere zehntausend Euro | |
günstigeres Angebot vorlag. Hauptsache es geht voran, ist sein Motto. | |
Ein großes Problem sei, sagt Galander, der „Reformwahn“ in jüngerer Zeit. | |
2011 verlor Anklam seinen Status als Kreisstadt. Etliche Verwaltungsjobs | |
wanderten mit ab. Die Polizeidirektion wurde aufgelöst, das Amtsgericht ist | |
nur noch eine Zweigstelle. „Da fühlt man sich irgendwann abgehängt“, sagt | |
Galander. „Auch als Kommunalpolitiker.“ | |
## Frust in Anklam | |
Es ist nicht nur Galander, der das so sieht. Die Fraktionschefin der Linken | |
sagt: „Die Leute hier haben die Faxen dicke. Und in Schwerin wird alles | |
weggelächelt. Die Entfernung der Politik von den Menschen wird immer | |
größer.“ | |
Es herrscht Frust in Anklam. Frust, den die Rechtsaußen nur einsammeln | |
müssen. | |
Dabei wurde in den vergangenen Jahren vieles besser. Die Arbeitslosenquote | |
ist gesunken, die Wirtschaft hat sich in Anklam stabilisiert, die Altstadt | |
wird durchsaniert. Dann aber, sagt Bürgermeister Galander, kamen die | |
Flüchtlinge. „Das hat die Unzufriedenheit wieder hochgespült.“ Und das, | |
obwohl Anklam die Unterbringung „fast nebenbei abgewickelt“ habe. | |
Gerade mal 319 Asylsuchende kamen im vergangenen Jahr in die Stadt. „Anklam | |
für alle“, ein Helferbündnis, gründete sich, der Landkreis entwarf ein | |
Integrationskonzept. Viele der Geflüchteten wurden in leeren Wohnungen | |
untergebracht. „Wir profitieren auch“, sagt Galander. | |
Und trotzdem setzen NPD und AfD in ihren Wahlkämpfen voll auf das Thema. | |
„Asylchaos beenden“, plakatieren die Rechtspopulisten in der Stadt. Die | |
Bürger könnten nicht nachvollziehen, warum sie noch immer über | |
Plattenstraßen aus DDR-Zeiten fahren müssten, aber Geld für Einwanderung da | |
sei, sagt AfD-Mann Manthei. | |
Die NPD rief schon seit vergangenem Herbst zu Anti-Asyl-Märschen durch die | |
Anklamer Plattenbausiedlungen. Einmal kamen 350 Leute, einige trugen | |
Fackeln. „Bürger dieser Stadt haben Asylanten satt“, stand auf einem | |
Banner. | |
## Die NPD gibt sich radikaler | |
Es ist die Strategie der rechten Parteien: die Verunsicherung anheizen – um | |
dann von ihr zu profitieren. Die NPD verkündete, ein Flüchtling dürfe sich | |
Wohnzimmerschränke für 700 Euro kaufen. Ein Missverständnis, das das | |
Jobcenter längst korrigiert hat. Dann hieß es, der Arbeitslosenverband | |
müsse sein Haus für Flüchtlinge räumen. Gerüchte, die schnell die Runde | |
machen, egal ob sie wahr sind. | |
Um sich von der AfD abzusetzen, gibt sich die NPD im Wahlkampf noch mal | |
radikaler. Beim Thema Flüchtlinge spricht NPD-Fraktionschef Pastörs | |
inzwischen von einer „Überfremdungsorgie“. Den „Volksverräterparteien“ | |
gehöre der Prozess gemacht, die Deutschen müssten „Gegenwehr organisieren�… | |
Rücksicht auf das NPD-Verbotsverfahren? Nicht jetzt. | |
Auch Michael Andrejewski legte seine Zurückhaltung ab. Im Juni trat er im | |
Kreistag in Pasewalk ans Rednerpult. Das Zusammenleben von Einheimischen | |
und „sogenannten Asylbewerbern“ funktioniere nur „im Traumland“, sagte … | |
Er verwies auf eine Schlägerei bei der Essenausgabe der Tafel und forderte | |
eine Trennung der Ausgabetage. „Deutsche sollten den Vorrang haben.“ Alle, | |
außer der NPD, stimmten gegen den Antrag. Nur eine Enthaltung gab es: von | |
der AfD. | |
Das war kein Einzelfall. Als Matthias Manthei vor zwei Jahren in den | |
Kreistag einzog, forderte die NPD, ein Flüchtling aus Mali sollte kein | |
Kirchenasyl erhalten. Manthei und seine AfD-Leute stimmten dem NPD-Antrag | |
zu. Ein Eklat. Bis dahin war es Absprache aller Parteien, keine Initiative | |
der Neonazis zu unterstützen. Manthei hält davon gar nichts: Ob eine Partei | |
mitspielen dürfe oder nicht, könne schließlich nur das | |
Bundesverfassungsgericht entscheiden. „Natürlich“ würde er wieder mit der | |
NPD stimmen, sagt er. „Wenn es ein guter Antrag ist.“ | |
Die AfD verneint stets, Kontakte zur NPD zu haben. Doch auf einer | |
AfD-Demonstration im Oktober marschierte unter anderem ein | |
NPD-Landtagsabgeordneter ganz vorne mit. Auf einem Foto ist zu sehen, wie | |
er in der ersten Reihe ein Transparent trägt, auf dem „Wir sind das Volk“ | |
steht. | |
## Wenn Ausgrenzen nicht mehr hilft | |
Wie umgehen mit den Rechtsaußen-Parteien? In Anklam haben sie darauf bis | |
heute keine Antwort gefunden. Bekannte NPD-Sympathisanten gehören in der | |
Stadt dazu. Einer betreibt eine Gaststätte nahe dem Marktplatz, eine andere | |
einen großen Pflegedienst, ein dritter einen Rechtsrockversand in der | |
Altstadt. | |
Bei der AfD gibt es noch weniger Berührungsängste. Spitzenmann Matthias | |
Manthei gilt in Anklam als korrekt und seriös, er prägt das Bild der | |
Partei. „Die Leute sagen: Manthei ist Richter, der wird schon recht haben“, | |
sagt der SPD-Fraktionschef. | |
Auch Bürgermeister Galander ringt mit sich. Was die NPD angeht, ist seine | |
Haltung klar. „Das sind Hardliner-Nazis. Mit denen muss ich nicht | |
diskutieren. Denen muss ich auch nicht ‚Guten Tag‘ sagen.“ Aber die AfD? … | |
sehe in deren Programm „einiges Demokratiefeindliches“, aber am Ende hänge | |
es von den Leuten vor Ort ab. „Wenn die irgendwann in der Stadtvertretung | |
sitzen und kluge Ideen haben, würde ich nicht ausschließen, dass man da | |
zusammenarbeiten kann.“ | |
Kürzlich erst ging Galander einen anderen Weg: Er untersagte den Auftritt | |
von AfD-Bundeschefin Frauke Petry im städtischen Volkshaus. Eine Frage der | |
Gefahrenabwehr, sagt Galander. Der Auftritt könne zu Gewalt führen. | |
Das ist die offizielle Version. Die andere ist: Galander wollte ein Zeichen | |
setzen. Am Ende unterlag er vor Gericht. | |
Ein Montagabend im Juli, Konferenzsaal der Anklamer Sparkasse. Der örtliche | |
„Demokratieladen“ lädt zu einer Diskussion über die AfD: „Wenn Ausgrenz… | |
nicht mehr hilft.“ 25 Leute sind gekommen, es sind die Engagierten, viele | |
von ihnen Kommunalpolitiker. Einer sitzt im hellen Anzug in der letzten | |
Reihe, die Beine übereinandergeschlagen: Gunter Jess, AfD, er arbeitet in | |
der Verwaltung der Uniklinik Greifswald. | |
## Wer die NPD gewöhnt ist, unterschätzt die AfD | |
Es dauert nicht lange, da kommt die Rede auf die Petry-Ausladung. „Wir sind | |
eine Demokratie“, sagt ein Zuhörer. „Ich halte das für grenzwertig.“ Da… | |
meldet sich ein Abgeordneter von der CDU. Galander habe Anklam keinen | |
Gefallen getan. „Ich würde mich freuen, wenn Manthei gewinnt.“ | |
AfD-Mann Jess muss nur zuhören, zwischendrin grinst er breit. Über | |
politische Inhalte muss er an diesem Abend nicht diskutieren. | |
Es läuft für die AfD, fast von selbst. Wer sich an die Parolen der Neonazis | |
gewöhnt hat, findet die AfD gar nicht mehr so schlimm. Und die Partei | |
bekommt auch direkte Schützenhilfe von der NPD. Die Neonazis verzichten | |
diesmal landesweit auf Direktkandidaten. Dadurch hoffen sie mehr | |
Zweitstimmen zu bekommen, die wichtig für den Einzug in den Landtag sind. | |
In Anklam könnte Matthias Manthei deswegen nun die früheren Stimmen für | |
Andrejewski einsammeln, beim letzten Mal über 10 Prozent. | |
Dreimal hat der CDU-Kandidat Bernd Schubert in Anklam das Direktmandat | |
gewonnen. Noch gibt sich der 61-Jährige siegesgewiss. Man solle doch nur | |
schauen, was er erreicht habe, sagt er: die Expansion der | |
Pflanzenextraktfabrik, der Umbau der Schwimmhalle, gerade erst die | |
Ansiedlung eines großen Reifenherstellers. In den letzten Jahren sei viel | |
Geld nach Anklam geflossen. | |
Die Frage ist nur: Kommen solche Bilanzen bei den Leuten noch an? Oder geht | |
es am 4. September nur noch um einen Denkzettel für „die da oben“? Das ist | |
die Sorge vieler Politiker weit über Anklam hinaus. Schon jetzt ist die SPD | |
landesweit in Umfragen abgestürzt, die CDU steht im Fokus wegen Merkels | |
Flüchtlingspolitik. Die Grenzen, was politisch im Großen oder im Kleinen | |
entschieden wird, verschwimmen. | |
Ein AfD-Sieg in Anklam, er würde eine Entwicklung fortschreiben, die sich | |
bereits seit Jahren in der Stadt vollzieht: eine Abwendung von den | |
etablierten Parteien. Die SPD hat hier gerade noch zwei Abgeordnete, der | |
Linkspartei fehlen die jungen Leute, die Grünen gibt es in Anklam erst gar | |
nicht. Als vor zwei Jahren hier gewählt wurde, beteiligten sich gerade mal | |
40 Prozent der Wahlberechtigten. | |
Auch hinter Bürgermeister Michael Galander steht keine Partei, sondern die | |
IfA, die „Initiativen für Anklam“, eine Vereinigung von Unternehmern. Man | |
habe sich explizit nicht als Partei gegründet, betont Galander. „Weil die | |
keine Ideen mehr für die Stadt entwickeln konnten.“ Im Gegensatz zu den | |
Pateien redeten die IfA nicht nur, sondern täten was, sagt er. | |
Selbst Galander, der mit der Trillerpfeife auf dem Marktplatz gegen die NPD | |
pfeift, ist also Resultat des Misstrauens. „Wir gehören nicht zu den | |
Etablierten, weiterhin nicht“, sagt er. Die Frage ist, wer hier in Anklam, | |
im Sommer 2016, wirklich die Etablierten sind. | |
27 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
Konrad Litschko | |
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